Druck an der Front wächst

Warum die Ukraine bei der Rekrutierung zögert

Freitag, 17. Januar 2025 | 08:10 Uhr

Von: mk

Kiew – Russland setzt den Angriffskrieg auf die Ukraine mit aller Härte fort und nutzt die eigene Übermacht an mehreren Frontabschnitten. Doch Kiew lehnt es nach wie vor ab, auch 18- bis 24-Jährige zu rekrutieren, um den russischen Invasoren mehr entgegensetzen – trotz Druck aus den USA. Was steckt wirklich dahinter?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bei seinem Besuch in Polen erklärt, die ukrainische Armee bestehe aus 880.000 Soldaten, während Russland derzeit 600.000 Soldaten in der Ukraine habe. Trotzdem ist oft von einer Übermacht des russischen Gegners entlang der Front die Rede.

Das muss kein Widerspruch sein. Während es sich bei den 880.000 Soldaten um die Gesamtzahl der ukrainischen Armee handelt, sind die rund 600.000 russischen Soldaten nur jene, die in die Ukraine geschickt wurden. Deren Angriffe konzentrieren sich auf bestimmte Abschnitte, wie etwa bei Pokrowsk.

Ein größeres Aufgebot an Soldaten käme der Ukraine gerade an solch neuralgischen Stellen daher sicher entgegen. Trotzdem weigert sich Kiew bislang, auch Unter-25-Jährige zu rekrutieren. Selenskyj reagierte fast schon trotzig. Nach Aufforderungen des US-amerikanischen Sicherheitsberaters, seine Haltung zu überdenken, meinte er lediglich, aufgrund schleppender Waffenlieferungen aus dem Westen könnten nicht mal die jetzigen Soldaten vollständig ausgerüstet werden.

Doch in Wahrheit steckt vermutlich mehr dahinter. Ein Grund, warum die Ukraine 18- bis 24-Jährige von den Schrecken des Krieges fernhalten will, ist die Tatsache, dass es nur 870.000 davon gibt. Die Ukraine hat aufgrund ihrer sowjetischen Vergangenheit eine ähnliche Alterspyramide wie Russland. Schätzungen zufolge bedarf es rund 80 Jahre, um ein Ungleichgewicht von Altersgruppen in der Gesellschaft wieder auszubalancieren.

Ukrainische Politiker argumentieren, dass man gerade junge Menschen im Alter von 18 bis 24 beschützen müsse, da sie der Motor für das Wachstum des Landes von morgen seien. Sie verdienten ein Leben und eine Zukunft. Bislang sind Gesetzentwürfe zur Mobilisierung von jungen Erwachsenen unter 25 immer am Widerstand der Opposition im Parlament gescheitert. Auch viele Eltern sträuben sich dagegen, dass ihre Sprösslinge mit der harten Realität des Krieges in Berührung kommen.

Diese Haltung ruft bei Verbündeten allerdings auch Kritik und Unverständnis hervor: Immerhin steht die Ukraine vor einer existentiellen Bedrohung. Sie wird von einem autoritären Regime angegriffen, das die ukrainische Identität leugnet und die Freiheit der Menschen im Land zerstören will. Erst kürzlich dachte Putin-Berater Nikolai Patruschew offen darüber nach, dass die Ukraine “verschwinden” wird. Hätte der Kreml das Sagen in der Ukraine, würde er vermutlich keine Sekunde lang zögern, auch Erwachsene unter 25 zum Kriegsdienst zu zwingen – vermutlich für eine Sache, die die wenigsten Ukrainer gutheißen würden.

Ein weiterer Grund, warum sich viele gegen eine Rekrutierung von unter 25-Jährigen sträuben, ist die irrige Annahme, dass sie nach der Einberufung sofort an der Front landen. Dabei könnten junge Erwachsene in Waffenfabriken arbeiten, Schützengräben graben und bei der Kriegslogistik oder als Kommunikationsspezialisten mithelfen. Gerade hier wären die Kreativität und der Innovationsgeist junger Erwachsener sicher fruchtbringend. Doch auch diese Tätigkeiten sind nur Armeemitgliedern über 25 vorbehalten.

Angesichts gewisser Aussagen im Vorfeld werden nun Befürchtungen laut, die USA könnten ihre Unterstützung für die Ukraine massiv herunterfahren, wenn es Kiew nicht gelingt, die eigene Jugend von der Sinnhaftigkeit des Widerstands gegen Russland zu überzeugen.

Auch in Europa droht die Unterstützung für die Ukraine zu schwinden. Neben Ungarn und der Slowakei hat sich 2024 in Kroatien Amtsinhaber Zoran Milanovic als Präsident behauptet, der den russischen Einmarsch in die Ukraine zwar verurteilt, gleichzeitig aber immer wieder die militärische Unterstützung des Westens für Kiew kritisiert hat. Während in Österreich die FPÖ den neuen Kanzler stellt, droht in Deutschland ebenfalls bei den kommenden Bundestagswahlen ein zunehmender Rechtsruck.

Militäranalysten, wie etwa auch der Autor des Blogs themilitaryanalyst.com, glauben, dass es für die Ukraine daher entscheidend sein wird, wie sie mit den USA – auch unter neuer Führung – weiterhin umgeht und wie sie deren Forderungen entgegenkommt.

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