Tagung „Geschichte(n) der Migration in Südtirol seit dem Zweiten Autonomiestatut“

Migration damals und heute

Freitag, 24. März 2017 | 18:58 Uhr

Von: mk

Brixen – Am Mittwoch, den 5. Aprilfindet um 9.00 Uhr die Eröffnung der Tagung „Geschichte(n) der Migration in Südtirol seit dem Zweiten Autonomiestatut“ an der Universität in Brixen statt. Nach Vorträgen über Migrations- und Flüchtlingspolitik in Südtirol, den Netzwerken von Migrantinnen und Migranten und den Verhältnissen in Nachbarregionen, spricht der mittlerweile in Innsbruck tätige Soziologe und Bildungswissenschaftler Erol Yildiz um 13.30 Uhr in seiner Keynote über „Postmigrantische Ideen jenseits ethnischer Differenz“. Nachdem es am Nachmittag um Themen der Migration im Kontext der Bildung und der Medien aber auch um Detailgeschichten der Südtiroler Migration geht, laden um 18:00 Uhr Bildungsforscher Hans Karl Peterlini und Zeithistorikerin Eva Pfanzelter Vertreter der Politik und der Migrantenvereinigungen sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu einer Podiumsdiskussion. Anschließend präsentiert der bekannte Brixner Fotograf Georg Hofer sein Fotoprojekt „Flüchtlinge in Südtirol“. Bildungsforscherin Annemarie Augschöll Blasbichler und ihr Mitarbeiter Emanuel Valentin lassen den Abend bei der Vernissage der Online-Ausstellung „Wenn die Schule eine fremde Sprache spricht: Faschismus und neue Migration erinnern“ ausklingen. Veranstaltet wird die Tagung vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck und der Fakultät für Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen in Brixen.

Den Auftakt der Tagung machen allerdings die Buchpräsentationen des von Eva Pfanzelter und Dirk Rupnow herausgegebenen und im RAETIA-Verlag erschienenen Bandes „einheimisch – zweiheimisch – mehrheimisch. Geschichte(n) der neuen Migration in Südtirol“ am 3. April 2017 in der Landesbibliothek Dr. Friedrich Teßmann in Bozen und am 4. April 2017 zusammen mit dem „Verein Heimat BBP Associazione“ im Dom-Café in Brixen (jeweils 20:00 Uhr).

Die Geschichte der jüngeren Migration in Südtirol nimmt ihren Anfang in den frühen 1990er-Jahren. Bis in die 1970er selbst ein Auswanderungsland, wurde Südtirol erst Jahre nach der Stabilisierung durch die Autonomie und dem einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung für ausländische Arbeitskräfte attraktiv. Gleichzeitig kamen aufgrund von Kriegen und Konflikten, insbesondere den Jugoslawienkriegen, zunehmend Geflüchtete ins Land. Heute machen Menschen mit ausländischem Pass rund neun Prozent der Bevölkerung aus. Sie leben und arbeiten in Südtirol, zahlen Steuern, schicken ihre Kinder in die Schule, wählen – sind also Teil der Gesellschaft. Die Geschichte ihrer Zuwanderung und Integration nachzuzeichnen, das Sprechen über Migration in Südtirol zu analysieren und über die Realität der Migration zu sprechen ist Ziel der Tagung.

Migration ist ein in Südtirol nicht unbekanntes Thema: Die sogenannte „Option“ im Jahre 1939 war ein sehr wichtiges, aber auch spezifisches Kapitel der Südtiroler Migrationsgeschichte. In der Nachkriegszeit lag Südtirol dann im Schnittbereich der aus Italien in den Norden auswandernden Menschen bzw. war selbst von Arbeitsauswanderung betroffen. Heute ist die Situation aber eine gänzlich andere und so stellte sich die Frage, wann und wie dieser Umschwung vom Aus- zum Einwanderungsland geschah. Aus diesem zentralen Forschungsanliegen resultierte letztlich das Projekt „(Arbeits-)Migration in Südtirol seit dem Zweiten Autonomiestatut“, das ab Februar 2014 von der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol gefördert und am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck (unter der Leitung von Eva Pfanzelter und Dirk Rupnow) und der Fakultät für Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen (dort mit Projektleiterin Annemarie Augschöll-Blasbichler) durchgeführt wurde. Die Tagung bildet den Höhepunkt und Abschluss des Projektes und bietet daher Raum für die Präsentation der ganzen Bandbreite der untersuchten Themen.

