Von: bba
Meran – An der mahnenden Tafel in der Zueggstraße, die an die Gräuel des Nazi-Regimes erinnert, wurde am gestrigen Tag des Gedenkens ein Kranz niedergelegt. An der Gedenkfeier nahmen auch Bürgermeister Paul Rösch, Vizebürgermeister Andrea Rossi und Roberto Nahum in Vertretung der Jüdischen Gemeinde Meran teil.
“Der Tag des Gedenkens und die alljährliche Kranzniederlegung an dieser Gedenkstätte sind ein wichtiges Ritual: ein Stück fest verankerter, kollektiver Erinnerung. Die jährliche Wiederholung und Ritualisierung garantieren, dass wir die schrecklichen Geschehnisse vor über 70 Jahren nie vergessen, die hier an dieser Stelle und in ganz Europa das Zusammenleben erschüttert haben; doch sie bergen auch eine Gefahr: Wenn wir nicht mehr begreifen, was diese Kranzniederlegung eigentlich mit uns zu tun hat; wenn das Ritual nur oberflächlich bleibt; wenn wir einfach nur das tun, was halt immer getan worden ist und wir nicht mehr darüber nachdenken, warum das eigentlich passiert. Heute gilt für uns: Wir müssen verstehen, dass die Freiheit von Gewalt und Unterdrückung keine Selbstverständlichkeit ist, sondern dass wir auch heute die Augen offen halten müssen, uns engagieren und eintreten müssen für eine freie und offene Gesellschaft, die nicht ausschließt und diskriminiert, die nicht Grenzen zieht und Feindbilder pflegt, sondern nach wie vor im gemeinsamen Gespräch und im friedvollen Austausch nach Lösungen sucht”, sagte Bürgermeister Paul Rösch. “Das ist unsere Verantwortung heute – und sie ist der Grund, warum wir uns weiter jedes Jahr hier versammeln: im Gedenken an die Opfer von damals und im Bewusstsein, dass es unsere Aufgabe ist, die Erinnerung auch in Zukunft wirksam und am Leben zu halten”, so Rösch.
Eine Auffassung, die auch Vizebürgermeister Andrea Rossi voll und ganz teilte. “Ein Mal im Jahr eine Gedenkfeier zu veranstalten und einen Kranz niederzulegen, reicht nicht, um die tägliche Gefahr von neuen Gräueltaten abzuwenden”, sagte Rossi, der dann an die Worte der Senatorin Liliana Segre erinnerte. “Als achtjähriges Mädchen wurde sie von der Schule verwiesen, weil sie eine Jüdin war. Sie hatte mit ihrer Familie gehofft, als Asylbewerberin in der Schweiz Unterkunft finden zu können, doch der zuständige Beamte schickte sie und ihre Angehörige wieder zurück nach Italien, weil er ihnen kein Wort glaubte. Kurz danach wurde sie ins KZ Auschwitz deportiert. Sie wurde zu einer Nummer und ihres Namens beraubt. Sie wurde geschlagen, ohne zu verstehen, warum das alles geschah. Von den insgesamt 605 Frauen, die wie Liliana Segre zwischen 1943 und 1945 von Mailand nach Auschwitz kamen, wurden nur 30 als arbeitsfähig erklärt. Alle anderen starben in den Gaskammern. Von 775 Kindern unter 14 Jahren überlebten nur 25”, sagte Rossi. “Diese Zahlen sollen für uns eine tägliche Mahnung sein, rechtzeitig jene Menschen zu erkennen, die diese Tragödie leugnen oder weitere Verbrechen im Visier haben, und ihnen entschieden entgegenzuwirken.”
Der Ort des Gedenkens wurde am 27. Jänner 2010 auf dem Areal der ehemaligen Bosin-Kaserne offiziell errichtet. Dort erinnert eine marmorne Gedenktafel, die an der Umzäunungsmauer angebracht wurde, an diesen leidvollen Ort. Während des zweiten Weltkrieges wurde die damalige Kaserne der Grenzwache in ein Konzentrationslager umgewandelt. Diese Außenstelle des Bozner KZs – anfangs in der nahe gelegenen Rossi-Kaserne eingerichtet – war vom Oktober 1944 bis April 1945 in Betrieb. Politik, Krieg und Rassismus waren die Gründe für die Gefangennahme von Frauen und Männern aus verschiedenen Sprach- und Religionsgemeinschaften, die hier Zwangsarbeiten verrichten mussten. Um Weihnachten 1944 gelang es zwei jungen Frauen über die Umzäunungsmauer zu klettern und aus dem Lager zu fliehen. Dank der Hilfe einiger Meraner BürgerInnen konnten sie sich in Sicherheit bringen.