Massimiliano Fanni Canelles über seine Erfahrungen

„Andere heilen hilft auch, sich selbst zu heilen“

Freitag, 31. Mai 2024 | 11:17 Uhr

Von: Ivd

Meran – Im Mittelpunkt der Reihe „Begegnungen“ steht dieses Mal Massimiliano Fanni Canelles, Vize-Primar der Notaufnahme am Krankenhaus Meran: Dozent an der Universität Bologna, Schriftsteller, Social-Media-„Star“ mit über 80.000 Followern auf Facebook dank seiner Rubrik „Pillole di scienza“ (Wissenschaft häppchenweise), aber vor allem Arzt, dem die Menschlichkeit wichtig ist.

Als Massimiliano Fanni Canelles in der idyllischen Passerstadt landete, hatte er laut der Südtiroler Sanitätsbetriebe bereits einige Abenteuer hinter sich. Der Arzt mit Wurzeln im Friaul war weltweit in humanitärer Mission in Krisenherden unterwegs gewesen. Dabei traf er auf Personen wie dem Dalai Lama, auf Papst Johannes Paul II., auf Mutter Teresa aus Kalkutta, auf Aleida Guevara, die Tochter von „Che“ Ernesto Guevara, aber auch auf Carlo Alberto Moro, den angesehenen Staatsanwalt und Bruder von Aldo Moro. All diese Personen haben bei Fanni Canelles Spuren der Erinnerung hinterlassen, aber auch Beispiele, wie Hingabe und Altruismus aussehen können.

Die Anekdoten sprudeln nur so aus Fanni Canelles, eines eint jedoch alle: die Medizin. Er sieht seine Arbeit nicht als Beruf, sondern als Berufung, als seine Aufgabe: „Ich bin froh darüber, dass ich es jeden Morgen nach dem Aufstehen kaum erwarten kann, arbeiten zu gehen. Das Arzt-Sein hat mein Leben komplett umgekrempelt. Mein Großvater sagte einst: ‚Sobald das Spiel zu Ende ist, muss alles wieder in den Karton zurückgeräumt werden‘ – (lacht). Dies gilt auch für uns Menschen, bevor ich sterbe, möchte ich sicher sein, dass ich etwas Gutes für andere hinterlassen habe. Der Sinn des Lebens besteht nicht darin, sich in Clubs oder ähnlichem zu vergnügen, sondern in der Verantwortung, die jeder Einzelne hat, dass er der Menschheit einen positiven Beitrag hinterlässt“.

Der Südtiroler Sanitätsbetrieb über Canelles: „Auch die fast greifbare Stille, die zwischen dem Redefluss von Canelles entsteht, berührt: Man merkt, dass er an einem anderen Ort ist, an Orten, an denen er selbst viel Schreckliches gesehen hat“. Daher rühre auch sein Wunsch, etwas jenen Menschen zurückzugeben, die Leid erfahren haben und immer noch traumatisiert sind. Etwas, das er auch ein wenig sich selbst geben möchte: „Als humanitärer Helfer war ich während vieler großer Konflikten dabei wie im zweiten Golfkrieg, beim Krieg in Ex-Jugoslawien, in den Bürgerkriegen in Sri Lanka, Syrien, Palästina, Afghanistan… An jedem dieser Orte musste die Bevölkerung unter den Entscheidungen der Politiker leiden, diese hatten nicht die leiseste Ahnung, was in einem Krieg abgeht. Das Leiden dieser Menschen kann man gar nicht in Worte fassen. Krieg ist der Teufel in Reinform – das pure Schlechte in uns selbst. Oftmals tragen wir es in uns, ohne es zu wissen. Ich habe untadelige Menschen gesehen, die schreckliche Dinge verübt haben, sie waren sich dessen nicht bewusst, dass sie anderen Menschen Leid zufügten. Der Krieg fegt jegliche Kontrolle weg. Dieses Schlechte in der Seele der Menschen äußert sich oft auf grausamste Weise“.

Das viele Leid führte erst recht dazu, dass Fanni Canelles zu dem wurde, der er heute ist. Für ihn muss man das „Gute ausbalancieren“, wie er es selbst nennt, die Leiden der Welt: „Andere behandeln ist altruistisch, aber ich leugne nicht, dass es auch um ein wenig Egoismus geht, denn nichts ist befriedigender als jemanden das Leben zu retten“.

Auf verschlungenen Lebenspfaden kam Fanni Canelles aus dem Friaul nach Meran. Im Südtiroler Gesundheitsbetrieb fand Fanni Canelles eine zweite Chance und eine Möglichkeit, sich wertgeschätzt zu fühlen: „Ich hatte eine schwierige Zeit hinter mir, sei es familiär wie auch persönlich und beruflich, mit vielen Zwiespälten an meinem alten Arbeitsplatz in Cividale di Friuli. Das kam daher, dass ich mich als sehr unabhängige Person sehe, die immer versucht, neue Wege zu finden, um die Arbeitsdynamiken zu verbessern. Einen dieser Wege habe ich in meinem Buch ‘Avanguardia TEAL‘ aufgeschrieben, dort habe ich die positiven Effekte eines Versuches zu horizontaler Leadership im Arbeitsumfeld erwähnt. Jemanden hat dieser Ansatz nicht gefallen und die Tatsache, dass ich mich unbequem fühlte und gleichzeitig meine Meraner Partnerin kennenlernte, haben dazu geführt, dass ich mich hier beworben habe. Anfangs beantragte ich noch Wartestand, bis ich definitiv in Südtirol blieb, hier sind mein Curriculum und meine Berufserfahrungen geschätzt worden. Im Unterschied zu anderen Orten, werden meritokratische Verdienste im Südtiroler Gesundheitsbetrieb sehr wohl berücksichtigt, so, wie es sein sollte“.

Fanni Canelles sieht den Arztberuf vielschichtig: Laut seiner Auffassung leben verschiedene Seelen in einer Brust, die altruistische Gründe haben, aber auch persönliche Anerkennung oder auch Vergebung suchen: „Manchmal verhält man sich anderen Menschen gegenüber nicht korrekt. Deshalb existiert irgendwo im Hinterkopf auch der Wunsch, vergangene Fehler zu sühnen, das ist einer der Gründe, warum ich Arzt bin. Der Hauptgrund jedoch ist die die Dankbarkeit, wenn du ein Leben retten konntest. Andere heilen hilft auch, sich selbst zu heilen“.

Aber auch Altruisten müssen einen Preis zahlen, die Kosten sind hoch: „Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich meiner Familie und meinen Kindern mehr Zeit widmen. Das ist der einzige negative Punkt, wenn ich zurückdenke. Natürlich kann man nicht jedes Leben weltweit retten, das kann niemand. Aber ich konnte Menschlichkeit in kleinen Dosen geben, das auf jeden Fall“.

Diese Dosis an Menschlichkeit trifft man nun jeden Tag in der Notaufnahme Meran an, wenn zum freundlichen Lächeln der Satz kommt: „Wie geht es Ihnen?“

Bezirk: Burggrafenamt

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