Von: luk
Bozen – Tanz Bozen startet mit einem Highlight in die zweite Festivalwoche. Am Montag, 24. Juli präsentiert das Ballet de Lorraine, eines der experimentierfreudigsten und renommiertesten Ensembles Frankreichs, ein zweiteiliges Abendprogramm: Visionär Marcos Morau ließ sich für seine Choreografie Le surréalisme au service de la révolution vom spanischen Regisseur Luis Buñuel und seinen folkloristischen Traumwelt inspirieren. Merce Cunninghams abstraktes Werk Fabrications bildet im zweiten Teil des Abends das komplette Gegenstück: Zu Elektrosounds und Radiofrequenzen lotet der Choreograf die Grenzen des körperlich Möglichen aus. (Stadttheater Bozen, 24. Juli, 21 Uhr)
Im Vorprogramm zeigt die italo-spanische Kompanie Kors’ia ihr Stück Yellow Place, ein Duett über Paarbeziehungen und die unterschiedlichen Stadien des Verliebtseins. (Stadttheater Bozen, Studio, 24. Juli, 20.00 Uhr)
Marcos Morau Dukowshka, dessen unverwechselbarer choreografischer Stil Elemente aus Tanz, Theater, Kino und Fotografie vereint, holte sich für Le surréalisme au service de la révolution Anregungen bei den Surrealisten. Dies wird schon im Titel deutlich, der auf die gleichnamige, von André Breton in den 1930er Jahren herausgegebene Zeitschrift der Surrealisten Bezug nimmt. Besonders beeindruckten Morau die Traumwelten des spanischen Regisseurs Luis Buñuel, seine kritische und politische Haltung, sein kulturelles Umfeld und seine Vorliebe für die Trommelrhythmen der Karfreitagszeremonie seines Geburtsortes Calanda: Sie dienen dem Choreografen als Ausgangspunkt für das Stück.
In eine ganz andere Welt hingegen entführt Merce Cunninghams formalabstraktes, zugleich melancholisches Werk Fabrications. Nach Cunningham bezieht sich der Titel auf zwei Bedeutungen des Verbs „to fabricate“ (fabrizieren): nämlich einerseits „das Zusammenfügen von Einzelteilen zu einem Ganzen“ und „etwas zu erfinden, auszuhecken oder gar zu lügen“. Inspiration für seine Arbeiten holte sich Cunningham immer wieder im Yì Jīng, (dem Buch der Wandlungen) eine der ältesten klassischen chinesischen Schriften. In Anlehnung daran verwendete Cunningham für Fabrications einen aleatorischen, auf dem Zufall basierenden Kompositionsprozess in 64 Phrasen. Die Zahl 64 entspricht der Anzahl der Figuren (Hexagramme) im Yì Jīng. Obwohl ein erzählerischer Faden fehlt und das Stück strengen kompositorischen Regeln zu folgen scheint, entwickelt Fabrications eine hohe Dramatik, die auch in der Verbindung der Tänzerinnen und Tänzer untereinander sichtbar wird. Für Cunningham, den Vater des postmodernen Tanzes, ungewöhnlich ist die Wahl der Kostüme: Die Tänzerinnen tragen bunte Seidenkleider, die Männer Hemd und Hose. Die eindringliche elektronische Musik kombiniert mit Ultrakurzwellen stammt von Emanuel Dimas de Melo Pimenta (Short Waves, 1985).
Die Kompanie mit Sitz in Nancy erhielt 1999 den Titel Centre Chorégraphique National, hat sich ganz den zeitgenössischen Choreografien verschrieben und ist neuen Experimenten gegenüber offen. Die 26 Tänzer/Innen beherrschen das klassische Repertoire ebenso wie Choreografien zeitgenössischer Autoren. Seit 2011 leitet Petter Jacobsson die Kompanie, der seine Ausbildung an der Royal Swedish Ballet Hall und am Vaganova von Sankt Petersburg absolviert und bei Merce Cunningham und Susan Kline gelernt hat.