Von: mk
Bozen – Die unglückliche Kombination aus trockener Witterung, wenig Schnee sowie abgesenktem Reschenstausee hat zur Folge, dass dem intensiven Obstbau im oberen Vinschgau das Wasser für die Frostberegnung fehlt. Aber nicht nur dort: Landauf landab fehlen ausreichende Speicherkapazitäten für die Erfordernisse der Landwirtschaft. Es stellt sich unweigerlich die Frage, wer dafür verantwortlich ist und ob die Grenzen des Wachstums bereits überschritten sind, zumal die Bekämpfung des “Wassernotstandes” der Landwirtschaft derzeit ausschließlich zu Lasten der Umwelt geht. Was läuft falsch bei uns, dass einem gesamten Ökosystem vorsätzlich ein massiver Schaden zugefügt wird, um einen anderen Schaden zu minimieren? Auf diese Frage geht der Fischereiverband Südtirol ein.
Zur Vorgeschichte: Der undichte Druckstollen am Reschenstausee führte nicht nur zu vollen Kellern und einem Stausee mit historisch niederem Wasserstand sowie allen damit zusammenhängenden Problemen für die dortige Gewässerökologie. Über diesen Druckstollen wird normalerweise auch das Wasser für die Frostberegnung der Apfelkulturen im oberen Vinschgau zur Verfügung gestellt. Durch die sich nun verzögernden Arbeiten sitzen die Bauern bei Frost aber regelrecht auf dem Trockenen, denn Etsch und Zuflüsse führen durch den äußerst niederschlagsarmen Winter Niederwasser. Um die für die Frostberegnung notwendige Wassermenge bereitstellen zu können, will man nun im Notfall den Haider See anzapfen und das Wasser direkt über die Etsch ablassen.
Dazu sei bereits Ende Februar ein “Probelauf” unternommen worden, von dem die betroffenen Fischereibewirtschafter nur einen Tag vorher informiert worden seien, erklärt Markus Heiss, Präsident vom Fischereiverband Südtirol: „Bereits bei den abgeleiteten knapp 5.000 l/s zeigten sich große Probleme durch die starke Erosion der Uferbereiche. Die Etsch, die normalerweise in diesem Bereich keine 400 l/s führt, verwandelte sich in eine braune, nach Erde und Mist stinkende Brühe.“
Laut Einschätzung des Amtes für Jagd und Fischerei kann davon ausgegangen werden, dass bereits die Folgen des Probelaufes (während der sensiblen Phase der Entwicklung der Fischeier) für den rund neun Kilometer langen Etschabschnitt verheerend waren. Ein Großteil der heurigen Fischbrut werde ausfallen, Fischnährtiere seien minimiert, die Gewässerstruktur sei degradiert, so der Fischereiverband. „Ob die Durchführung eines solchen Probelaufes ohne entsprechendes Genehmigungsverfahren überhaupt rechtens war, ist fraglich und somit zu klären“, betont Heiss.
Folgerichtig habe die Dienststellenkonferenz im Umweltbereich in ihrer Sitzung vom 11. März dem Ansinnen, bis zu 6.000 l/s für die Frostberegnung aus dem Haider See in die Etsch zu leiten, ein negatives Gutachten erteilt: Das geplante Ablassen des benötigten Wassers aus dem Haidersee würde talseits einen enormen Schwall verursachen und die Entwicklungsphase der Fischeier dramatisch beeinträchtigen, sodass von einem Totalausfall des diesjährigen Jahrgangs des Fischbestandes in diesem Gewässerabschnitt ausgegangen werden müsse.
„Trotz des negativen Gutachtens hat Landeshauptmann Arno Kompatscher am 21. März eine Verordnung zum Wassernotstand im oberen Vinschgau unterzeichnet, welche die geschilderte Vorgehensweise im Falle prognostizierten Frosts erlaubt“, kritisiert Heiss.
Das derzeitige Wasserproblem der Landwirtschaft im Vinschgau sei aber beileibe keine isolierte Ausnahmeerscheinung im Land. „In den letzten Jahrzehnten kam es in den Hotspots des flächenmäßig stark expandierenden Südtiroler Obstbaus immer wieder zu Situationen, in denen die Frostberegnung nur aufrechterhalten werden konnte, indem Fließgewässer übermäßig angezapft wurden, mal legal, mal illegal und dabei nicht selten auch vollkommen trockengelegt wurden“, erklärt Heiss.
Die Frostberegnung benötigt rund zehn l/s und Hektar, um wirksam eingesetzt werden zu können. „Das ist das Zwanzigfache der Wassermenge, die für die Trockenberegnung notwendig ist. Und vor allen Dingen ist die Frostberegnung im gesamten betroffenen Gebiet gleichzeitig notwendig, wohingegen die Trockenberegnung auch sehr gut turnusweise aufgeteilt werden kann“, betont Heiss.
