Von: mk
Bozen – Italiens Gesellschaft leidet an Überalterung – ein Trend, der auch vor Südtirol nicht haltmacht. Ökonomen warnen davor, dass durch die demographische Entwicklung das Wirtschaftswachstum weiter geschwächt wird. Um die Geburtenrate anzukurbeln, sind familienpolitische Maßnahmen daher entscheidend. In Südtirol zeichnet sich zwar ein Aufschwung ab, doch es gibt noch Luft nach oben.
Die Südtiroler Familienpolitik wird durch das Landesgesetz Nr. 8 vom 17. Mai 2013 „Förderung und Unterstützung der Familien in Südtirol“ geregelt. Zehn Jahre nach dessen Inkrafttreten beleuchtet ein Bericht vom Landesstatistikinstitut ASTAT die Initiativen und Ergebnisse der Familienagentur, die 2014 eingerichtet wurde, um die familienpolitischen Maßnahmen umzusetzen.
Die Familienpolitik in Südtirol ruht demnach auf drei Säulen: die „frühzeitige Stärkung der Familien“, die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ und „finanzielle Unterstützung der Familien“.
Demografische Aspekte
Aus den Ergebnissen der Dauerzählung der Bevölkerung und der Wohnungen 2021 des ISTAT geht hervor, dass Südtirol mit einer Gesamtfruchtbarkeitsziffer von 1,72 Kindern je Frau die höchste Fruchtbarkeitsziffer unter allen italienischen Regionen aufweist. Im Vergleich zu 2014 ist der Wert jedoch gesunken.
Der Geburtenrückgang ist ein gesamtstaatliches Phänomen, das bereits seit mehreren Jahren im Gange ist und sich auch in Südtirol zeigt: Auf den ersten Blick mögen gesellschaftliche Trends und individuelle Entscheidungen eine Rolle spielen. Die steigende Zahl der Trennungen und Scheidungen haben dazu geführt, dass sich neue Haushaltstypen immer mehr durchsetzen: Paare ohne Kinder, Teilfamilien und Alleinlebende. Im Laufe der zehn Jahre von 2014 bis 2023 ist der Anteil der Paare mit Kindern in Italien von 37 auf 32 Prozent und in Südtirol von 39 auf 32 Prozent gesunken. 2014 betrug der Anteil der Einpersonenhaushalte in Südtirol 30 Prozent, 2023 dann 38 Prozent.
Die Geburtenrate, also das Verhältnis der Anzahl der in einem bestimmten Zeitraum (meistens einem Jahr) Lebendgeborenen und der mittleren Wohnbevölkerung im selben Zeitraum, ist in Südtirol zwischen 2014 und 2023 um fast zwei Prozentpunkte gesunken. Dasselbe gilt auch für das Trentino, während es in Tirol kaum einen Rückgang gab (-0,1 Prozentpunkte).
Auf den zweiten Blick stellt sich die Frage, wie sehr junge Familien in Südtirol bei ihrem Wunsch unterstützt werden, Kinder in die Welt zu setzen. Die hohen Lebenshaltungskosten in Südtirol, die immer wieder genannt werden, belasten gerade junge Erwachsene. Während sich Faktoren wie der Zugang zu Gesundheitsleistungen für Mütter und Neugeborene oder die Ausbildung von Frauen in Nord- und Südtirol kaum unterscheiden, sind die familienpolitischen Voraussetzungen doch anders.
Frühzeitige Stärkung der Familien
Zwar unterstützt die Familienagentur Eltern in allen Entwicklungsphasen des Kindes mit verschiedenen Dienstleistungen, wie etwa mit dem sogenannten Willkommenspaket bei der Geburt oder mit Elternbriefen. Außerdem greift sie 24 Eltern-Kind-Zentren und weitere 22 Außenstellen in ganz Südtirol finanziell unter die Arme. Seit 2017 unterstützt die Familienagentur auch die Tätigkeit von 15 Familienberatungsstellen über gezielte Präventionsprojekte. Entscheidend sind aber auch die finanziellen Zuwendungen für junge Familien.
Finanzielle Leistungen
Dass bei der finanzielle Unterstützung von Familien in Südtirol neben verschiedene Formen von Familiengeldern und Sozialversicherungsbeiträgen auch die Ausstellung von Vorteilskarten wie etwa vom EuregioFamilyPass mit gerechnet wird, mag bezeichnend sein.
Seit 2022 ist die Zahl der Beziehenden des Landeskindergeldes immerhin auf rund 36.500 Familien gestiegen. Diese Zunahme hängt damit zusammen, dass die Zugangsvoraussetzungen und die Auszahlungskriterien angepasst wurden. Staatliche Leistungen sind darin integriert, machen aber einen geringeren Teil aus. Die Ausgaben für das Landeskindergeld im Jahr 2023 belaufen sich auf 43 Millionen Euro, 18 Prozent mehr als 2022.
Zwischen 2022 und 2023 wurde Familien als finanzielle Unterstützung der sogenannte Entlastungsbonus ausbezahlt. Dabei handelte es sich um außerordentliche Beiträge, um die gestiegenen Energiekosten bestreiten zu können. Insgesamt wurden 43,2 Millionen Euro an die Bezieherinnen und Bezieher des Landeskindergelds und 15,7 Millionen Euro an Familien mit volljährigen Kindern, Paare, Rentnerinnen und Rentner sowie Einzelpersonen ausgezahlt.
2023 ist die Zahl der Bezieherinnen und Bezieher des Zuschusses zur rentenmäßigen Absicherung der Erziehungszeiten deutlich gestiegen (+137,9 Prozent gegenüber 2022). Anspruch darauf haben all jene, die freiwillige und/oder Pflichtzahlungen an die eigene Pensionskasse getätigt haben. Insgesamt wurden im Jahr 2023 1.801.764 Euro für die rentenmäßige Absicherung von Pflegezeiten an 727 Personen ausbezahlt. Dieser Wert ist im Vergleich zu 2022 ebenfalls stark gestiegen (+194,3 Prozent).
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Im Rahmen der Studie „So denkt Südtirol“ im März 2024 hat sich gezeigt, dass 71 Prozent der Personen zwischen 18 und 80 Jahren finden, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf der wichtigste Aspekt bei der Umsetzung der Gleichberechtigung ist. Die Analyse der Antworten nach Geschlecht bestätigt den Wunsch der Frauen (29 zu 18 Prozent der Männer) nach einer gerechteren Umverteilung der Arbeitsbelastung und der Aufgaben innerhalb der Familie.
Positiv ist hingegen: In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Kindertagesstätten stetig gestiegen und es stehen etwa 1.000 Plätze mehr zur Verfügung. Die flexiblen Betreuungszeiten ermöglichen es, dass in den einzelnen Einrichtungen pro Jahr mehr Kinder betreut werden können als Plätze vorgesehen sind.
Lobend hebt das ASTAT auch die Zertifizierung „audit familieundberuf“ hervor: Zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie, Privat- und Berufsleben unterstützen die Familienagentur und die Handelskammer Bozen Unternehmen sowie öffentliche und private Organisationen, die die Zertifizierung anstreben. Am 31. Dezember 2023 waren bereits 104 Südtiroler Unternehmen zertifiziert.
Insgesamt raten Ökonomen Italien dringend, in Sachen Familienpolitik den besten Beispielen in Europa zu folgen. Ansonsten würden die Entwicklung und die soziale Nachhaltigkeit des Landes in den nächsten Jahrzehnten gefährdet.
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