Von: apa
Die Beschäftigung mit dem Neuen, Unbekannten und Fremden steht heuer im Fokus des Kremser donaufestivals. Der gestrige Eröffnungstag brachte in dieser Hinsicht nicht nur herausfordernde Gedankenspiele wissenschaftlichen Zuschnitts, sondern auch ein gerüttelt Maß an Nostalgie für Rockfans. Zwischen Modellen der Zukunft und dem Shoegaze von gestern wurde so die “Community of Aliens” beschworen, zu der sich das Publikum zahlreich einfand.
Ein bisschen fremd fühlten sich wohl viele im Forum Frohner, wo die österreichischen Medienkünstler Sylvia Eckermann und Gerald Nestler ihre installative Performance “Like a Ray in Search of its Mirror” eingerichtet haben. Während einzelne Gewebeobjekte die Blicke auf sich zogen, sich zwei Tänzer in Zeitlupe durch den Raum wanden und musikalische Intermezzi das Gebotene auflockerten, gab es auf Englisch mehr als eine Stunde lang theoretische Abhandlungen über das Innen und Außen, das (künftige) Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt sowie das Zusammenleben von belebter und unbelebter Natur generell. Die vielen Sprechenden vor Ort und via digitaler Zuschaltung führten zu einer Fragmentierung, die weniger erhellend als letztlich ermüdend wirkte.
Für Bewegung, wenngleich in klar abgestecktem Rahmen, sorgte hingegen eine Zeitreise in die andere Richtung: Mit The Jesus and Mary Chain waren immerhin Helden der 80er nach Krems gekommen, um eingängigen Shoegaze-Rock mit repetitiver Note in den Stadtsaal zu knallen. Die schottische Gruppe um die Brüder Jim und William Reid hat mit “Glasgow Eyes” jüngst ein neues Album veröffentlicht, ihr Sound blieb dennoch angenehm aus der Zeit gefallen. Vor der Bühne wurden Arme in die Luft gereckt und die Köpfe geschüttelt, auf der Bühne gab es solide Handarbeit. So brannten zwar viele für Tracks wie “Happy When It Rains” oder “Just Like Honey”, ein wirkliches Feuer wurde aus diesem Glühen allerdings nicht.
Da musste man schon zur tunesischen Elektronikmusikerin Deena Abdelwahed pilgern, um wirklich umgeworfen zu werden: Ihre von arabischen Klängen durchzogenen Clubmusik war gleichermaßen abwechslungsreich wie zwingend. Und dass, obwohl die Musikerin auf ihr eigenes Equipment verzichten musste, weil dieses in Paris hängengeblieben war. “Aber es wird schon funktionieren, immerhin ist das mein Job”, meinte sie vor dem Auftritt gegenüber der APA augenzwinkernd. Gemerkt hätte man von Einschränkungen jedenfalls nichts, was auch an ihrem Kollegen Khalil Hentati lag, der mit ihr nicht nur am jüngsten Album “Jbal Rrsas” gearbeitet hat, sondern auch live für viel Druck sorgte.
Ihre Position zwischen geradliniger Clubästhetik und Experiment scheint Abdelwahed jedenfalls zu genießen. “Ich will ganz bewusst an beiden Orten gleichzeitig sein. Ich mag es, wenn es eine performative Ebene gibt im Club.” Ihre Inspiration komme stark von der “natürlichen Umgebung für Tanzmusik in der arabischen Welt”, erklärte sie. “Und das sind nun mal Partys. Keine Bühne, sondern einfach ein paar Musiker, ein Sänger – quasi die Alternative zum DJ. Es geht einfach darum, die Leute zum Tanzen zu bringen. Das sind keine Konzerte, für die Tickets verkauft werden, sondern Hochzeiten, Geburtstagsfeiern, solche Sachen. Ich bin davon genauso ein Teil wie von der Musiktradition hier im Westen.” Zur Feierlichkeit wurde ihr Set (auch dank der tollen Visuals) allemal.
Wer stattdessen kurz in sich gehen und Ruhe finden wollte, der war bei “Song Sing Soil” von Eglė Budvytytė und Marija Olšauskaitė gut aufgehoben. Drei Performer:innen umkreisten sich auf drei zusammengeschweißten Trampolins, bewegten ihre Gliedmaßen zu artifiziellen R’n’B-Sounds, gingen auseinander, um nur wenig später wieder zusammenzufinden. Hier tropfte die Zeit und wurden Ängste kompostiert, wie den Lyrics zu entnehmen war. Das Ziel von alldem? Blieb auch eine halbe Stunde später im Ungewissen – wohl auch eine Art, um dem Festivalmotto zu entsprechen.
Eine kleine Livepremiere gab es für die heimische Band EAERES: Nach einem ersten Kurzeinsatz beim letztjährigen ImPulsTanz-Festival, war vom Quartett Katrin Euller, Leon Leder, Karolina Preuschl und Ursula Winterauer diesmal ein ganzes Set zu hören. Ihr minimalistischer Doom Metal bezog dabei seine hypnotische Wirkung vor allem aus der klug gewählten Abfolge zwischen An- und Entspannung, wurden doch die Drone-artigen Abschnitte immer wieder von lärmenden Eruptionen durchschnitten. Wo Euler an den Synths atmosphärische Klanggebilde zauberte, lieferte sich das Rhythmusduo Winterauer-Leder stoische Groove-Gefechte der anspruchsvollen Art, während Preuschl mal ansatzweise melodisch singend, dann wieder guttural brüllend in der Auslage stand.
Alle vier sind eigentlich als Soloartists im elektronischen Fach unterwegs, genießen aber die Bandarbeit ganz augenscheinlich. “Wir sind es ja gewöhnt, Dinge selbst zu entscheiden und zu komponieren”, verriet Winterauer im APA-Gespräch. “Aber es ist cool, diese Sachen in einer Gruppe prozessieren zu können. Dabei ist es sehr zuträglich, dass wir alle eine bestimmte Identität an künstlerischen Daseins etabliert haben.” Auf diese Weise habe man “die selbst angelegten Handschellen” aufbrechen können, schmunzelte Preuschl. Auch für Leder fühle sich “alles, was wir da machen, nach einer Bereicherung an”.
Ein Tonträger ist in naher Zukunft zwar noch nicht zu erwarten, wird vom Quartett aber durchaus angedacht. Was nach der druckvollen Performance definitiv eine gute Nachricht ist, denn in diesen Schluchten aus Noise und Kontemplation würde man sich gerne öfter verlieren. Sich fallen lassen zu können sei schließlich auch für die Band selbst essenziell. “Es ist extrem wichtig, dass dieser Moment eintritt”, nickte Winterauer. “Dass man frei wird im Kopf und nicht mehr genau überlegt, was muss ich tun, was muss passieren. Dann ist man ganz für sich.” Gleichzeitig sei ein klares Konzept für diese Art von Kontrollverlust unumgänglich. Also auch hier ein Wandeln zwischen den Welten, zwischen dem Bekannten und Unbekannten. So darf es an diesem Wochenende weitergehen.