Von: mk
Bozen – Ein Jahr lang machten sich eine Klasse des Realgymnasiums Bozen und des Liceo Carducci auf Initiative der OEW-Organisation für Eine solidarische Welt gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern in Addis Abeba auf die Suche nach den Spuren des italienischen Kolonialismus. Gestern zogen sie mit einer Broschüre Bilanz, die sie gemeinsam über mehrere Videotreffen ausgearbeiteten haben. Hierin setzten sie sich mit Straßennamen und Denkmälern in Bozen und in der äthiopischen Hauptstadt auseinander, analysierten die Fotografien des im Abessinienkrieg stationierten Südtiroler Luis Leiter und interpretierten sie mit künstlerischen Mitteln neu. Das Ziel des Projekts: die Öffentlichkeit auf einen grausamen, von Rassismus geprägten Teil der italienischen Geschichte aufmerksam zu machen und den Fokus auf ein respektvolles Miteinander zu lenken.
Adrian Luncke von der OEW erklärt: „Im vergangenen Jahr haben Aktivistinnen und Aktivisten der Black-Lives-Matter-Bewegung auch in Italien wiederholt Kritik am Umgang mit der eigenen Geschichte geübt.“ Hieran knüpfe das Projekt, das die Schülerinnen und Schüler in Bozen und Addis Abeba umsetzten. Es soll Bewusstsein schaffen für die Herkunft und das Fortwirken kolonial-rassistischen Gedankenguts.
In Zusammenarbeit mit den Geschichtslehrerinnen Martha Verdorfer und Alessia Giangrossi in Bozen und Mehariew Beyene, Lehrer an der Miskaye Hizunan Medhanealem Monastery School in Addis Abeba, hat die OEW Workshops und Videokonferenzen organisiert, in denen sich die Schülerinnen und Schüler über Bilder des vermeintlich „Anderen“ und die kolonialen Spuren in ihrer Umgebung austauschen konnten. Die Schüler*innen Elena Prada, Elisa Trentin, Nicole Tomas und Nora Reichhalter erklärten gestern: „In Bozen gehen wir fast täglich an Monumenten vorbei oder durch Straßen, die auf den italienischen Kolonialismus zurückgehen. Durch das Projekt ist uns bewusst geworden, wie stark diese Bilder bis heute unsere Vorstellungen von Afrika und der Welt prägen.“
Die äthiopische Kulturmediatorin Shemsia Omer Daud, die im Projekt eng mit den Schüler*innen zusammenarbeitete, betont: „Ich lebe seit vielen Jahren in Italien und stelle immer wieder fest, dass die Geschichte des italienischen Kolonialismus nur wenig reflektiert wird. Es hat mich deshalb begeistert zu erleben, mit wie viel Neugier sich die Schülerinnen und Schüler mit diesem schwierigen Thema auseinandergesetzt haben.“ Zum Enthusiasmus scheint auch der interkontinentale Austausch beigetragen zu haben. Die äthiopischen und italienischen Schülerinnen und Schüler haben vor, sich auch in Zukunft weiter zu begegnen: Das Internet macht es möglich. Die ausgearbeitete Broschüre „Decolonising Minds“ ist für Interessierte in den Schulbibliotheken des Realgymnasiums in Bozen und des Liceo Carducci sowie in der OEW-Fachbibliothek Eine Welt in Brixen ausleihbar.
Adrian Luncke schließt: „Die OEW kann das Thema Rassismus nur aus weißer Perspektive behandeln. Dazu gehört es, sich mit jener Epoche auseinanderzusetzen, in der die Ideologie an Gewicht gewann.“