Literaturstudent Karl wird vom Südtiroler Shootingstar Thomas Prenn gespielt

“Die Mittagsfrau”: Eine Figur der Zeitgeschichte für das Heute

Freitag, 20. Oktober 2023 | 09:35 Uhr

Von: apa

Julia Francks Roman “Die Mittagsfrau” ist ein gewichtiges Dokument über die deutsche Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Österreichs Erfolgsregisseurin Barbara Albert (“Licht”) hat sich nun des Stoffes angenommen und die fiktive Biografie der Helene Würsich mit Mala Emde in der Hauptrolle verfilmt. Herausgekommen ist ein Porträt, mit dem aus dem Kleinen heraus das große Ganze erzählt wird. Ab Mittwoch im Kino.

Im Zentrum der “Mittagsfrau” steht Helene (Emde), die anfangs “Engelchen” genannte junge Frau aus der deutschen Provinz, die mit ihrer Schwester Martha (Liliane Amuat) bei der psychisch gestörten Mutter aufwächst, die zu keiner Empathie fähig ist. Der Erste Weltkrieg ist geschlagen, die Würfel sind gefallen.

Doch für die intelligente Helene, die Ärztin werden möchte, scheint die Welt dennoch offenzustehen. Gemeinsam mit Martha flieht sie in die vibrierende Metropole Berlin zur Tante und genießt die Goldenen 20er bald in vollen Zügen. Die schüchterne Landmaus wird zur flamboyanten Großstadtpflanze und verliebt sich in den sensiblen Literaturstudenten Karl (gespielt vom Südtiroler Shootingstar Thomas Prenn). Das Leben ist schön, voller Aufbruch. Doch Karl stirbt, und die Nazizeit wirft ihre ersten Schatten voraus.

Zeitsprung. Helenes Haare werden wieder länger, ihr Traum, Ärztin zu werden, ist der Arbeit als Krankenschwester gewichen. Doch der notwendige “Ariernachweis” schwebt als Damoklesschwert über der von einer jüdischen Mutter abstammenden Helene. Da trifft sie im Spital den Soldaten Wilhelm (Max von der Groeben), der sich in sie verliebt.

Obgleich mit den Nazis sympathisierend, besorgt er ihr falsche Papiere. Und Helene heiratet ihn, auch wenn sie seine Gefühle nicht erwidert. Sie wandelt ihre Identität endgültig. Aus der lebenshungrigen, intellektuellen Helene wird die biedere Hausfrau Alice. Helene/Alice ist jedoch weiterhin stark, erträgt auch, als Wilhelm sie und das Baby letztlich verlässt. Sie bringt ihren Sohn als alleinerziehende Mutter durch die Kriegsjahre. Bevor sie geht und versucht, ihr altes Ich wiederzufinden.

Albert fokussiert die in mehrere Charaktere ausufernde Romanvorlage ganz auf Helene. Ungeachtet aller Ausziselierung durch Mala Emde, wird diese gleichsam zur Metapher auf die deutsche Gesellschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert. Man hat sich verloren und vergessen. Das Verdienst der Filmemacherin, die auch als Co-Autorin das Drehbuch mitverfasste, ist dabei, keine einfache Schwarz-Weiß-Zeichnung zu betreiben. Die Figuren werden in ihren Ambivalenzen, ihrer Vielschichtigkeit geschildert, etwa der unsichere Wilhelm, der bei aller Brutalität auch in seinen sanfteren Seiten gezeigt wird. Auf dieser Basis reicht “Die Mittagsfrau” über die reine Parabel hinaus und nimmt auch menschlich für ihre Protagonisten ein.

 

Bezirk: Bozen