Von: Ivd
Brixen – Beim Betreten der Ausstellung „BETON IM GEHIRN und andere Geschichten“ in der StadtGalerie Brixen breitet sich ein Nebelteppich vor den Besucher aus. Hier und da brechen die Lichter hoher Türme durch die Decke aus gräulichdunstigen Wassertröpfchen. Nur allmählich tauchen die aus verschiedenen Materialien gefertigten Skulpturen Fabian Feichters auf.
Das vorangestellte Gedicht des Surrealisten Paul Nougé scheint gleich mehrfach in Feichters Installation widerzuhallen. Da ist die „GRAU-WEISSE MASSE“ – das Gehirn, oder doch das Material Beton, jeweils aus dem Titel der Ausstellung? Die beiden scheinen in einem Gegensatz zueinander zu stehen. Das eine weich, das andere hart – geht es um rigide, festgefahrene Gedanken? In seinem ursprünglichen Zustand ist aber auch Beton beliebig formbar. So sind die grauen Teile der Skulpturen in Leichtbeton gegossen. Eine Silikonschicht verleiht ihnen eine weiche Haut. Sowohl die Betonmasse als auch das menschliche Gehirn bestehen zum Teil aus Wasser.
Die Objekte selbst lassen an organische Strukturen denken oder an Architekturen und „LANDSCHAFT“ aus der Vogelperspektive. Der Künstler spricht von Städten – jedes für sich eine „WUNDERSAME STADT“, wie Paul Nougé es im Gedicht nennt, von Feichter erdacht? Ähnlich wie wenn man nachts aus einem Flugzeug einen kurzen Blick auf die blinkenden Lichter darunter erhascht, weiß man auch hier nicht, um welche Stadt es sich jeweils handelt. Wer oder was könnte sie bewohnen?
Auch Sie als Besucher dürfen Vertrautes oder Neues darin entdecken. Doch lang bleibt dafür keine Zeit. Nur durch die Lücken im Nebel lassen sich immer wieder einzelne Details erkennen. Auch wenn man auf einem Berg steht, in Nebel gehüllt, sich seiner selbst und dem, was einen unmittelbar umgibt, in besonderem Maße bewusst, zeigen sich immer wieder einzelne gegenüberliegende Gipfel durch Wolkenlöcher. Die Nebelschwaden in der Galerie, die das Ganze sogleich wieder verschwinden lassen, könnten auch sinnbildlich für das stehen, was im Inneren unserer Köpfe passiert: Gedanken und Erlebnisse werden zu Erinnerungen, die dann nach und nach an Klarheit verlieren und verblassen.
Im Nebenraum erweitert eine Videoarbeit der Künstlerin Youlee Ku die Skulpturen und den Gedankenraum. Handelt es sich um Aufnahmen aus dem Weltraum oder doch um Plankton und Mikrolebewesen in der Tiefsee? Ein mysteriöses Licht erfüllt die Szene. An einen Vulkanausbruch erinnernd fliegen wie „FEUER“ glühende Spritzer aus Kus Film aus den halbrunden Schatten, die Feichters Skulpturen an die Wand werfen. Pflanzlich anmutende Formen vereinen sich in seinen Objekten, wie auch schon im Hauptraum, mit eindeutig von Menschen erschaffenen, technischen Geräten. Der Sound, der aus den Lautsprechern ertönt, stammt ebenfalls von Feichter und gibt unterschiedliche Heilfrequenzen wieder, die sich positiv auf bestimmte Körperteile, Organe oder den Geist auswirken sollen. Die beruhigende Stimmung rührt vermutlich auch daher, dass das Video in extremer Verlangsamung wiedergegeben wird. Kaum zu glauben, dass es sich bei dem, was wir sehen, lediglich um einen Stoß Wasser aus einer Sprühflasche im Sonnenlicht handelt.
Überquert man den Eisack, kann man auf der anderen Seite der Adlerbrücke für die Zeit der Ausstellung im Lasserhaus noch eine weitere Arbeit Feichters besichtigen. Im Frühstücksbereich des Hotels schwebt in einem Lichtschacht eine Art Kronleuchter und entführt die Darunterstehenden bzw. -sitzenden in eine andere Wasser- und Lichtwelt. Der zentrale Treffpunkt im Gebäude – vielleicht der Bereich, der am ehesten das Äquivalent des Bankettsaals in einem Schloss sein könnte – wird so hervorgehoben. Während bei klassischen Lüstern die Kerzen nach oben gerichtet sind, leuchten oder hängen die LED-Röhren bei Feichter nach unten und verbreiten ihr kühles Licht im Raum. Die Kunststoffelemente brechen das Licht nicht wie Prismen aus geschliffenem Glas oder früher noch, ausgehend von Oberitalien, aus Bergkristall, und doch werden die Gehänge wie bei den historischen Vorbildern von einem lebendigen Lichtspiel erfüllt. Je nach Dicke lassen sie Mal mehr, Mal weniger Licht hindurch, färben es in zarten Pastelltönen ein. In der Farbgebung greift Feichter ähnliche Töne wie in der StadtGalerie auf, die rund um seine eigenen Hauttöne changieren. Die Gehänge selbst erinnern an Fossilien. Mehr oder weniger vollständige Überreste von Fantasiefischen, Schnecken und anderen unerklärlichen Meereswesen lassen die Betrachter in unbekannte Sphären eintauchen. Während die Rauminstallation der StadtGalerie von oben den Blick auf verschiedene Städte erlaubt, zoomt das skulpturale Objekt Everything Loose direkt ans Zentrum eines solchen bewohnbaren Ortes und die von ihm beherbergten Wesen zwischen Tier und Mensch heran.