Von: apa
Ein “unterirdisches Gebäude mit ausfahrbarem Kern”, ein weißer Kunststoffhelm mit eingebautem Mikrofon, eiförmige Wohnbauten: Einige der Werke von Friedrich Kiesler (1890-1965) und Walter Pichler (1936-2012) wirken wie Setentwürfe für aus der Zeit gefallene Sci-Fi-Filme. Obwohl ihre raumplastischen Ideen recht unterschiedlich sind, macht sich das Belvedere 21 mit der Ausstellung “Visionäre Räume” auf die Suche nach Parallelen und Berührungspunkten der beiden Avantgardisten.
“Ihre Oeuvres unterscheiden sich eklatant”, stellte Kuratorin Verena Gamper gleich am Beginn der Presseführung am Donnerstag klar. Das betrifft zu allererst einmal die Generation: Pichler, geboren in Deutschnofen (Südtirol), kam fast ein halbes Jahrhundert später zur Welt als der aus Tscherniwzi (damals Österreich-Ungarn, heute Ukraine) gebürtige Kiesler. Beide studierten zumindest eine Zeit lang in Wien. Während der Ältere ein “Allgestalter” und “der größte Architekt, der nie gebaut hat”, gewesen sei, dessen Konzept des Correalismus u.a. auf permanenter Veränderung beruhe, gelte der Jüngere als “Symmetriker” und “Formvollender, der für seine Plastiken maßgeschneiderte Räume entwarf”, erklärte die Ausstellungsgestalterin.
Und dennoch gibt es jedenfalls eine unübersehbare Gemeinsamkeit: das transdisziplinäre Arbeiten. Beide waren Architekten, aber auch Bildhauer und Zeichner bzw. Maler und verstanden ihr Werk als permanente Überwindung der Grenzen zwischen den Genres. Ausgangspunkt der Schau, die im Untertitel zweideutig “Walter Pichler trifft Friedrich Kiesler” heißt, ist die einzige Begegnung der beiden im Jahr 1963, als Pichler Kiesler in New York, wo letzterer damals bereits seit dreieinhalb Jahrzehnte lebte, besuchte. Das war zu einer Zeit, in der auch in Österreich rege über die Zukunft des Bauens und Lebens diskutiert und damit einhergehend Kritik am Funktionalismus der Nachkriegszeit laut wurde.
Über den Inhalt des Treffens sei zwar nicht viel überliefert, es diene aber als Inspirationsquelle für Überlegungen, worüber sich die Architekten-Künstler ausgetauscht haben könnten, meinte Belvedere-Generaldirektorin Stella Rollig. Dabei gehe es um Fragen wie “In welchen Räumen wollen wir leben? Wie kann Architektur das soziale Leben verbessern? Wie verändert sich die Wahrnehmung durch neue Technologie? Müssen Räume immer statisch oder können sie auch elastisch sein?”, zählte Kuratorin Gamper einige Beispiele auf. Fest steht jedenfalls, dass Kiesler in den 60ern hierzulande von der jungen Künstlergeneration gewissermaßen wiederentdeckt wurde.
In den sechs Kapiteln der Ausstellung begegnen dem Publikum Bleistiftzeichnungen, Skizzen, Skulpturen, Plastiken, Modelle und Fotografien aus den unterschiedlichen Schaffensperioden der beiden Protagonisten. Ein verbindendes Element ist etwa der Bezug auf organische Strukturen. Während Kiesler etwa ab den 1940ern das nie realisierte Konzept eines “Endless House” mit eiförmigen Körper entwickelt, das flexibel an die physischen und psychischen Bedürfnisse seiner Bewohner ausgerichtet sein sollte, steht bei Pichler drei Jahrzehnte später der menschliche Schädel im Zentrum. “Schädeldecke, wie ein Gebäude” heißt ein wie als futuristisches Gebäudemodell ausgestaltetes Motiv, das einem auch in einigen Zeichnungen variiert wieder begegnet.
Entwirft Kiesler multifunktionale geschwungene Objekte, die als Fläzmöbel ebenso genutzt werden können wie als Tisch oder Bank, spiegelt sich in Pichlers skulpturalen Architekturen auch die Technikbegeisterung am Beginn des Raumfahrtzeitalters, die aber auch dystopisch als Entfremdungs- und Abkapselungsprozess des Menschen von seiner Umwelt gelesen werden können: Die Installation “Großer Raum” besteht aus einem Alu-Zink-PVC-Würfel, der von einer riesigen aufblasbaren Kuppel umgeben ist, “Kleiner Raum” aus einem mit Mikro ausgestatteten weißen Helm, der ähnlich dem Pendant für Astronauten über den gesamten Kopf gestülpt werden muss.
Auch in puncto Raumausgestaltung erwies sich das eigentlich ungleiche Duo als visionär: Kiesler präsentierte exakt vor 100 Jahren in Wien im Rahmen der “Internationalen Ausstellung neuer Theatertechnik” im Konzerthaus sein “Leger- und Trägersystem”. Da er die Wände nicht als Präsentationsfläche verwenden konnte, entwickelte er ein flexibles, modulares Displaykonzept. Pichler wiederum hatte 1971 seine erste umfassende Einzelausstellung im Belvedere 21, das damals noch unter “Museum des 20. Jahrhunderts” firmierte. Darin hatte er sich nicht zuletzt mit Raumorganisation und Werkpräsentation auseinandergesetzt.
“Das waren unglaublich moderne Ideen”, schwärmte Rollig. Diesen Aspekt will man auch in der aktuellen Ausstellung aufgreifen. Für die jetzige Displaygestaltung hat man die Künstlerin Sonia Leimer, Jahrgang 1977, verpflichtet, die dem Raum u.a. mit Y-förmigen Trennelementen und einem lang gezogenen halbrunden Bogen einen völlig neuen Eindruck verleiht.