Das diesjährige Motto „Nothing is written" beschwört die Unvorhersehbarkeit

Stiftung Haydn präsentieren Opernprogramm

Mittwoch, 18. Oktober 2023 | 17:51 Uhr

Von: luk

Bozen – Die Stiftung Haydn von Bozen und Trient präsentiert die neunte und zugleich letzte Opernsaison unter der künstlerischen Leitung von Matthias Lošek. Das diesjährige Motto „Nothing is written” beschwört die Unvorhersehbarkeit des menschlichen Lebens und der Kunst herauf und lässt das Publikum in abstrakte, neue Welten eintauchen, die berühren und uns zugleich einen Spiegel vorhalten. Zum Auftakt der Spielzeit steht eine Neuinszenierung von Giacomo Puccinis „La Bohème“ auf dem Programm. Im Januar folgt die Uraufführung von „LORIT“, dem Siegerprojekt der vierten Ausgabe des Musiktheaterwettbewerbs Fringe. Zum Finale hebt sich der Vorhang abermals für eine Uraufführung: die Oper „Dorian Gray“, dem letzten von drei Auftragswerken der Stiftung Haydn an Komponisten aus der Euregio Tirol-Südtirol-Trentino.

Eine Hymne an die Unvorhersehbarkeit und die uferlosen Möglichkeiten des Lebens, die sich uns Tag für Tag bieten: Für die neunte Ausgabe der Opernsaison der Stiftung Haydn hat sich der künstlerische Leiter Matthias Lošek für den Titel „Nothing is written“ entschieden. Er bleibt damit einer inzwischen fest verankerten Tradition treu, die den Fokus des Programms seit der ersten Opernausgabe im Jahr 2015 auf gesellschaftlich relevante und zutiefst berührende Themen lenkt.  „Nothing is written“, so Lošek, „bedeutet für mich in erster Linie, nichts ist unmöglich, alles beginnt immer wieder von Neuem. Mit den an die Pop-Kultur angelehnten Titeln der Spielzeiten unter meiner Leitung wollte ich von der ersten Ausgabe „The irony of life“ an neugierig machen und dem Publikum einen Impuls geben, ohne ihm dabei eine bestimmte Lesart aufzuzwingen.  Das, worum es mir in der zeitgenössischen Oper im Grunde geht, ist die Frage: Wie tickt der Mensch?”

Mit dieser letzten Ausgabe endet auch die Amtszeit von Matthias Lošek, der die Opernreihen der Stiftung Haydn zu einem unverwechselbaren Format am Puls der Zeit und mit einem Schwerpunkt auf der regionalen Opernszene gemacht hat. „Wir danken Matthias Lošek“, so die Generaldirektorin Monica Loss, „dass er auch in diesem Jahr ein Programm abseits der Routine zusammengestellt und stets aufs Neue relevantes Musiktheater im 21. Jahrhundert zeigt. Er hat seit 2015 die nicht immer leichte Aufgabe übernommen, die zeitgenössische Oper in unserer Region zu verankern. Dank seiner Arbeit konnten wir, aus dem Reichtum unserer Region schöpfend, zahlreiche Opernproduktionen verwirklichen und Synergien mit bedeutenden Kultureinrichtungen aus dem In- und Ausland stärken. Beziehungen, die für die Stiftung von elementarer Bedeutung sind, um innovative Ideen und Projekte auf allen Ebenen hervorzubringen und zu fördern.“

Von November 2023 bis März 2024 bringt die Stiftung Haydn von Bozen und Trient drei Opern auf die Bühne: Den Auftakt macht am 19. und 21. November 2023 im Stadttheater Bozen und am 21. und 22. Februar 2024 im Teatro Sociale in Trient eine im Kern stets zeitlose Oper: „La Bohème” von Giacomo Puccini unter der Regie von Matthias Lošek und der musikalischen Leitung von Timothy Redmond. Im neuen Jahr (am 21. Januar im Theater SanbàPolis in Trient und am 23. Januar im Stadttheater Bozen) hebt sich der Vorhang erstmals für das Siegerprojekt der vierten Ausgabe des Musiktheaterwettbewerbs Fringe: die Oper „LORIT“ des jungen österreichischen Komponisten Marius Binder unter der Regie von Christina Constanze Polzer, mit einem Libretto von Robert Prosser und unter musikalischer Leitung von Christoph Huber. Am 16. und 17. März 2024 wird das neue Auftragswerk der Stiftung Haydn die zeitgenössische Oper Dorian Gray auf die Bühne des Bozner Stadttheaters gebracht. Für die Musik zeichnet Matteo Franceschini verantwortlich, Regie und Libretto stammen von Stefano Simone Pintor, der 2022 für die Stiftung Falcone inszenierte. Das Haydn Orchester spielt unter der Leitung von Rossen Gergov. Nach Toteis und Peter Pan – The Dark Side ist Dorian Gray das letzte Auftragswerk einer Trias, die von der Stiftung Haydn an Komponisten der Euregio Tirol-Südtirol-Trentino vergeben wurde. „Unter der künstlerischen Leitung von Matthias Lošek“, so der Präsident der Stiftung Haydn Paul Gasser, „hat unser Opernprogramm mutige Schritte in Richtung Innovation und Experiment unternommen und wichtige Meilensteine erreicht. So zum Beispiel die Auszeichnung mit dem Abbiati-Preis für die Inszenierung der Oper ‚Written on skin‘, die Auslobung eines Wettbewerbs wie Fringe, einem wichtigen neuen Bezugspunkt für talentierte Künstler aus der Region, die sich im Bereich des Musiktheaters messen wollen, oder auch die Umsetzung von drei bedeutenden Produktionen auf der Achse Tirol-Südtirol-Trentino mit Künstlern vom Format einer Manuela Kerer, eines Wolfgang Mitterer und eines Matteo Franceschini.“