Im Kern soll die mittlerweile alltägliche Vielfalt der Südtiroler Gesellschaft sichtbar und damit auch den Migrantinnen und Migranten, die oft nicht als Teil der Südtiroler Geschichte verstanden werden, eine Stimme gegeben werden. Denn ihre Erfahrungen und Aktivitäten sowie die durch Migration bedingten Veränderungen in der Gesellschaft sind in den traditionellen kulturellen Gedächtnissen nur unzureichend präsent. Migration gilt häufig immer noch nicht als bewahrungswürdig, weil sie nicht Teil der heimischen Geschichte ist. Sie untergräbt falsche Bilder ethnischer Homogenität und nationaler Abgeschlossenheit, die in Südtirol mit seinen zwei bzw. drei anerkannten Volksgruppen ohnehin ganz offensichtlich der Realität widersprechen. Dadurch entsteht die irreführende Vorstellung, Migration sei etwas gänzlich Neues und habe nicht schon immer Gesellschaften geprägt und verändert.

Keynote-Speaker Erol Yildiz, der nach zahlreichen Gastdozenturen nun eine Professur für Erziehungswissenschaften an der Universität Innsbruck mit dem Schwerpunkt „Migration und Bildung“ innehat, wird in seinem Vortrag auf die zentralen Aspekte seiner Forschung eingehen. Der Postmigrationsdiskurs, um den es gehen wird, ist keine neue „Disziplin“, sondern eine Geisteshaltung, mit anderen Worten eine Perspektive, die eine erkenntnistheoretische Wende im Migrationskontext einleitet. Geschichten werden aus der Perspektive und Erfahrung von Migration erzählt und dabei marginalisiertes Wissen sichtbar gemacht. Es ist somit eine kontrapunktische Deutung gesellschaftlicher Verhältnisse. Das Postmigrantische fungiert damit als eine Analysekategorie für soziale Situationen von Migration, Mobilität und Diversität, macht Brüche, Mehrdeutigkeit und marginalisierte Erinnerungen sichtbar, die nicht am Rande der Gesellschaft anzusiedeln sind, sondern zentrale gesellschaftliche Verhältnisse zum Ausdruck bringen. In diesem Sinn ist das Postmigrantische implizit herrschaftskritisch, wirkt politisch provokativ und stellt nationale Erzählungen in Frage.

Die Fachvorträge vor und nach der Keynote am 5. April thematisieren in fünf Panels Südtiroler Migrationsgeschichte(n): Gerhard Hetfleisch und Nele Gfader führen in migrantische Themen in den österreichischen Bundesländern Tirol und Vorarlberg ein. Franziska Niedrist und Sarah Oberbichler geben einen Überblick über die Südtiroler Flüchtlingspolitik der letzten zweieinhalb Jahrzehnte. Kurt Gritsch und Julia Tapfer breiten dann die komplexe Landschaft der Migrationsvereinigungen aus, bevor Annemarie Augschöll Blasbichler auf die Schwierigkeiten bei der Alphabetisierung in einer Fremdsprache zur Zeit der Option im Vergleich zu heute eingeht. Sarah Oberbichler und Eva Pfanzelter widmen sich dem Sprechen über Migration in den traditionellen und den sozialen Medien. Hans Karl Peterlini, Fernando Biague und Susanne Rieper besprechen unterschiedliche Facetten der Südtiroler Migrationslandschaft, wie die Migrationsdörfer Franzensfeste und Brenner, die interkulturelle Mediation und die illegalisierte tunesische Migration.

Die Brücke zur Südtiroler Realität schlägt schließlich um 18:00 eine von Hans Karl Peterlini und Eva Pfanzelter moderierte Podiumsdiskussion, in der Armin Gatterer, Direktor des Ressorts Bildungsförderung, Deutsche Kultur und Integration, Fernando Biague, Leiter des „Centro di Ricerca e Formazione sull’Intercultura“, Elisa Pavone, Präsidentin des Vereins „Rete dei Diritti dei Senza Voce“ und Sandra Costa von der „Frauenwerkstatt Marieta“ über Südtirol als Migrationsland diskutieren.

Die Referentinnen und Referenten der Konferenz werden in ihrer jeweiligen Mutter- bzw. Zweitsprache referieren bzw. diskutieren.

Tagungsort:

Fakultät für Bildungswissenschaften,

Ausstellungsraum Missionshaus und Aula 1.50
Regensburger Allee 16
39042 Brixen

Programm: http://zeitgeschichte-suedtirolmigration.uibk.ac.at

Bezirk: Eisacktal