"Schlicht aus wissenschaftlicher Sicht"

Debatte um „Sonderklasse“: Uni Bozen schlägt sich auf die Seite der Politik

Dienstag, 01. Oktober 2024 | 17:59 Uhr

Von: mk

Bozen – In die Diskussion rund um die Klasse an der Goetheschule in Bozen für Kinder, die kein Deutsch sprechen, schaltet sich auch die Universität Bozen ein. „Mit Erleichterung haben wir die Nachricht vernommen, dass es in Bozen keine Sonderklasse geben wird für Kinder und Jugendliche, denen von Seiten ihrer Schule geringe Deutschkenntnisse attestiert werden. Dies ist beruhigend und zwar weder aus ideologischen noch aus politischen Gründen, sondern schlicht aus wissenschaftlicher Sicht“, schreiben Prof.in Simone Seitz, Direktorin des Kompetenzzentrums für Inklusion im Bildungsbereich der unibz, und Prof.in Heidrun Demo, Vize-Direktorin des Kompetenzzentrums für Inklusion im Bildungsbereich in einer Aussendung.

Ganz allgemein habe die Schule nicht die Aufgabe, Kinder nach ihren vorab erworbenen Kompetenzen zu sortieren, sondern gerade umgekehrt, allen Kindern gleichermaßen Bildung und damit auch den Erwerb der so wichtigen sprachlichen Kompetenzen zu ermöglichen, heißt es in der Aussendung. Die anspruchsvolle Aufgabe der Schule sei es folglich, Kindern unterschiedlicher Lebenslagen und Vorerfahrungen in der Schulklasse als einer „Gemeinschaft der Verschiedenen“ den Erwerb von Wissen und die Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu ermöglichen. „Die Trennung von Kindern nach sozialen Kategorien wie Migrationserfahrungen ist daher fachlich gesehen widersinnig. Dass Kinder eine Sprache kaum lernen können, wenn sie hierfür systematisch ausgerechnet von den Kindern getrennt werden, die diese Sprache sprechen, ist nicht nur alltagslogisch gesehen klar, sondern wurde auch wissenschaftlich in vielen Studien gezeigt“, so die Professorinnen.

Dem internationalen Wissensstand folgend könne eindeutig gesagt werden, dass Sonderklassen dieser Art nicht effektiv seien, sondern sich lernhinderlich auswirken würden. „In vielen Studien wurde gezeigt, dass den solcherart ausgesonderten Kindern mit systematisch abgesenkten Erwartungen begegnet wird und sich die Erfahrung von Marginalisierung und Segregation negativ auf die persönliche und soziale Entwicklung der Betroffenen auswirkt. Sonderklassen werden von den Kindern und Jugendlichen als Abwertung und Beschämung durch Erwachsene erlebt – sie sind demotivierend und bringen die Kinder und ihre Familien in Distanz zur Schule“, so die Professorinnen.

Zudem würden die in den „ausgelesenen“ Klassen verbleibenden Kinder auf diesem Weg lernen, dass es legitim sei, Kinder aufgrund bestimmter sozialer Merkmale aus der Gruppe auszuschließen und sie zu benachteiligen. „Eine höchst problematische pädagogische Botschaft einer Schule“, finden die Professorinnen.

Bezogen auf den Unterricht sei seit langem klar, dass es keine homogenen Lerngruppen gebe und ein Unterricht, in dem alle Kinder zum gleichen Zeitpunkt auf exakt die gleiche Art zum gleichen Lernziel gebracht werden könnten, eine Illusion darstelle.

„Guter Unterricht, darüber besteht auch international Einigkeit, basiert auf der Idee der Heterogenität einer Lerngruppe. Offene Unterrichtsformen, in denen es normal ist, dass Kinder unterschiedlich lernen, sind daher weithin empfohlen, konzeptionell gut entwickelt und bieten viele Möglichkeiten der individuellen Förderung innerhalb der Gruppengemeinschaft“, so die Professorinnen.

