Von: apa
Es ist so etwas wie die “La Bohéme” der Musicals – ein unsterblicher Klassiker, der über alle Zeitläufe hinweg nicht von den Bühnen verschwindet: Am Freitag ist “Das Phantom der Oper” wieder im Wiener Raimund Theater gelandet. Die vor einigen Jahren entstandene Neuproduktion des Webber-Musicals ist damit erstmals im deutschsprachigen Raum zu sehen. Und die Neugestaltung entpuppt sich als ebenso dynamische wie moderate Auffrischung eines Klassikers.
In vielen Details wirkt die Neudeutung agiler als die Originalproduktion, die bisher rund 160 Millionen Besucherinnen und Besucher in die Musicalpaläste der Welt lockte. Die deutschsprachige Erstaufführung fand 1988 im Theater an der Wien statt, bevor 1990 der Umzug ins Raimund Theater erfolgte, wo das Stück bis 1993 zu sehen war. Nun also das Comeback mit der Neufassung von Erfolgsproduzent Cameron Macintosh, die vor rund zehn Jahren entstand und bereits in Großbritannien, den USA oder Australien zu sehen war.
Bühnentechnisch bietet das neue “Phantom” schnelle Wechsel der Schauplätze, Feuerfontänen und Explosionen bei Bedarf und Treppen, die vermeintlich aus dem Nichts erscheinen. Auch stürzt der legendäre Kronleuchter nun nicht mehr in Richtung Bühne, sondern in Richtung Zuschauer. Nervenschonung gibt es indes im Textilbereich, wo man auf die altbewährten Originalkostüme setzt.
Doch nicht nur an der Kostümfront kommt die Inszenierung im Retrogewand daher. Immer noch strahlt die Bühne den Fin-de-Siècle-Charme der Pariser Opéra Garnier aus, noch immer bestehen viele Szenen aus outrierenden Persiflagen auf die Opernwelt. Dieser Bombast geht einfach nahtlos Hand in Hand mit dem Glamrock der 80er, der letztlich hinter Andrew Lloyd Webbers Partitur steht. Und gerade damit erweist sich “Das Phantom der Oper” als besser gealtert im Vergleich zu anderen Klassikern aus der Feder des Meisters wie “Cats” oder “Starlight Express”.
Dass die Charaktere im Ausstattungsfuror nicht untergehen, dafür sorgt ein großteils glänzendes Ensemble. Der jungen Niederländerin Lisanne Clémence Veeneman gelingt ein bravouröser Einstieg in Wien als Christine mit klarem, angenehm reduzierten Sopran. Ihrem Landsmann Roy Goldman gelingt das Kunststück, aus dem sonst meist blassen Liebhaber Raoul eine interessante Figur zu formen, während Milica Jovanovic – die vor zehn Jahren im ebenfalls zu den Vereinigten Bühnen gehörenden Ronacher in der “Phantom”-Fortsetzung “Love Never Dies” als Christine zu erleben war – nun die Diva Carlotta als zickige Opernprimadonna geben darf.
Und für die Titelpartie hat man mit dem Schweden Anton Zetterholm einen Star des Musicals als Phantom der Oper engagiert. Der 37-Jährige vermag mit subtilem Spiel seinem Charakter eine ambivalente Tiefe zu geben, auch wenn er bei der immer wieder Tiefe erfordernden Gesangslinie stimmlich nicht direkt die Katakomben der Oper erbeben lässt.
So wird ein vielfarbiges, behutsam erneuertes Phantombild im Raimund Theater gezeichnet, das Fans des Originals aus 1986 nicht verschreckt und doch neue Anhänger gewinnen wird. Keinerlei Grund für Phantomschmerz also.