 

Nothing is written – Das Opernprogramm 2023/24

LA BOHÈME

Die neue Saison beginnt mit einer Oper, die seit 1896, dem Jahr ihrer Uraufführung im Teatro Regio Turin, nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat und das Publikum bis heute mitreißt. Mit einer reduzierten und zeitgenössischen Interpretation präsentiert die Stiftung Haydn Giacomo Puccinis „La Bohème“ sowohl in Bozen (Stadttheater, 19. und 21.11.23) als auch in Trient (Teatro Sociale, 21. und 22.02.24). Für eine der „schönsten und bittersten Opern, die je geschrieben wurden“ führt kein geringer als der künstlerische Leiter selbst Regie und zeigt eine moderne und einfühlsame Version dieses Meisterwerks, indem er ein Schlüsselelement in den Fokus rückt, das sich wie ein roter Faden durch alle vier Bilder der Oper zieht: die Liebe in ihren unendlichen und komplexen Facetten. Basierend auf dem Roman Scènes de la vie de bohème von Henri Murger erzählt die Oper vom Leben vier junger Bohemiens, Rodolfo, Marcello, Schaunard und Colline, die sich, getrieben vom Wunsch nach Freiheit und der Notwendigkeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen, im pulsierenden Paris des Fin de siècle als Künstler versuchen. Auf ihrem Weg begegnen sie der Liebe, aber auch dem Tod. Marcello verlebt mit Musetta eine On-off-Beziehung zwischen Eifersucht und Koketterie, während sich Rodolfo wider seinen Willen in die schöne Nachbarin Mimì verliebt, die sterbenskrank ist. Regisseur Matthias Lošek bringt sein „Requiem für Mimì“ abseits konventioneller Inszenierungen halbszenisch auf die Bühne und führt unverblümt die Zeitlosigkeit dieses Melodrams vor Augen. Die Musik, gespielt vom Haydn Orchester unter Leitung von Timothy Redmond, entführt das Publikum in ein bewegendes Klanguniversum, das die Welt der Bohème und die inneren Konflikte ihrer Hauptfiguren perfekt widerspiegelt.

„Jede gute Oper“, so Lošek, „kann zeitgenössisch sein. Die Protagonisten dieser Oper sind junge Menschen am Beginn ihrer Karriere, sie stehen sinnbildlich für den Neuanfang: Für sie gilt ‚Nothing is written‘. La Bohème ist zudem Melodrama pur: Sie erzählt vom Leben und der Liebe, vom Leiden und Sterben.“

Flankierend zur Bohème lädt die Stiftung Haydn am Vorabend der Neuinszenierung zu einer kostenlosen Hin- und Einführung im Ambiente eines Philoshopischen Cafés: Künstler:innen, Philosoph:innen und das Publikum reflektieren in drei Gesprächsrunden über die anhaltende Faszination der Puccini-Oper. Moderiert werden die Gespräche von Marco Russo, Philosoph und Manager des Musiklabels col legno. Zwischen den Diskussionen finden Darbietungen aus verschiedenen künstlerischen Sparten statt (Bozen, Samstag, 18.11.23, 18.00 Uhr).

 

LORIT – EINE ENDZEITOPER

Bühne frei für die jungen Kreativen der Region mit „LORIT“, dem Siegerprojekt der vierten Ausgabe des Musiktheaterwettbewerbs Fringe (Trient, Teatro SanbàPolis, 21.01.24 | Bozen, Stadttheater, 23.01.24), die in Koproduktion der Stiftung Haydn mit dem Tiroler Landestheater entstandene Oper des österreichischen Komponisten Marius Binder und seines Teams, zu dem Christina Constanze Polzer (Regie), Robert Prosser (Libretto), Julia Neuhold (Bühnenbild/Kostüme) und Christoph Huber (musikalische Leitung) zählen, setzt sich kritisch und satirisch mit den Schattenseiten des überbordenden Tourismus und seinen Folgen auseinander.

