Von: apa
Der Abschied von der Erde ist ein Prozess. Begonnen hat ihn Elfriede Jelinek mit dem Doppelschlag “Sonne/Luft”, der 2022 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt wurde. Mit “Asche” bringt die Literaturnobelpreisträgerin die hausgemachte Klima-Apokalypse nun auf eine persönlichere Ebene. Falk Richter hat den resignativen, aber nicht weniger sprachgewaltigen Text an den Münchner Kammerspielen am Freitag bildstark und mit fast feierlichem Unterton zur Uraufführung gebracht.
Auf einer riesigen, gebogenen Leinwand flimmern Bilder von Jahrtausende alten Kulturbauten, ein mit Künstlicher Intelligenz generiertes Gesicht taucht auf einem hohen, schmalen Screen auf und spricht die ersten Worte, hinter einem schwarzen Lavafelsen klettern die letzten Menschen hervor. Sie sind Überlebende der Katastrophe, stecken in Feuerwehruniformen oder zerrissenen Schwimmwesten, wie man sie aus Flugzeugen kennt. Die Schauspieler sprechen Jelineks Monolog in bewährter Manier mit verteilten Rollen: “Welche Anzahl von Welten nehmen wir an? Wie viele davon habe allein ich schon verbraucht?”, fragen sie sich, um dann aber trotzig festzustellen: “Allerdings glaube ich, dass die Welt eher mich verbraucht hat und nicht umgekehrt.”
So weit, so Jelinek. Doch dieser neue Text, der sich in weiterer Folge mit der Plastikverschmutzung der Meere, dem immer heißer werdenden Boden und der nicht mehr zu atmenden Luft auseinandersetzt, verfügt über eine zweite Ebene. In immer wiederkehrenden Miniaturen setzt sich die Autorin mit ihrer ganz persönlichen Apokalypse auseinander – dem Tod ihres Ehemanns im Jahr 2022. “Ich hab ein glühend Messer in meiner Brust, keiner zieht es mir raus, weil sonst an dieser Stelle ein Loch bliebe zum Durchschauen”, sagt Ulrike Willenbacher, die als Alter Ego der Autorin immer wieder mit langem, weißen Haar auf der Bühne wandelt, in einem berührenden Moment, in dem sie sich in einer Transportbox zusammenkauert, während Caspar David Friedrichs zuvor darin herbeigeschafftes Gemälde “Der Wanderer über dem Nebelmeer” auf dem Lava-Felsen thront. “Mein lieber Schatz, wir werden keinen Boden mehr unter den Füßen haben, wir werden selber Boden sein, ist das nicht fein!”
Falk Richter, der mit Jelineks “Am Königsweg” 2017 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg großen Erfolg hatte und 2021 in München mitten in der Corona-Pandemie Thomas Bernhards “Heldenplatz” mit einem aktuellen Zwischenspiel inszenierte, setzt auf eindringliche Bilder. So platziert er Bernardo Arias Porras, Katharina Bach und Svetlana Belesova in Badeanzügen an einen Strand, wo er sie ordentlich viel Plastik aus ihren Kühlboxen in der Landschaft verteilen lässt, das er in der nächsten Szene von denselben – diesmal im weißen Forscher-Kittel – aus dem Meer fischen lässt, während auf der Leinwand Fotos von verschmutzten Korallenriffen ineinander geblendet werden. Auch Gott wird immer wieder angerufen, der schließlich – nach einer Befragung Platons – die Erde in Form eines giftgrünen Würfels auf die Bühne purzeln lässt. Schließlich sei die Erde “ein Würfel, sie hat die Gestalt eines Würfels, mit dem dieser Gott immer schon gern herumgeschmissen hat”, heißt es da.
Von der zerstörten Welt da draußen geht es immer wieder zurück in die zerstörte Welt im Inneren, die Richter auch mal in einem Krankenhaus inszeniert, in der die Spieler verzweifelt in ihren Betten dahinvegetieren und die Krankenschwester entscheidet: “Sie werden sich jetzt nicht mehr an Ihrem Leben überheben, nicht mehr überheblich sein.” Der Kontrollverlust schwappt ins Private. “Keiner dreht sich mehr nach mir um”, heißt es in einer jener Passagen, die die individuelle Zerbrechlichkeit im fortschreitenden Alter analysieren. “Für keinen bin ich die ganze Welt, nicht einmal im Format einer schmalen Geldbörse. Andre müssen ab jetzt die Welt kleinkriegen, ich bin schon zu schwach dafür.”
Im Großen wie im Kleinen hat Elfriede Jelinek in “Asche” ihren wachen Zynismus gegen ungeschminkte Resignation eingetauscht. Falk Richter und das wandlungsfähige Ensemble der Kammerspiele schaffen dabei den Spagat, gewaltige Szenen des Weltuntergangs und fragile Momente der ganz persönlichen Verzweiflung zu einem Abend zusammenzufügen, der mehr als deutlich macht: Es ist zu spät, um “Alles auf Anfang” zu stellen. Lang anhaltender Applaus für einen Abend, an dem nichts mehr gut zu werden scheint.
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E – “Asche” von Elfriede Jelinek, Uraufführung an den Münchner Kammerspielen. Regie: Falk Richter, Bühne: Katrin Hoffmann, Kostüme: Andy Besuch, Musik und Sounddesign: Matthias Grübel, Video: Lion Bischof, Licht: Charlotte Marr mit William Grüger. Mit Bernardo Arias Porras, Katharina Bach, Svetlana Belesova, Johanna Kappauf, Thomas Schmauser und Ulrike Willenbacher. Weitere Termine: 30. April, 6., 8., 16. und 21. Mai sowie am 2. Juni. www.muenchner-kammerspiele.de)