++ HANDOUT ++ Die richtige Seite der Platte ist nun in Jerusalemer Grabeskirche zu sehen

Forscher fanden hinter Graffiti verborgenen Kreuzritteraltar

Montag, 15. Juli 2024 | 05:01 Uhr

Von: apa

Im Zuge von Bauarbeiten in der Jerusalemer Grabeskirche entpuppte sich die vermeintliche Rückseite einer Graffiti-beschmierten Steinplatte im hinteren Kirchenkorridor als spektakuläre Vorderseite einer früheren Konstruktion. Amit Re’em von der Israelischen Behörde für Altertümer und Ilya Berkovich von der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien identifizierten die Platte nun als Teil des verschollen geglaubten, im Jahr 1149 eingeweihten Kreuzritter-Hochaltars.

Den historischen Quellen zufolge wurde dieser Altar am 15. Juli 1149 – also vor exakt 875 Jahren – eingeweiht. Die Grabeskirche oder auch “Kirche vom heiligen Grab” gilt als eines der größten Heiligtümer der Christenheit. Sie wurde nach der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzritter um diese Zeit im romanischen Stil deutlich erweitert. Zum 50-Jahr-Jubiläum der Eroberung der “Heiligen Stadt” erfolgte dann die Weihung des kunstvoll gefertigten Kreuzritter-Hochaltars, wie es am Montag seitens der ÖAW in einer Aussendung heißt.

“Wir kennen aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert Pilgerberichte über einen prächtigen Marmoraltar in Jerusalem”, so der am ÖAW-Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes tätige Ilya Berkovich, der auch einer der Autoren der im Fachjournal “Eretz-Israel” erschienenen Studie zu der von den Wissenschaftern als “sensationell” eingestuften Neuentdeckung ist. Allerdings verlor sich die Spur der Konstruktion, die auch den christlichen Anspruch auf Jerusalem untermauern sollte, nach einem großen Brand im romanischen Teil der Kirche im Jahr 1808: “Seitdem war der Kreuzritter-Altar nicht mehr da – zumindest dachte man das die längste Zeit”, so Berkovich.

Umso überraschter war man, als bei Bauarbeiten eine über offenbar sehr lange Zeit nicht beachtete Steinplatte umgedreht wurde, die Besucher der öffentlich zugänglichen Kirche in den vergangenen in Jahrzehnten als Fläche für Graffitis missbrauchten. Beim Blick auf die andere Seite offenbarten sich charakteristische Schleifenornamente. Diese sogenannten “Quincunx”-Verzierungen zeigen fünf Kreise, die von einem einzigen verschlungenen Band gebildet werden. Das symbolisiert u.a. die Unendlichkeit der Schöpfung Gottes. Die fünf Kreise spielen überdies auf die Wunden Christi und das Wappen des Kreuzfahrerkönigreichs Jerusalem an.

Die Platte ist zu gut zwei Drittel erhalten geblieben. Sie bildete einst die prächtige Front – genannt “Paliotto” – des Altars. Dabei handelte es sich um eine truhenartige Konstruktion, bestehend aus vier aufrecht stehenden viereckigen Platten, die von einer “Mensa” genannten Tischplatte bedeckt waren, wie Berkovich gegenüber der APA erklärte.

Leider lasse sich bis dato nichts darüber sagen, wann und warum die große Platte einst an der Wand im hinteren Teil der Kirche angelehnt wurde. Die Entdeckung sei umso erstaunlicher, da die Grabeskirche ein sehr intensiv erforschter Ort ist. Berkovich: “Mit einer ursprünglichen Breite von mehr als 3,5 Metern haben wir hier den größten mittelalterlichen Altar entdeckt, der derzeit bekannt ist.”

“Dass ausgerechnet an dieser Stelle etwas so Bedeutendes so lange unerkannt herumliegen konnte, kam für alle Beteiligten völlig unerwartet”, so der ÖAW-Historiker, der bei seinen Nachforschungen allerdings auf einen Augenzeugenbericht gestoßen ist, in dem davon die Rede ist, dass die Vorderseite der Platte in den 1960er-Jahren einmal gesehen wurde. Im Nachgang der aktuellen Wiederentdeckung wurde die Platte – jetzt mit der besonderen Verzierung in Richtung Besucher – mit einem Stahlrahmen gesichert und wieder “im selben hinteren Korridor in der Kirche von heiligem Grab” aufgestellt, erklärte Berkovich.

Die Analysen der Wissenschafter zeigten, dass bei den heute noch gut sichtbaren geschwungenen Ornamenten eine Marmordeko-Fertigungstechnik angewendet wurde, die im Mittelalter eigentlich nur Handwerkermeister in Rom beherrschten. Dort war Marmor damals rar. So wurden Bruchstücke von antiken Fassaden heruntergekratzt und die Splitter dann an steinernen Unterlagen kunstvoll neu angeordnet.

Zeugnisse dieser “Kosmatesk” genannten Technik gab es bis dato außerhalb Italiens nur in der Londoner Westminster Abbey. Dorthin hatte der Papst damals eigens einen Kosmatesk-Meister entsandt. Dass das offenbar auch Mitte des 12. Jahrhunderts in Jerusalem der Fall war, habe vermutlich dazu gedient, den Anspruch des Christentums auf die Stadt zusätzlich zu unterstreichen. “Der Papst würdigte damit die heiligste Kirche der Christenheit”, so Berkovich.

(S E R V I C E – Link zur Publikation: https://go.apa.at/UbyAZGmm)