Im Mittelpunkt des Geschehens stehen fünf allegorische Figuren: der Tod, der Fremdenverkehr, der Gottvater der Seilbahnen, die Schöne Landschaft und die Letzte Generation. Am letzten Tag der allerletzten Skisaison der Menschheit sitzen sie gemeinsam in einer Gondel. Alle wollen dem Tod, der Krise und dem Klimawandel trotzen, doch schließlich müssen sie klein beigeben und nur eine einzige Figur bleibt zurück: die breite Masse/der Tod. Musikalisch pendelt die Oper zwischen ausgelassenen und apokalyptischen Klanggebilden. Von „A“ wie „Arie“ bis „Z“ wie „Zwiefacher“ dekonstruiert der Komponist Marius Binder die gesamte Après-Ski-Verkaufskultur. Ein Tik-Tok-artiges Klanggewitter aus Pop-Songs, Jodelwellen und Schlagerhits prophezeit der alpinen Soundkultur die Selbstzerstörung. „Überzeugt haben uns neben der wohl durchdachten und mitreißenden Präsentation“, so die Begründung der Jury, „sowohl das Sujet der Oper als auch ihre Aktualität. Aufbauend auf die Tradition der Moraldramen, richtet die Oper ihren Blick auf die großen Ereignisse, Geschehnisse und Themen der Gegenwart und Zukunft: auf die Wirtschaftssysteme und ihre Probleme, auf den Tourismus mit seinen Schattenseiten und seinen Protagonisten, auf Naturkatastrophen, Klimawandel, Krisen und den Tod. Mit ironischem Augenzwinkern verbindet das Projektteam gekonnt Zeitgenössisches und Tradition vor dem Hintergrund der Identität Tirols, die jedoch sinnbildlich für den gesamten Alpenraum oder jede ähnliche Region beziehungsweise Situation weltweit steht.“

Das Tiroler Landestheater zeigt die Oper im Februar in Innsbruck (Innsbruck, Kammerspiele, 11.02.24).

Für alle Interessierten bietet das Format Oper.a Talk am Sonntag, den 21. Januar, um 16.00 Uhr im Teatro SanbàPolis, sowie am Dienstag, den 23. Januar, um 21.00 Uhr im Stadttheater Bozen eine kostenlose Einführung in die Oper.

 

DORIAN GRAY

Zum Abschluss der Opernsaison hebt sich der Vorhang für die Uraufführung von „Dorian Gray“ (Bozen, Stadttheater, 16. und 17.03.24). Thematisch an Oscar Wildes Meisterwerk angelehnt, einem Manifest der Dekadenzliteratur und des Ästhetizismus, das zu den raffiniertesten und beeindruckendsten Romanen aller Zeiten zählt, ist die Oper nach „Toteis“ und „Peter Pan – The Dark Side“ die dritte und letzte Auftragsoper der Stiftung Haydn an Komponisten aus der Euregio. „Wer heute als Institution ernsthaft einen Schwerpunkt auf zeitgenössische Oper setzen möchte“, betont Direktor Mattias Lošek, „der muss auch Auftragswerke machen. Mit der Opern-Trias zeigen wir auf, was hier, also zwischen Innsbruck und Trient, an zeitgenössischer Oper stattfindet. Zeitgenössische Oper gibt es nicht nur in Berlin und London, sondern auch direkt hier, sie wächst auf dem Humus dieser Region.“

Dorian Gray ist wie besessen von der Angst, seine Schönheit zu verlieren, ist sie doch in seinen Augen der einzige Grund, für den es sich zu leben lohnt. Ein Zauberspruch bewirkt, dass die unerbittliche Zeit nicht seinen Körper, sondern lediglich sein Selbstbildnis altern lässt. Doch zu welchem Preis? Die Musik stammt aus der Feder von Matteo Franceschini, für Libretto und Regie zeichnet Stefano Simone Pintor verantwortlich. Gemeinsam übertragen sie Wildes kluge Gedanken über die Verirrungen der Menschheit, der Dorian Gray gekonnt den Spiegel vorhält, in unsere heutige Zeit, in eine gespaltene und sich stetig wandelnde Gesellschaft im Würgegriff tiefgreifender Wertekonflikte. Das Ergebnis ist eine Oper, in der sämtliche Figuren (und mit ihnen das Publikum) ihre eigenen Dämonen und geheimen Sehnsüchte auf Dorian Gray projizieren, der dadurch zum lebendigen Bildnis wird. In der episodischen Erzählweise verweben sich Stimmen und Ereignisse, die sich um die zentrale Handlung drehen und neue Zugänge und Blickwinkel eröffnen.

Am Samstag, den 16. März, um 19.00 Uhr und am Sonntag, den 17. März um 16.00 Uhr findet im Foyer des Stadttheaters Bozen im Rahmen der Veranstaltungsreihe Oper.a Talk eine kostenlose Einführung zur Oper statt.

Bezirk: Bozen