„Deine Augen sahen, wie ich entstand“

Bischof Muser zum Tag des Lebens 2022

Sonntag, 06. Februar 2022 | 07:59 Uhr

Von: luk

Der „Tag des Lebens“, der in der Kirche Italiens jedes Jahr am ersten Sonntag im Februar begangen wird, fällt 2022 auf den 6. Februar. Die italienische Bischofskonferenz hat ihn unter das Leitwort gestellt: „Jedes Leben, von seinem Anfang bis zu seinem Ende, soll geschützt werden“. Das unbedingte „Ja zum Leben“ stellt auch Bischof Ivo Muser in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Die Botschaft des Bischofs im Wortlaut.

 

„Deine Augen sahen, wie ich entstand“

Als einen besonders treffenden „Kommentar“ zu diesem Leitwort empfinde ich den Psalm 139. Wer ihn geschrieben hat, hatte keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, die wir heute auch nur entfernt so nennen könnten. Aber er hat doch sehr viel von der Welt und vom Geheimnis des Lebens begriffen. Alles beginnt mit dem Staunen: „Herr, du hast mich erforscht, und du kennst mich. Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir…Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich…Denn du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter. Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast…Deine Augen sahen, wie ich entstand. In deinem Buch war schon alles verzeichnet; meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war. Wie schwierig sind für mich, o Gott, deine Gedanken, wie gewaltig ist ihre Zahl. Wollte ich sie zählen, es wären mehr als der Sand. Käme ich bis zum Ende, wäre ich noch immer bei dir“ (Psalm 139, 1-2.5.13-14.16-18).

Gott ist ein Freund des Lebens. Diese Botschaft zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Heilsgeschichte des Alten und des Neuen Testaments. Er ist der Schöpfer, der das Leben will und fördert. Er ist der Grund des Lebens. In der Menschwerdung Jesu, die der Höhepunkt dieser Heilsgeschichte ist, bekennt Gott sich so sehr zum Menschen, dass er einer von uns wird. Er nimmt menschliches Leben an, er teilt menschliches Leben mit uns bis in den Abgrund des Kreuzes und er schenkt unserem menschlichen Leben Ewigkeitswert. Deswegen sind wir Christinnen und Christen berufen, Freunde des Lebens zu sein: des geborenen und des noch nicht geborenen; des gesunden und des kranken Lebens, des irdischen und des ewigen Lebens.

JA zum Leben – am Anfang

Menschliches Leben ist heute besonders an seinem Anfang und an seinem Ende gefährdet. Deswegen wissen wir uns als Kirche verpflichtet, das Leben in all seinen Formen zu achten und zu schützen, vor allem auch, wenn es um Abtreibung und aktive Sterbehilfe, aber auch um den Schutz von Embryonen geht. Es ist immer gefährlich, fragwürdige Einteilungen zuzulassen und anzuwenden, wenn es um den Wert und die Würde menschlichen Lebens geht: ungeboren / geboren; gesund / krank; beeinträchtigt/ normal; jung / alt; lebenswert / lebensunwert. Die Geschichte ist voll von mahnenden Beispielen.

Mit klaren und unmissverständlichen Worten hat Papst Franziskus in seinem Lehrschreiben “Evangelii gaudium” festgehalten, dass die Kirche auf der Seite der ungeborenen Kinder steht. Sie verdienen unsere ganze Aufmerksamkeit, unseren Einsatz und unsere Stimme. Sie sind „die Schutzlosesten und Unschuldigsten von allen, denen man heute die Menschenwürde absprechen will, um mit ihnen machen zu können, was man will“, betont der Papst. Mit der gleichen Klarheit fordert er dazu auf, schwangere Frauen nicht allein zu lassen, sie zu begleiten und ihnen jene Hilfe zukommen zu lassen, die sie brauchen.

Frauen als besondere Hüterinnen des Lebens

Zum „Tag des Lebens“ bitte ich auch um ein entschiedenes, überzeugtes und gemeinsames Nein gegenüber jeder Gewalt an Frauen, die schon von der Schöpfungsordnung her in besonderer Weise berufen sind, Hüterinnen des Lebens zu sein. Es muss uns als Gesellschaft beschämen, dass immer noch zu viele wegschauen und oft sogar diese Gewalt verharmlosen. Gewalt gegenüber Frauen reicht von psychischer Unterdrückung bis hin zu schwersten körperlichen Angriffen, die manchmal in familiären Katastrophen enden. Auch die sexuelle Ausbeutung ist eine schwere Verletzung der Würde der Frau. Sie kann in der eigenen Familie ebenso stattfinden wie durch Prostitution. Papst Franziskus sagte in seiner Neujahrspredigt 2022: „Wie viel Gewalt gibt es gegen Frauen! Damit muss Schluss sein! Eine Frau zu verletzen, bedeutet, Gott zu beleidigen, der von einer Frau seine Menschengestalt angenommen hat.“

JA zum Leben – am Ende

Als Christinnen und Christen glauben wir, dass das Leben auch durch Leid und Krankheit nicht seinen Sinn verliert. Von dieser Hoffnung geben wir Zeugnis, indem wir kranken und sterbenden Menschen nahe sind. Sie sollen an der Hand, nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben dürfen. Gerade am Lebensende eines Menschen ist es unsere Aufgabe, die Nähe und Liebe Gottes zu bezeugen, die auch den Tod überwindet. Indem wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, das körperliche und psychische Leiden zu lindern. Indem wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, sterbende Menschen sozial einzubinden und geistlich zu begleiten. Aber auch, indem wir die Grenzen der Medizin annehmen und niemanden gegen den eigenen Willen therapieren. Wenn Therapien ihr Ziel nicht mehr erreichen, dürfen sie abgebrochen oder unterlassen werden.

Wir brauchen eine Richtungsentscheidung für das Leben!

Ich danke allen, die mit Hoffnung und Lebensfreude, mutig und entschieden, dem Leben den Vorzug geben: im Reden, im Tun, in der eigenen Lebenseinstellung und Lebensführung, in der konkreten Hilfe allen gegenüber, die schwer tragen an der Last ihres Lebens und die sich nur dann für das Leben entscheiden können, wenn sie unterstützt und begleitet werden.

Bezirk: Bozen