Von: ka
Bozen – Die Weltgesundheitsorganisation und die Weltbank haben schätzen lassen, welche Krankheiten die wichtigsten sind. Das Ergebnis: Unmittelbar vor Covid waren für Männer Herz-Kreislaufkrankheiten und für Frauen Depressionen die wichtigsten Leiden überhaupt. Jeder 3. Mensch erleidet im Lauf seines Lebens eine seelische Störung, jeder 8. Mann und jede 4. Frau eine Depression. Je älter man wird, desto größer ist das Risiko dafür. Während Kinder ab dem 3. Lebensjahr außerordentlich selten daran erkranken, leiden ca 5% der erwachsenen Bevölkerung in Europa daran, und ungefähr 8 % der über 65jährigen. In Altersheimen sind hingegen im Durchschnitt 35% aller Insassen depressiv. Die psychischen Krankheiten werden oft wie eine Schande oder persönliche Schuld erlebt, Betroffene wollen sie sich nicht „eingestehen“, und auch Angehörige schämen sich dafür.
Diese Haltung muss aufhören, denn sie macht den Erkrankten das Leben doppelt schwer.
Oft geht einer Depression eine besondere Belastung oder anhaltende Überforderung voraus. Besonders Verlusterlebnisse können sie auslösen. Trennung, Scheidung, oder in höherem Lebensalter der Tod von Partnern und anderen Familienmitgliedern, der Verlust der körperlichen Kraft, die Verminderung des Hör- und Sehvermögens sind Einschränkungen, die nicht immer leicht verdaut werden. Vor allem wenn mehrere dieser Veränderungen gleichzeitig auftreten und ungünstig zusammen wirken, können sie Auslöser für Depressionen werden. Eine Depression kann aber auch wie ein Blitz aus heiterem Himmel ohne ersichtlichen Grund auftreten. Menschen, die an Depressionen leiden, haben ein 20mal höheres Risiko, sich das Leben zu nehmen, als der Durchschnitt der Bevölkerung. Auch deshalb muss klar werden: Depression ist keine „Einbildung“, und auch nicht der Ausdruck persönlichen Versagens. Sie ist eine manchmal gefährliche Krankheit, die jeden treffen und heute gut behandelt werden kann.
Die zwei wichtigsten Hinweise auf eine Depression sind eine dauerhaft gedrückte Stimmung mit Ängsten, Sorgen und Verzweiflung, und der Verlust von Freuden und Interessen. Was früher Spaß gemacht hat, wie angenehme Gesellschaft und Hobbies, wird schwer und zur Qual, weil die Energie dafür fehlt. Betroffene berichten von einer inneren Leere und Starre, die sie manchmal nicht einmal mehr weinen lässt. Meist ist der Schlaf gestört, mit zu frühem Erwachen und Grübeln, und der Appetit fehlt, was zu Abmagerung führt. Wenn solche Zustände mindestens zwei Wochen dauern, spricht man von Depression. Oft ziehen sich leichtere Depressionen über Jahre hin, bevor sie als solche erkannt werden. Meist leidet der Körper mit, was zu verschiedenen Schmerzen, Druck auf der Brust, schwerem Atem, Verstopfung oder Durchfall, Schwindel oder Gefühllosigkeit, Übelkeit und Herzklopfen führen kann. Depressionen sind morgens stärker, abends werden sie leichter. Sie treten im Herbst und im Frühjahr vermehrt auf, der Sommer ist bezogen auf Depressionen die günstigste Zeit.
Die Altersdepression hat Besonderheiten. Dabei entstehen oft negative Überzeugungen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben, wie zum Beispiel, zu verarmen, zu verhungern, körperlich schwer krank zu sein oder bestohlen zu werden. Diese falschen Gewissheiten verschwinden erst, wenn man die Depression richtig erkennt und behandelt.
Depressionen verändern den Stoffwechsel im Gehirn. Bestimmte aktivierende Botenstoffe wie das Serotonin werden weniger stark gebildet und positive Signale setzen sich im Gehirn nicht mehr so gut durch. Dadurch kommt es zu einer negativeren Sicht der eigenen Person, der Umwelt und der Zukunft.
Depressionen können heute in aller Regel gut behandelt werden. Der wichtigste Schritt ist die Suche nach Hilfe. Betroffene sind oft zu schwach dazu, deshalb sollen Angehörige für sie handeln und Termine bei Hausärzten, Psychiatern und Psychologen vereinbaren, sie auch hin begleiten, notfalls für sie sprechen. Die wichtigsten Hilfen bei Depressionen stellen Psychotherapie, antidepressive Medikamente und Selbsthilfegruppen dar.
In einer Psychotherapie wird durch vertrauensvolle Gespräche und Verhaltensübungen erreicht, dass Betroffene ihre Schwierigkeiten anders sehen und neu damit umgehen. Dieser Weg ist häufig lang, er kann Monate und Jahre beanspruchen, wirkt dafür sehr nachhaltig. Rasche Besserung hingegen kann durch antidepressive Medikamente erzielt werden. Diese Medikamente machen nicht abhängig und verändern auch nicht die Persönlichkeit. Nach zwei bis drei Wochen regelmäßiger Einnahme lassen sie langsam wieder mehr Energie entstehen und bessern anschließend die Stimmung. Ältere Menschen sind allerdings auf medikamentöse Behandlungen empfindlicher, brauchen geringere Mengen und haben einen langsameren Stoffwechsel. Auch nehmen sie häufig andere Medikamente bereits ein, sodass die Therapien gut zusammen passen müssen. Deshalb kann es auch 6 bis 8 Wochen dauern, bis die günstige Wirkung eintritt. Selbsthilfegruppen sind Orte, wo Gleichgesinnte sich treffen und ihre Erfahrungen austauschen. Depressiv Erkrankte merken dabei, dass sie nicht allein sind, und dass es Menschen gibt, die sie sehr wohl verstehen können.
In besonderen Fällen helfen auch Schlafentzug, Lichttherapie, transkranielle Magnetstimulation, eine Gleichstromhaube oder die Elektrokrampftherapie gegen Depressionen. Dabei können auch Menschen mit sehr schweren oder lebensgefährlichen Verläufen geheilt werden. Das größte Erfolgsgeheimnis ist die Kombination mehrerer Maßnahmen, die auf den einzelnen Betroffenen genau zugeschnitten ist. Bewegung im Freien, Sonnenlicht und ausgewogene Ernährung ohne strenge Diäten, kreative Beschäftigung, gute Beziehungen (auch zu Tieren) und Freundschaften sind im Kampf gegen Depressionen ebenfalls wirksam. Was aber jeder Mitmensch einem depressiv Erkrankten beisteuern kann, ist Verständnis. Psychisch kranke Menschen brauchen gerade auch in hohem und in höchstem Alter dasselbe wie wir alle, nämlich Zuneigung und Anerkennung, nur etwas mehr davon.