Lehrpersonen bräuchten dafür Strukturen, die offene Unterrichtsformen unterstützen (z. B. flexible räumliche Anordnungen) und Zeit für die Planung und Reflektion im Team. „Vor allem aber ist es wichtig, an Schulkulturen zu arbeiten. Ein Positivbeispiel ist die von uns wissenschaftlich begleitete Initiative ‚Wege in die Bildung 2030 – guter Unterricht in der inklusiven Schule‘ an deutschsprachigen Schulen in der Provinz: Über Fortbildung und Prozessbegleitung werden hier die schulinternen Entwicklungsprozesse zur Qualität des Bildungsangebots gestärkt. Dies zeigt, dass Qualitätsentwicklung Investitionen in die Aus- und Fortbildung des Personals erfordert – aber auch, dass es sich unbedingt lohnt“, so die Professorinnen abschließend.

Bezirk: Bozen

Kommentare

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8 Kommentare auf "Debatte um „Sonderklasse“: Uni Bozen schlägt sich auf die Seite der Politik"


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berthu
berthu
Universalgelehrter
14 Tage 5 h

Dann Frau Professor, halten Sie mal dort Unterricht, nur so zum Vergewissern, wie das funktionieren soll;-)

Doolin
Doolin
Kinig
14 Tage 2 h

…die Uni schägt sich auf die Seite der Politik, die Politik schlägt sich nicht auf die Seite der Bevölkerung…

@
@
Kinig
13 Tage 10 h

Beim Durchlesen der Kommentare in diesem Forum zum Thema “Sonderklasse” entsteht der Eindruck, dass die Verfasser über umfassende Erfahrungen und Fachkenntnisse in diesem Bereich verfügen. Einige dieser selbsternannten “Experten” scheinen zudem der Überzeugung zu sein, über den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu stehen. Es überrascht daher nicht, dass sie die negativen Bewertungen zahlreicher Studien, die in Deutschland und Österreich zu den Deutsch-Förderklassen durchgeführt wurden, konsequent ignorieren. Dies verdeutlicht einmal mehr, dass oft gerade diejenigen, die am wenigsten wissen, sich am kompetentesten präsentieren. Diese kognitive Verzerrung ist ein typisches Merkmal des Selbstverständnisses inkompetenter Menschen.

Doolin
Doolin
Kinig
14 Tage 6 h

…theoretisch hams ja recht, aber in der Praxis kann ein Kind nicht anständig deutsch lernen, wenn die übergrosse Mehrheit der Schüler der Klasse diese Sprache nicht versteht…hier soll politisch der Muttersprachenunterricht, der uns laut Autonomiestatut zusteht gezielt verwässert werden…

NaSellSchunSell
NaSellSchunSell
Superredner
13 Tage 16 h
schon hetzig wie sie alle gscheid daher reden, ohne zu wissen, wie genau so eine “Sonderklasse” abgelaufen wäre. Kleiner Hinweis: Nicht so wie in den Medien beschrieben, also hier nur Migrationskinder, dort nur deutsche Muttersprachler. Die Schulführungskräfte müssen mit den ungenügenden personellen und strukturellen Ressourcen arbeiten und versuchen, das Beste für die Kinder rauszuholen. Mit mehr Räumlichkeiten und mehr Personal wäre einiges möglich, aber das kostet Geld. Dieses steckt man dann eher in Prestigeobjekte wie das Medizinstudium, aber für die Kleinen? Pfff… who cares… Und wehe, jemand versucht auf eigene Faust, die Misere mit den ganzen Nicht-Muttersprachlern irgendwie anders zu… Weiterlesen »
thomas
thomas
Kinig
14 Tage 4 h

lassen wir doch die Experten und Schulleute daran arbeiten.

berthu
berthu
Universalgelehrter
13 Tage 13 h

…ja die Schul-haltenden, nicht die unerfahrenen Überqualifizierten!

Paladin
Paladin
Universalgelehrter
13 Tage 13 h

Alle reden sehr gscheid, vor allem diejenigen die nie einen Fuß in diese Schulen gesetzt haben, damit sind vor allem die Politik, aber auch diese Wissenschaftler gemeint. Vielleicht sollte man mal das Lehrpersonal zu Wort kommen lassen. Genau die Leute die sich nämlich jeden Tag mit dieser Situation beschäftigen und aus praktischer(!) Erfahrung wissen was dort genau läuft. Mich würde wirklich mal deren Meinung interessieren, nicht was irgendwelche Uni-Professoren oder SVP-Politiker denken. Wenn ich einen Klempner brauche frage ich auch nicht den SVP-Bezirksobmann wie er es machen würde!

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