Von: apa
Florentina Holzingers Hindemith-Fortschreibung “Sancta”, eine Koproduktion u.a. mit den Wiener Festwochen, ist ebenso zum 62. Berliner Theatertreffen eingeladen wie die Virtual Reality Installation “End of Life”, die das Kollektiv DARUM im brut wien herausgebracht hat. Das gab die Jury, die heuer 738 Arbeiten in 88 Städten gesichtet hat, um die zehn bemerkenswerten Inszenierungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu finden, am Mittwoch bekannt.
“Sancta” als Aufreger
“Sancta” ist die erste Opernperformance der österreichischen Choreografin und Tänzerin, die erst vor wenigen Tagen für die Bespielung des Österreich-Pavillon der Kunstbiennale Venedig 2026 auserkoren wurde. Darin nimmt Holzinger Paul Hindemiths kurzen Opern-Einakter “Sancta Susanna” als Ausgangspunkt einer feministischen Abrechnung mit der kirchlichen Unterdrückungsgeschichte. Bei der Uraufführung im Mai 2024 in Schwerin und einen Monat später bei den Wiener Festwochen wurde die Performance, in der selbstverständliche weibliche Nacktheit ebenso eine Rolle spielen wie die Bereitschaft zur Selbstverletzung, umjubelt, erst bei späteren Aufführungen in Stuttgart wurde “Sancta” zum “Skandal”, als etliche Zuschauer medizinisch versorgt werden mussten.
“End of Life” als “virtuelle Ruinenlandschaft”
“[EOL]. End of Life. Eine virtuelle Ruinenlandschaft” wurde im September 2024 im brut Wien uraufgeführt. “Die VR-Erfahrung des Duos DARUM (Victoria Halper und Kai Krösche) macht digitale Welten selbst zum Thema, konkret die Überreste unserer täglichen Interaktionen im Netz”, heißt es im Jury-Statement. “Wer eine VR-Brille aufsetzt, erhält 9,6 qm Fläche und den Auftrag der Firma IRL (Imaginary Reality Landscapes), digitale Ruinen zu prüfen, auf die lange niemand zugegriffen hat. Es gilt zu entscheiden, was endgültig gelöscht und was ins Metaversum übernommen werden soll. Doch dann nimmt das Virtuelle die Prüfenden in Geiselhaft, und es entspinnt sich eine tief berührende Geschichte, die unser Verhältnis zum digitalen Erbe auf die Probe stellt und neue Maßstäbe virtuellen Erzählens setzt.”
Weitere Einladungen gingen u.a. an Inszenierungen der Regisseure Katie Mitchell, Ersan Mondtag und Anita Vulesica. Mit dabei ist auch “ja nichts ist ok”, die letzte Inszenierung des verstorbenen René Pollesch, die auch bereits in Wien zu sehen war. Die Österreicherin Nora Hertlein-Hull steht im zweiten Jahr an der Spitze dieser Bühnen-Leistungsschau, die heuer von 2. bis 18. Mai geplant ist. Die Jury bestand aus Eva Behrendt, Janis El-Bira, Valeria Heintges, Sabine Leucht, Martin Thomas Pesl, Katrin Ullmann und Sascha Westphal. Der Sichtungszeitraum erstreckte sich von 18. Jänner 2024 bis 16. Jänner 2025. Für den Auswahlprozess galt weiterhin die seit 2020 etablierte Frauenquote von mindestens 50 Prozent in der Regieposition. Laut Hertlein-Hull waren auch 44 Prozent der gesichteten Produktionen unter weiblicher Regieführung entstanden.
“Eine Auswahl ganz am Puls der Zeit”
Die ausgewählten Inszenierungen seien “voll abgründiger Poesie, Musik, Rhythmus und Sprachspiel – melancholisch und voller Weltschmerz”, fasste ein Statement der Leiterin zusammen. “Neben Würdigungen an die Größen der Szene präsentiert die Auswahl Virtual Reality, Tanztheater, intensive Ensemblearbeiten bis hin zum eindrücklichen Solo. In teils düsteren Gesellschaftsentwürfen wird der Mensch und sein Verhältnis zur Maschine verhandelt sowie sein Verhältnis zu sich selbst, oft gefangen in totalitären Strukturen. Besonders freue ich mich über sieben neue Regieführende beim Theatertreffen in einem sehr zeitgenössischen Programm mit sieben Uraufführungen. Eine Auswahl ganz am Puls der Zeit mit starken ästhetischen Setzungen als Zeugnis einer mitunter toxischen Gegenwart.”
Die Juryauswahl der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen:
Stück
Regie
Theater
“Unser Deutschlandmärchen”
Hakan Savas Mican
Maxim Gorki Theater / Berlin
“[EOL]. End of Life”, performative Installation in Virtual Reality
Kollektiv DARUM / Victoria Halper und Kai Krösche
brut wien
“Double Serpent” von Sam Max
Ersan Mondtag
Hessisches Staatstheater Wiesbaden
“Die Maschine oder: Über allen Gipfeln ist Ruh” von Georges Perec / Goethe
Anita Vulesica
Deutsches Schauspielhaus Hamburg
“Sancta” nach Paul Hindemith
Florentina Holzinger
Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin in Koproduktion u.a. mit den Wiener Festwochen
“Blutbuch” nach Kim de l’Horizon
Jan Friedrich
Theater Magdeburg
“Die Gewehre der Frau Carrar / Würgendes Blei” von Bertolt Brecht und Björn SC Deigner
Luise Voigt
Residenztheater München
“ja nichts ist ok” von René Pollesch und Fabian Hinrichs
René Pollesch
Volksbühne Berlin
“Bernarda Albas Haus” von Alice Birch nach Federico García Lorca
Katie Mitchell
Deutsches Schauspielhaus Hamburg
“Kontakthof – Echoes of ’78” nach Pina Bausch
Meryl Tankard
Sadler’s Wells, Pina Bausch Foundation und Tanztheater Wuppertal
(S E R V I C E – https://www.berlinerfestspiele.de/theatertreffen )
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