Von: apa
Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am Donnerstagnachmittag den Österreich-Pavillon auf der 60. Kunstbiennale in Venedig eröffnet. Als er zum Rednerpult schritt, zeigte er sich zunächst enttäuscht, dass das Gewitter, das die Gäste der Open-Air-Eröffnung zeitweise unter Regenschirmen Schutz suchen ließ, nicht zu Beginn seiner Rede aufhörte. Der Wunsch wurde ihm jedoch etwas später erfüllt, als just zu seiner Eröffnungsformel unter Applaus die Sonne hervorkam.
Zuvor zeigte sich der Bundespräsident beeindruckt von dem klugen, großartigen und interessanten Beitrag und erinnerte daran, dass er selbst ein Flüchtlingskind gewesen sei, das im Tiroler Kaunertal aufwuchs und erst nach etlichen Jahren den österreichischen Pass bekam. Die Themen von Jermolaewas Beitrag, nämlich “Unterdrückung, Flucht und Vertreibung”, seien leider aktuell. Der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) nannte die an der Kunstuni Linz lehrende Anna Jermolaewa und die in Linz tätige Kuratorin Gabriele Spindler “ein oberösterreichisches Dreamteam”. Der Beitrag zeige, dass “der unbändige Wunsch, in Freiheit und Frieden zu leben”, die Menschen verbinde.
Sehr politisch geriet zwei Stunden zuvor schon die Pressekonferenz für den Österreich-Pavillon. “Stop this war and get the hell out of Ukraine!”, fasste die gebürtige Russin Anna Jermolaewa etwa (wie später auch bei der Eröffnung) jene Botschaft an Putin zusammen, die sie mit der aus der Ukraine geflüchteten Tänzerin und Choreografin Oksana Serheieva in ihrer zentralen neuen Arbeit “Rehearsal for Swan Lake” verbinde, die als eine von fünf Arbeiten im Hoffmann-Pavillon gezeigt wird.
Bewegend geriet auch das Statement von Serheieva, die sich an ihre Flucht mit ihren drei Kindern aus der Ukraine erinnerte. “Wir waren komplett verloren.” Über Bekannte sei sie in Wien auf Jermolaewa gestoßen, die nach Beginn des russischen Angriffskrieges keinen Sinn in Kunst gesehen und sich ganz auf aktive Flüchtlingshilfe konzentriert hatte. “Sie hat uns Hoffnung und Hilfe gegeben. Dafür werde ich ihr mein Leben lang dankbar sein.” Als sich später herausstellte, dass sie beide Künstlerinnen seien, hätte sich eine Zusammenarbeit angeboten. Wie Jermolaewa erinnert sich auch die Ukrainerin daran, dass eine “Schwanensee”-Aufführung im sowjetischen Fernsehen immer etwas zu bedeuten hatte: “Mein Vater hat dann gesagt: Da ist wieder jemand gestorben.”
Beide Künstlerinnen machten klar, was diese auf einem zweistündigen Video und in drei täglichen kurzen Liveperformances der Tänzerin heute zu bedeuten habe: Vorbereitung auf den Tag X, an dem das Putin-Regime stürzt. “Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir auch auf alle anderen möglichen Arten die Ukraine unterstützen müssen”, stellte Jermolaewa klar. Beide halten es für eine Selbstverständlichkeit, gemeinsam ihre Stimme für den Frieden zu erheben, wiewohl ihre Länder Kriegskontrahenten seien.
Diesen Umstand hob auch Kunststaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) hervor. “Kunst ist ein Eckpfeiler der Demokratie”, sagte sie und nannte den diesjährigen Österreich-Pavillon ein positives Beispiel für die Kraft der Kunst, die einen friedlichen Widerstand gegen gefährliche politische Entwicklungen zu leisten vermöge. Dass eine in Russland geborene Künstlerin gemeinsam mit einer gebürtigen Ukrainerin den Österreich-Pavillon bespiele, sei ebenso ein besonderes Statement, wie dass für die Bespielung eine nicht in Österreich Geborene ausgesucht wurde. Das passe hervorragend zu dem Motto der Hauptausstellung “Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere”, das freilich erst verlautbart worden sei, als die Entscheidung für das von Gabriele Spindler kuratierte Österreich-Projekt schon feststand.
Spindler nannte die ausgewählten fünf Arbeiten Jermolaewas “politisch und poetisch, konzeptionell und empathisch”, sie transformiere darin persönliche Erfahrungen in allgemeine Aussagen zur Conditio humana. “Das politische Klima macht vor der Kunst nicht halt – ob wir wollen oder nicht”, betonte Mayer und teilte Boykottaufrufen von jeglicher Seite eine Absage: “Kunst kann uns immer Heimat sein, egal woher wir kommen und wo wir uns befinden.”
In Wien wird parallel zur Biennale von 8. Mai bis 14. September eine Ausstellung von Anna Jermolaewa (“Assemblé”) im Phileas-Ausstellungsraum am Opernring gezeigt. Nach den Previewtagen für Presse und Fachpublikum eröffnet die 60. Biennale am Samstag für das Publikum. Dann prämiert auch eine internationale Jury die besten Länderpavillons und die interessantesten Beiträge zur Hauptschau. Die Biennale ist bis 24. November geöffnet.