Dem Melbourne-Champ gehört die Zukunft

Sinner spürt keinen Druck: “Ist ein Privileg”

Montag, 29. Januar 2024 | 11:20 Uhr

Von: dpa

Nach dem ersten Grand-Slam-Titel seiner Karriere ist Jannik Sinner heiß auf weitere große Siege. “Ich weiß, dass ich mich weiter entwickeln muss, wenn ich eine weitere Chance haben will, noch einmal einen so großen Pokal in den Händen zu halten. Und das will ich”, sagte der 22-jährige Südtiroler nach seinem Fünfsatzsieg im Finale der Australian Open gegen Daniil Medwedew. “Ich freue mich auf das, was kommt.” Sinners Triumph riecht nach einer Zeitenwende.

Sorge, den nun deutlich gestiegenen Erwartungen nicht gerecht zu werden, hat Sinner nicht. “Es gibt immer Druck, aber Druck ist etwas Gutes. Du musst es positiv sehen. Es ist ein Privileg”, sagte der Davis-Cup-Champion des vergangenen Jahres. “Es gibt nicht viele Spieler, die diesen Druck haben, weil ihnen Großes zugetraut wird”, sagte Sinner. “Ich mag es, Druck zu haben, weil ich in diesen Situationen mein bestes Tennis spiele.”

Im Endspiel von Melbourne war Sinner am Sonntag bereits mit zwei Sätzen zurückgelegen, ehe er die Partie doch noch drehte. Besonders stolz mache ihn, dass sein erster Grand-Slam-Titel noch in eine Zeit falle, in der Novak Djokovic aktiv sei, sagte Sinner. Den Weltranglisten-Ersten aus Serbien hatte Sinner im Halbfinale geschlagen und ihm damit die erste Niederlage in Melbourne nach zuvor 33 Siegen zugefügt. “Es fühlt sich besonders an, diese große Namen in der Auslosung zu sehen und das Ding dann zu gewinnen”, sagte Sinner.

Erstmals seit zehn Jahren hieß der Gewinner im Melbourne Park nicht Djokovic, Rafael Nadal oder Roger Federer – jene Männer, die das Tennis für zwei Jahrzehnte dominierten. Djokovics Erfolg im Karriere-Spätherbst hat den Abstieg des Trios verzögert, nach dem Rücktritt Federers und dem wohl kurz bevorstehenden Abschied Nadals ist das Ende der “großen Drei” aber unabwendbar. “Man kann schwer vorhersagen, was die Zukunft bringt, aber es ist schön, Teil dieser Generation zu sein”, meinte Sinner dazu. “Ich denke, die nächste Generation ist etwas, was dieser Sport braucht.”

Der jüngste Australian-Open-Sieger seit Djokovic 2008 dachte im Moment seines Triumphs aber auch an seine Wurzeln. “Ich danke meinen Eltern zuhause in Südtirol, wo es heute Morgen etwa minus 20 Grad kalt ist”, sagte der sonst immer sehr kontrolliert auftretende Champion bei der Siegerehrung. Später erklärte er seine Beziehung zu den Eltern. “Ich sehe sie viel zu selten, aber wenn wir zusammen sind, ist es immer großartig.”

Deren Einfluss ist kaum hoch genug einzuschätzen, sie seien das Gegenteil der berühmt-berüchtigten Tenniseltern gewesen, die ihre Kinder auf Schritt und Tritt begleiten. “Sie haben mich nie unter Druck gesetzt, mich immer machen lassen, was ich wollte.” Auch als der passionierte Skifahrer, der italienischer Nachwuchsmeister im Riesentorlauf war, mit 14 sein Zuhause im Naturpark der berühmten Drei Zinnen in den Dolomiten verließ. Papa Johann ist dort in der Talschlusshütte Koch, Mama Siglinde bedient die Gäste.

Von den pittoresken Alpen ging es an die italienische Riviera in die Akademie von Riccardo Piatti. Keine einfache Zeit, das Heimweh plagte den Teenager. Das erste Mal selber kochen, selber waschen. “Ich musste sehr schnell erwachsen werden”, erzählte er zu später Stunde in Melbourne. Den letzten, vielleicht entscheidenden Schritt vom Supertalent zum Champion machte Sinner vor zwei Jahren, als er sich von seinem langjährigen Förderer Piatti trennte und Simone Vagnozzi und Darren Cahill – den einstigen Erfolgscoach von unter anderem Lleyton Hewitt, Andre Agassi und Simona Halep – in sein Team holte.

Danach ging es ziemlich stetig, aber ohne große Sprünge aufwärts. In der zweiten Hälfte des Vorjahres startete der Bewunderer von Federer und Fan des AC Milan so richtig durch. Er holte in Toronto seinen ersten Masters-1000-Titel, bezwang zweimal Novak Djokovic und gewann fast im Alleingang für Italien den Davis Cup.

Die rosa Sportbibel “Gazzetta dello Sport” stellte den “Goldjungen” bereits in eine Reihe mit Alberto Tomba, Marco Pantani und Valentino Rossi. Den heimischen Bergen ist Sinner längst entwachsen. Er wohnt mittlerweile in Monte Carlo, seine Freundin Maria Braccini ist Model und Influencerin mit über 100.000 Followern. Er wirbt für Marken wie Rolex, Lavazza, Alfa Romeo oder Nike, modelt für Gucci und war schon zu Besuch im Ferrari-Werk in Maranello. Sinner ist mittlerweile ein Weltstar, wie er das in der relativ kleinen Welt des Skisports bei allen Erfolgen nie hätte werden können.

Bezirk: Pustertal