Von: apa
Mit der größten Aufholjagd der WM-Geschichte hat Österreichs Eishockeyteam am Dienstagabend in Prag die Herzen der Fans erobert. Zwei Drittel lang war die Mannschaft von Roger Bader gegen Weltmeister Kanada erwartungsgemäß chancenlos, holte mit einem furiosen Schlussdrittel aber ein 1:6 auf und sicherte sich mit einem 6:7 nach Verlängerung sensationell einen Punkt. Am Donnerstag (16.20 Uhr) wartet mit Olympiasieger Finnland der nächste Top-Gegner.
Kanadas Teamchef schüttelte den Kopf, als er immer wieder den Zillertaler Hochzeitsmarsch zu hören bekam. Die Tor-Musik der Österreicher wurde im Schlussdrittel zum Hit in der O2-Arena, in der über 14.000 Zuschauer den krassen Außenseiter frenetisch anfeuerten. Benjamin Baumgartner (44.), Peter Schneider (45., 56.), Dominic Zwerger (51.) und Marco Rossi 49 Sekunden vor der Schlusssirene bezwangen Torhüter Jordan Binnington, 2019 mit den St. Louis Blues Stanley-Cup-Sieger, in Finish fünfmal. “Wahnsinn, ich krieg das Lächeln nicht mehr aus dem Gesicht”, sagte Zwerger in einer ersten Reaktion.
“Historisch ist kein zu starkes Wort, um die monumentalen Ereignisse zu beschreiben, die sich abgespielt haben. Beispiellos. Wundersam. Atemberaubend”, hieß es auf der WM-Homepage. Nach Angaben des Weltverbands hatte davor noch nie eine Mannschaft im Schlussdrittel einen Fünf-Tore-Rückstand aufgeholt – in rund 7.000 Partien seit 1920 bei Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen und Junioren-Weltmeisterschaften. Team Canada hatte bisher erst viermal in seiner Geschichte fünf Treffer in einem Drittel kassiert, nur gegen die Eishockey-Großmächte Sowjetunion (dreimal) und Tschechoslowakei, zuletzt vor 43 Jahren.
“Ich bin seit 30 Jahren Head Coach und habe in diesen 30 Jahren schon manche verrückte Spiele erlebt, im letzten Drittel fünf Tore gegen den Weltmeister zu schießen und aufzuholen, das ist schon ganz weit oben in meinem Ranking”, erklärte Teamchef Bader. Zu verdanken war das beeindruckender Abschlussqualität. Von neun Torschüssen im Schlussdrittel landeten fünf im Netz, mit der abnormalen Quote von 21,43 Prozent erfolgreicher Torschüsse (12 Tore bei 56 Torschüssen) ist Österreich bisher das mit Abstand effizienteste Team des Turniers.
“Im Sport ist das dann manchmal so, dass es wie eine Lawine kommt. Wir hatten ein, zwei gute Saves vom Torhüter (Anm.: David Madlener), dann haben wir im eigenen Drittel aufsässiger verteidigt und konnten schneller umschalten. Spätestens ab dem vierten Tor haben wir Coaches schon überlegt, den Tormann rauszunehmen”, sagte Bader.
Baumgartner löste die Lawine aus, die neu formierte Linie mit Center Rossi und den Flügeln Schneider und Zwerger vollendete. “Dieses Spiel werden wir nie vergessen”, meinte Rossi. “Nach zwei Dritteln war es schwer, noch daran zu glauben – eigentlich unmöglich. Auf einmal haben wir angefangen, Tore zu schießen, beim 6:3, 6:4 ist der Glaube gekommen. Natürlich hatten wir dann auch das Glück auf unserer Seite”, sagte der NHL-Stürmer. Begeistert war auch Schneider: “Gegen Kanada so eine Partie im letzten Drittel bei einer Weltmeisterschaft so auszugleichen, das ist einfach ein unglaubliches Erlebnis. Die Atmosphäre in der Halle war Wahnsinn, alle Fans außer den kanadischen sind hinter uns gestanden, weil sie zum Underdog gehalten haben, das war richtig geil.”
Die Österreicher nahmen die Freude über den Punktgewinn, viel Moral und Selbstvertrauen für die anstehenden Herausforderungen gegen die nächsten Top-Gegner und danach den Kampf gegen den Abstieg mit. Nächster Gegner ist am Donnerstag (16.20 Uhr) Olympiasieger Finnland, am Freitag (20.20) wartet WM-Gastgeber Tschechien, ehe es gegen Norwegen (Sonntag, 16.20) und Großbritannien (Dienstag, 12.20/alle live ORF Sport +) um den Klassenerhalt geht. “Den Schwung wollen wir mitnehmen. In den nächsten Spielen wollen wir aber gleich von Anfang so spielen. Wir wollen weniger Tore kassieren”, sagte Zwerger. “Der Extrapunkt kann noch sehr wertvoll sein”, meinte Bader.