Von: luk
Bozen – Am 10. Oktober 1920 wurde die formale Angliederung des zuvor nur besetzten Südtirol an das Königreich Italien vollzogen. Patriotische Kreise versuchen, aus diesem Anlass die „Unrechtsgrenze“ am Brenner zu thematisieren. „Obwohl die Südtiroler HochschülerInnenschaft in der Logik des Schützenbundes wohl zu den autonomophilen Pfifferlingen gerechnet werden muss, bietet der 10. Oktober auch uns die Gelegenheit, über den Stellenwert Österreichs für die Studierenden nachzudenken“, sagt Matthias von Wenzl, Vorsitzender der Südtiroler HochschülerInnenschaft. Dieser sei, trotz der separaten Entwicklung Südtirols seit 100 Jahren, und trotz der Herausbildung einer eigenen, auf das Land fokussierten Identität, hoch.
Im Studienjahr 2018/2019 waren 6.971 SüdtirolerInnen an einer Hochschule in Österreich immatrikuliert. Als Sitz der traditionellen Tiroler Landesuniversität steht das nahe Innsbruck dabei mit fast 4.000 Studierenden aus Südtirol bekanntermaßen an erster Stelle. Rund 2.100 SüdtirolerInnen gehen ihr Studium hingegen in der ebenfalls beliebten Bundeshauptstadt Wien nach. Mit erheblichem Abstand zu diesen beiden klassischen Studienorten der SüdtirolerInnen folgen freilich Graz, Salzburg, Linz, Klagenfurt und Leoben mit seiner Montanuniversität. „Der Blick auf die nach wie vor bemerkenswert hohe Zahl der SüdtirolerInnen, die sich für ein Studium in Österreich entscheiden, belegt, wie unvergleichbar wichtig die Alpenrepublik als kultureller Referenzpunkt geblieben ist“, meint dazu Julian Nikolaus Rensi, Vizevorsitzender der sh.asus. Einhundert Jahre nach dem Ende der staatsrechtlichen Zugehörigkeit zu Österreich ist die Zahl der dort studierenden SüdtirolerInnen im Vergleich zu 2017/18 um rund vier Prozent gestiegen; nachdem im ersten Jahrzehnt des 21. Jh. junge SüdtirolerInnen mehrheitlich italienische Städte für ihr Studium bevorzugten, hat sich der Trend mittlerweile umgekehrt und es zieht die meisten Oberschulabsolventen (wieder) ins heimische Ausland.
Die sh.asus und Österreich – zusammen im Einsatz für eine benachteiligte Minderheit
Die sh.asus hat die „heimatfern“ studierenden Südtiroler immer begleitet und war stets bemüht, für diese einen dauerhaften Bezug zu Südtirol herzustellen – das war zu Zeiten akuten Mangels akademisch geschulten Personals in der Nachkriegszeit genauso relevant wie heute, wo die Abwanderung von Talenten (brain drain) in aller Munde ist. Der Verein wurde gerade von seinen beiden größten Außenstellen, Innsbruck und Wien, maßgeblich geprägt und unterhielt enge Kontakte mit der österreichischen Politik. Diese setzte sich massiv dafür ein, das eklatante Bildungsdefizit der Südtiroler Bevölkerung – ein Ergebnis der faschistischen Repression – zu beheben. So unterstreicht von Wenzl: „Unvergessen bleibt, wie Österreich die Südtiroler Studierenden auch finanziell unterstützt hat, bevor unser Land genügend Ressourcen aufbringen konnte, ein eigenes Stipendienwesen aufzubauen.“ Dass die Regeneration der intellektuellen Kräfte der lange unterdrückten deutsch-ladinischen Minderheit der österreichischen Politik tatsächlich ein „Herzensanliegen“ war, zeigte sich in der Verabschiedung des sog. Gleichstellungsgesetzes, das Südtiroler Studierende mit ihren österreichischen KommilitonInnen gleichstellt, z.B. in Hinblick auf die Zulassung zu Studiengängen – im damals noch rein nationalstaatlich geprägten Europa war dies mehr als ein Signal.
Zusammengehörigkeit ohne Pathos und ewiggestrige Aufstachelung
Mit dem kulturellen Fortschritt und dem Aufschwung Südtirols haben sich jedoch auch die Ansprüche und Anliegen der Studierenden gewandelt. So hat sich die HochschülerInnenschaft wiederholt dafür eingesetzt, in die sog. „Gleichstellung“ auch SüdtirolerInnen italienischer Zunge einzubeziehen – mit dem Ziel, ethnische Diskriminierung zu überwinden und zum sozialen Miteinander im Land dadurch beizutragen, dass auch die italienische Sprachgruppe einen direkteren Zugang zur mitteleuropäischen Lebenswelt und Kultur erhält. Zwischen SüdtirolerInnen verschiedener Muttersprache zu unterscheiden, sei gerade in Hinblick auf die multinationale österreichische Vergangenheit unangemessen, schließlich sei das alte Tirol dreisprachig gewesen, so Vizevorsitzender Rensi, der zugleich betont: „Die beste Garantie für eine weiterhin enge Beziehung zwischen Südtirol und seiner Schutzmacht liegt darin, dass viele junge Menschen einen sehr prägenden Lebensabschnitt in Österreich verbringen. Dadurch entsteht ein natürlicher, persönlicher Bezug, der ganz anderer Art ist als die ideologischen Konstrukte der üblichen rechten Scharfmacher.“
Für ein Land wie Südtirol sei es wichtig, so die sh.asus abschließend, die richtige Balance zu halten zwischen der Fortentwicklung einer eigenständigen, sprachgruppenübergreifenden Identität einerseits, sowie der bewussten Aufrechterhaltung des Bezugs zum kulturellen Mutterland Österreich andererseits. Das dürfe aber weder mit revanchistischen Hintergedanken noch nationalistisch verstellt erfolgen, sondern zwanglos und „vom multikulturellen Geist jenes Österreichs geprägt, zu dem auch unser Land noch gehörte.“