Von: luk
Bozen – Die Stiftung Haydn bringt in ihrer fünften Opernspielzeit unter dem Titel „Angel or Demon“ die Uraufführung von Toteis der Südtiroler Komponistin Manuela Kerer auf die Bühne des Bozner Stadttheaters. Ausgehend vom Leben der Viktoria Savs rollt Librettist Martin Plattner die Geschichte der kontroversen Figur neu auf und schlägt beklemmende Parallelen ins Heute. Toteis führt vor Augen, wie sich Nationalismus und Hass im 20. Jahrhundert breitmachen konnten und regt zum Nachdenken über das Heute an.
„Wie unheimlich kann uns die Heimat werden? Welche Mechanismen begünstigen die Radikalisierung eines Menschen? Und wie viel Feind sind wir uns selbst?” Es sind beißende Fragen, die der Librettist Martin Plattner und die Südtiroler Komponistin Manuela Kerer mit der Oper Toteis dem Publikum entgegenhalten. Die Auftragsarbeit der Stiftung Haydn, eine Koproduktion mit der Neuen Oper Wien und den Vereinigten Bühnen Bozen, wird am 13. März (20.00 Uhr) und am 15. März (17.00 Uhr) in Bozen uraufgeführt.
Ausgehend von Bruchstücken der Biografie von Viktoria Savs entwickelt sich die Opernhandlung. Als Soldat hat Viktoria Savs 1916 an der Dolomitenfront gedient und ihr Bein verloren. Von den Nazis umschmeichelt und der SS nahe, galt sie auch nach dem Krieg als Verfechterin längst überkommener Werte. In Anlehnung an Savs Geschichte führt Toteis vor Augen, wie sich selbstbetrügerischer Nationalismus und Hass im 20. Jahrhundert verbreiteten und schlägt dabei immer wieder – erschreckende – Brücken ins Heute. Toteis bezeichnet jenes Gletschereis, das sich vom aktiven Gletscher losgelöst hat. Eine Anspielung an Viktoria Savs Beinamputation, nachdem sie an der Front verwundet wurde, aber auch an ihre totgeglaubte Gesinnung.
In Martin Plattners und Manuela Kerers Interpretation wird Savs Lebensgeschichte zum Prototyp für das ‚Gespenstische‘ der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das auf perfide Weise wiederkehrt. „Im Libretto versuche ich, Fragen aufzuwerfen, Bruchlinien aufzuzeigen und das größte „Gespenst“ von allen – die Abgründe eines ‚Ichs‘ – auszuloten,“ erklärt Martin Plattner, „Damals wie heute laufen (bzw. liefen) Menschen Gefahr, sich in abscheulichen Ideen zu verlieren und nicht mehr aus diesen herauszufinden.” Die vielen Gesichter, das Unfassbare dieser Figur und die Farben ihres Charakters haben Manuela Kerer zu Klangfarben inspiriert, die – wie Viktoria selbst – oft zwischen den Zeilen schwingen. „Mit Blick auf Viktoria will ich auch das Heute hinterfragen, herausarbeiten, was auf den ersten Blick vielleicht nicht Verurteilens-wert erscheint, aber fatale Entwicklungen mit sich zieht. Denn wie viel ist heute politisch wieder möglich, was vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre”, sagt die Komponistin Manuela Kerer.
Die Auftragsarbeit Toteis ist eine Koproduktion von Neue Oper Wien, Stiftung Haydn und Vereinigte Bühnen Bozen. Mit Isabel Seebacher (Viktoria Savs) Verena Gunz (Karola, Vikerl) Alexander Kaimbacher (Luis, Peter), Bernhard Landauer (Hansl), Klemens Sander (Eugen). Musikalische Leitung Walter Kobéra. Regie und Bühnenbild Mirella Weingarten, Kostüme Julia Müer. Lighting design Norbert Chmel. Klangregie Christina Bauer. Chor Wiener Kammerchor. Chorleiter Bernhard Jaretz. Es spielt das Haydn Orchester von Bozen und Trient.
Am 15., 18. und 19. September wird die Oper in Wien aufgeführt.
Oper.a Backstage
Einen Blick hinter die Kulissen der Produktion und Einblick in den Probenalltag erlaubt die Veranstaltungsreihe Oper.a Backstage am 9. März um 18.30 Uhr. Um Anmeldung wird via Mail an info@haydn.it gebeten.
Oper.a Intro
Am 13. und 15. März findet jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn eine Operneinführung statt.
Manuela Kerer, in Brixen geboren, studierte Komposition in Innsbruck und bei Alessandro Solbiati in Mailand. Sie hat bereits für das Solistenensemble Kaleidoskop in Berlin, das Klangforum Wien, „die reihe“, die Bayerische Kammerphilharmonie, die Münchener Biennale und Wien Modern sowie für Musiker wie Julius Berger und Maja Ratkje komponiert. Ihre Werke wurden im Konzerthaus in Berlin und Wien, auf dem Kampnagel in Hamburg, der Accademia Filarmonica Romana und der ACF in New York aufgeführt. Kerer erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Walther-von-der-Vogelweide Preis (2009), den SKE-Publikumspreis (2011) und das Österreichische Kompositionsstipendium (2008, 2011, 2016). Im Jahr 2009 wurde sie vom Ausschuss der Europaregionen zu einem von europaweit 100 young creative talents gewählt. 2012/2013 wurde Kerer vom österreichischen Außenministerium für das Programm „New Austrian Sound of Music“ ausgewählt. 2015 erhielt sie das internationale Stipendium „Composer in Residence – Komponistinnen in Frankfurt“. 2016 war sie Composer in Residence bei den Festspielen St. Gallen / Steiermark, 2019 bei der Schlossmediale Werdenberg und beim Festival „Leicht über Linz“.
Martin Plattner, geboren 1975 in Zams, aufgewachsen in Wenns im Pitztal, lebt als freier Schriftsteller in Wien und Innsbruck. Studium der Komparatistik an der Universität Innsbruck. Zwischen 2002 und 2010 Hospitanzen, Regie- sowie Kostümassistenzen und Tätigkeit als Dramaturg in der freien Szene (Wien, Niederösterreich, Schweiz). Seit 2003 schreibt er Theatertexte, die u.a. am Landestheater Linz, am Landestheater Innsbruck, an den Vereinigten Bühnen Bozen, am brut im Künstlerhaus in Wien und im Laboratorio Arte Alameda in Mexiko-Stadt gezeigt wurden. Für seine Arbeit wurde Plattner mehrfach ausgezeichnet.