Von: mk
Bozen – Drei eng miteinander verflochtene Stücke präsentiert das Haydn Orchester unter der Leitung von Yutaka Sado am 22. Oktober im Konzerthaus in Bozen. Der Abend beginnt mit der Uraufführung der Komposition „Wandering” von Marco Uvietta – einem Auftragswerk für den regionalen Klangkörper und einer Hommage an den italienischen Komponisten Luciano Berio, dessen Geburtstag sich im Jahr 2025 zum 100. Mal jährt. Darauf folgen Franz Schuberts „unvollendete” Sinfonie Nr. 8 und Berios Werk „Rendering”. Das Konzert beginnt um 20.00 Uhr.
In seiner Musik „wandert“ Franz Schubert in „ferne Gegend“ und fühlt jahrelang „den größten Schmerz und die größte Liebe mich zerteilen“, wie er 1822 in seinem rätselhaften Text „Mein Traum“ schreibt. Im gleichen Jahr arbeitet er an einer Sinfonie, die er – wie ein Wanderer, der zwar immer wieder neue Wege einschlägt, aber letztendlich kein Ziel erkennen kann – nach zwei vollendeten Sätzen nicht weiterschreibt und dann bis zu seinem frühen Tod unbeachtet in der Schublade liegen lässt. Schuberts „Unvollendete” wird erst 1865 in Wien uraufgeführt und avanciert zu einem Meilenstein des sinfonischen Repertoires. Das Konzert endet mit der „Restaurierung“ eines fragmentarisch überlieferten und ebenfalls unvollendeten sinfonischen Bildes: Ende der 1980er Jahre bearbeitet Luciano Berio die Skizzen zu Schuberts letzter Sinfonie und dessen Kontrapunkt-Übungen. Berio verwendet den Orchesterapparat, der „Unvollendeten“ und füllt die Lücken zwischen den Fragmenten mit einem Kitt aus Schubert-Zitaten und „polyphonen Reflexionen“. Das Ergebnis ist ein Klanggemälde mit visionären sinfonischen Strichzeichnungen und den schillernden Farbklecksen aus dem 20. Jahrhundert.
Marco Uvietta über sein Werk: „Wandering“ ist eine Hommage an Luciano Berio und eine Art Prolog zu seinem 100. Geburtstag im Jahr 2025. Der Titel bezieht sich auf „Rendering“, aber auch auf Schuberts Figur des „Wanderers“. Formal ist „Wandering“ ein Umherschweifen durch innere Landschaften, ohne dabei ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. In einem undechiffrierbaren Klangfluss tauchen „musikalische Orte“ auf, an denen man sich kurzzeitig aufhält und dann weitergeht. Hier stößt man auf Klangspuren von Schuberts Lied „Gretchen am Spinnrade“ und dem Scherzo aus Mahlers 2. Sinfonie, das Berio im dritten Satz seiner „Sinfonia“ verarbeitete, aber auch auf „Wanderung“ Nr. 7 aus den „Kerner-Liedern“ von Schumann. Dieses Material ist mit Berios „Folksongs“ verflochten, während das gesamte Stück freie Weiterführungen des „Perpetuum Mobile“ aus Berios Klaviersonate durchziehen und die kreisförmigen Strukturen der Klavierbegleitung zum „Gretchen am Spinnrade“ die Fundamente für die kreisförmige Form des Stücks und das dort verwendete Material legen.
Marco Uvietta wurde 1963 in Bozen geboren. Er studierte Komposition und Chormusik in Mailand und schloss seine Ausbildung an der Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom ab. In den Jahren 2000 bis 2003 belegte er Kompositionskurse bei Luciano Berio. Seine Werke wurden von Kammerensembles und Solistinnen und Solisten, sowie von Orchestern und Chören im In- und Ausland aufgeführt. Er kuratierte zwei kritische Werkausgaben: Giuseppe Verdis „Messa da requiem“ (Bärenreiter, 2014) und Vincenzo Bellinis „La Straniera“ (Ricordi, 2019). Er unterrichtet als Dozent für Musikwissenschaft und Musikgeschichte an der Universität Trient und hat zahlreiche Essays über die italienische Oper des 19. Jahrhunderts sowie die Musik des 20. Jahrhunderts – und dabei vor allem über die Musik von Luciano Berio – veröffentlicht, dessen Werk ihn im Verlauf seiner Ausbildung und Karriere beeinflusst hat.
Yutaka Sado ist einer der bedeutendsten japanischen Dirigenten unserer Zeit und seit der Saison 2015/2016 Chefdirigent des Tonkünstler-Orchesters in Wien. Nach mehrjährigen Assistenzen bei Leonard Bernstein und Seiji Ozawa gewann Yutaka Sado bedeutende Preise wie 1989 den Grand Prix des 39. „Concours international de jeunes chefs d’orchestre“ in Besançon und 1995 den Grand Prix der Leonard Bernstein Jerusalem International Music Competition. In Frankreich war er von 1993 bis 2010 Chefdirigent des Orchestre Lamoureux in Paris. In Italien war er Erster Gastdirigent der Filarmonica am Teatro Regio in Turin. Vor kurzem wurde Sado zum Musikdirektor des New Japan Philharmonic Orchestra ernannt.
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