Von: ka
St. Ulrich – Es ist ein heißer Donnerstag Ende Mai, als sich viele Hobbyradler auf ihren Drahteseln die letzten steilen Rampen nach Pontives hinauf quälen, um endlich den Etappenzielort – St. Ulrich in Gröden – zu erreichen. Trotz der Anstrengungen sind sie zufrieden, weil es die gleiche Steigung ist, die in wenigen Stunden auch ihre Helden – Nibali, Pinot, Dumoulin, und Nairo Quintana – in Angriff nehmen werden.
Normaler Straßenverkehr ist auf der Strecke von Waidbruck nach St. Ulrich kaum mehr zu sehen, da wegen des Giros die Sperrung des Straßenstücks unmittelbar bevorsteht. Bereits an der Steigung sind viele Fans, nicht wenige mit dem Wohnmobil angereist, zu erkennen. Auffällig ist, dass im Gegensatz zu früheren Jahren auch sehr viele Ausländer darunter sind. Am Rand der Straße warten Belgier, Australier, Engländer, Slowaken, Österreicher und sogar die sympathischen und lautstarken Nairo-Quintana-Fans aus Kolumbien auf ihre Sportstars. Berühmt aber sind die zahlreichen italienischen Fans, die schon am helllichten Vormittag neben den Camper Fleisch auf den Grillrost legen, während ihre Frauen die Tafel für ein üppiges und mit viel Wein „durchfeuchtetes“ Mittagsmahl herrichten. Je näher man St. Ulrich, dem Ziel der Dolomitenetappe des Giro, kommt, desto mehr wirkt die Landschaft in Rosa – der Farbe des Giro d’Italia – getaucht. Die Häuser sind mit rosa Fähnchen, Luftballons und Bändern geschmückt. Besonders einfallsreich sind die Holzschnitzer, die ihrem Holzelefanten einen rosa Hut gezaubert haben.
In St. Ulrich selbst gleicht einem Rosa-Ameisenhaufen. Einem halben Kilometer vor der Ziellinie ist kein Durchkommen mehr. Eifrig wird noch an den VIP-Tribünen, Fernsehstudios und Sponsorenständen geschraubt, während die Grödner kurz vor dem Ziel eine schöne Lounge hergerichtet haben.
Die, die nicht zum Girotross gehören oder beim Herrichten der vielen Tische beschäftigt sind, begeben sich nach einer kleinen Stärkung auf der Suche nach einem Fernseher. Schnell kommen Hobbyradler und Girofans ins Gespräch und fachsimpeln vor dem Fernseher übers Radfahren und über mögliche Taktiken der Girochampions. Über die Rai-Übertragung bleiben die Fans ständig über den Verbleib der Profis informiert. Kurz vor dem Eintreffen der Spitze stellen sich Fans, Hobbyradler und Schaulustige – am liebsten dort, wo sie am steilsten ist – an die gesperrte Rennstrecke. Nachdem Fahrzeuge der Organisation und die Polizei vorbeigefahren sind, jubeln die Fans der hastig bergauf fahrenden Spitzengruppe zu, denen weniger als einer Minute später das Hauptfeld der Spitzenfahrer – die Gruppe um den das rosa Trikot tragenden Gesamtführenden – folgt. Die Fans sind entzückt. Im Trubel der Anfeuerungsrufe versteht man das eigene Wort nicht mehr.
Lange nach der Spitze treffen einzelne Fahrer, Grüppchen und zuletzt das „Gruppetto“ genannte große Feld der Sprinter bei der Steigung ein. Dankbar nimmt gar manch müder Profi die Hilfe eines gehörigen Schubses durch die Fans an. Währenddessen ist der Tross längst dabei beschäftigt, das ganze Ziel und das Drumherum abzubauen, um es am nächsten Zielort, in diesem Fall in Piancavallo in Friaul, wieder aufzustellen.
Die Camper hingegen werden dem Giro hinterher pilgern, während die Hobbyfahrer um ein Erlebnis reicher glücklich nach Hause radeln.