Immer wieder würden sich auch dieselben Szenen wiederholen: „Die verständlicherweise verzweifelten Landwirte sehen sich genötigt, Druck auf die Fischerei sowie Behörde und Politik auszuüben, damit diese ausnahmsweise ein Auge zudrücken mögen, was die Restwassermengen betrifft – denn schließlich gehe es um die Existenz der kleinbäuerlichen Obstbaubetriebe. In Folge geben die Bedrängten nach, denn wer will schon verantwortlich gemacht werden für gescheiterte Existenzen? Zumal man im gleichen Dorf lebt, die Kinder im gleichen Fußballverein kicken und man auch morgen noch miteinander auskommen will oder muss. Und es im Grunde eh nur um ein paar Fische geht, die man nachher durch mehr oder weniger viele Zuchtfische ersetzen kann – je nach Verhandlungsgeschick.“
Das Totschlagargument „Existenzvernichtung“ hat also in Vergangenheit dazu geführt, dass nicht versucht wurde, das Problem langfristig bzw. strategisch zu lösen, sondern auf die lange Bank geschoben wurde und von Mal zu Mal gerade noch bewältigt werden konnte, indem sprichwörtlich Feuerwehr gespielt werden musste – auf die geschilderte Art und Weise und somit zu Lasten der Gewässerökosysteme.
„In Summe haben die Apfelanlagen in den letzten Jahrzehnten landesweit massiv zugenommen, während die tatsächliche Wasserverfügbarkeit gesunken ist, da die wachsende und wohlhabendere Bevölkerung mehr Wasser verbraucht und zudem die Verfügbarkeit des kostbaren Nass‘ über das Jahr stärker schwankt als in Vergangenheit. Der dadurch gestiegene Druck auf die Gewässer, vor allem während der Frostperiode, manifestiert sich in ‚überkonzessionierten‘ Gewässern, in welchen die Ausleitungsmenge auf dem Papier die natürliche Wasserführung oft übertrifft. Die Behörde freilich wäscht ihre Hände in Unschuld und sieht keine etwaige Überkonzessionierung, indem sie lapidar feststellt, dass die zugestandenen Wassermengen nur entnommen werden dürfen/können, sofern sie im Bachbett überhaupt vorhanden sind und die Restwassermengen nicht angetastet werden. Dass dies einem Konzessionär in der Praxis aber nur schwer vermittelbar ist, dürfte einleuchtend sein, zumal er fix mit ‚seiner‘ Wassermenge rechnet. Durch die nur allzu laxe und großzügige Vergabe von Ableitungskonzessionen wurden von Behörde und Politik Erwartungshaltungen genährt, die der Realität in Trockenperioden nicht standhalten. Vor allem während der typischen Frostnächte im April“, erklärt Heiss.
Seiner Ansicht nach wäre es für alle Beteiligten und vor allem für die Gesellschaft vernünftiger gewesen, gewissenhaft zu prüfen, ob das für die Frostberegnung notwendige Wasser überhaupt vorhanden ist. „Denn die Freiheit in der Wahl des landwirtschaftlichen Anbaues muss dort enden, wo natürliche Ressourcen über Gebühr strapaziert werden oder schlicht nicht verfügbar sind“, erklärt der Fischereiverband. Dabei komme den zuständigen Behörden eine ganz besondere Verantwortung zu, denn schließlich würden sie das öffentliche Wassergut im Sinne der Allgemeinheit verwalten und deren Nutzung in Form von zeitlich befristeten Konzessionen und mit entsprechenden Auflagen an Dritte vergeben. Diese hätten nicht automatisch Anspruch auf die Nutzung des Wassers und auch kein weitergehendes Recht darauf.
„Bleibt die Frage, warum die politischen und behördlichen Entscheidungsträger nicht schon früher Druck auf die landwirtschaftlichen Akteure aufgebaut haben, dem Problem mittels genügend Speicherkapazitäten Herr zu werden. Und genauso, warum diese Akteure nicht aus eigenem Antrieb heraus gehandelt haben, da es ja schlussendlich um ihre Existenzen geht“, betont Heiss. Seit über zehn Jahren sei der Wassernutzungsplan in Kraft, substanzielle Projekte für Speichermöglichkeiten und somit mehr Unabhängigkeit der Landwirtschaft habe es bis dato nicht gegeben. „Dazu war der Landwirtschaft offenbar jeder Quadratmeter eigenes Kulturland zu schade. Das rächt sich nun, wieder einmal zu Lasten der Umwelt und Allgemeinheit“, fügt Heiss hinzu.
Die derzeitige Situation sei ein Zeichen dafür, dass der Obstbau im Lande bereits die Grenzen des Wachstums überschritten habe und nur noch auf Kosten und zum Schaden anderer Ökosysteme aufrechterhalten werden könne. Für den Fischereiverband Südtirol, der sich als Hüter der Gewässerökosystem versteht, ist jedenfalls klar, dass die Probleme aufgrund der nicht vorhandenen Wasserspeicherkapazitäten nicht so einfach auf die Gewässer abgewälzt werden dürfen.
„Bezüglich der vom Landeshauptmann erlassenen Notverordnung verweisen wir auf das übergeordnete öffentliche Interesse des Schutzes der Umwelt, das in Italien seit kurzem auch in der Verfassung verankert ist. Art. 41 definiert ganz klar, dass die wirtschaftliche Aktivität grundsätzlich frei gestaltet werden kann, gleichzeitig aber kein Schaden an der Umwelt entstehen darf“, betont Heiss.
Und in Vorausschau auf die zu befürchtenden Frostnächte im April in den Hotspots des Obstbaus im ganzen Land verweist der Fischereiverband auch auf das italienische Strafgesetz, welches seit kurzem bei vorsätzlich durchgeführten Umweltdelikten, wie z.B. dem Trockenlegen von Gewässern, strafrechtliche Konsequenzen bis hin zu Haftstrafen für die Verursacher vorsieht.