Von: apa
Es hat unterschiedliche Gründe, warum Musiker eigenes altes Material neu aufnehmen. Im Fall von Neil Young geht es nicht um Rechterückgewinnung oder Einfallslosigkeit: Das am Freitag erscheinende Album “Before And After” des amerikanisch-kanadischen Musikers wird dadurch zu einer berührenden Retrospektive, ja viel mehr zu einem intimen Porträt. Young hat bekannte und weniger bekannte Stücke solo neu aufbereitet und sinnvoll zu einem durchgehenden Musikstück zusammengefügt.
Der ewige Hippie, den es mal mit lauten E-Gitarren gibt, dann wieder sanft akustisch, manchmal auch beides vereinend, ist nach einer von der Pandemie bedingten Tourneepause unlängst wieder durch die USA gezogen. Dabei trat Young solo akustisch auf. “Before And After” kommt, bis auf eine Ausnahme, ebenfalls ohne elektrische Gitarren und Drums aus. Allerdings handelt es sich nicht, wie man nach der jüngsten Konzertreise vermuten könnte, um einen Mitschnitt. Young ist das Kunststück gelungen, im Studio aus alten Songs ein spannendes neues Werk zu zaubern.
“Aus einer breiten Palette seiner Originale wählt Young Favoriten aus seinem Playbook aus, wie eine Reise in seine Musikgeschichte”, schreibt seine Plattenfirma. “Die einzelnen Songs gehen ineinander über und bilden einen kontinuierlichen Fluss, der sich zu einem 48-minütigen, reinen und intimen Hörerlebnis summiert.” Er sei herangegangen “wie ein Maler an eine neue Farbpalette”, zieht das Label einen durchaus zutreffenden Vergleich. Auf alle Fälle gewähren die Stücke, die nicht nach “Greatest-Hits”-Gesichtspunkten ausgewählt wurden, Einblick in Youngs Innenleben.
“I’m The Ocean” (vom Album “Mirror Ball”) macht mit akustischer Gitarre den Anfang. Die Textzeile “people in my age, they don’t do the things I do” könnte mit Blick auf vergangene Tätigkeiten des Musikers nicht aktueller sein. Es folgt das zarte “Homefires”, ebenfalls mit akustischer Gitarre, aber mit Harmonika-Intro. Der Song entstand während der Aufnahmen zum Album “On The Beach” (1974), blieb lange unveröffentlicht und kam nur selten zu Live-Ehren. Mit “Burned” geht Young zurück in seine Zeit mit Buffalo Springfield. “On the Way Home” von der Supergroup CSNY funktioniert auch ohne deren Harmoniegesang perfekt.
Obskures aus dem Katalog darf nicht fehlen: “If You Got Love” hätte auf dem umstrittenen, mit Vocoder stimmverzerrten Album “Trans” landen sollen. Interpretiert mit Orgel und Harmonika bekommt der ursprünglich elektrische, beschwingte Song eine gänzlich andere Stimmung. Eine Klaviermelodie begleitet “A Dream That Can Last”: War der Song auf “Sleeping With Angels” noch ein düsterer Gospeltrack, klingt er nun beschwingt-melancholisch.
Material aus dem großteils missglückten Album “Are You Passionate?” erfährt auf “Before And After” eine Aufwertung: “When I Hold You In My Arms” verzaubert mit Reduziertheit (ohne Drums und kitschigem Backgroundgesang). Hier schleicht sich zwischen Klavierklänge sanft eine elektrische Bluesgitarre ein. Besser geht’s nicht. “Das Gefühl wird nicht in Teilen, sondern als Ganzes eingefangen – darauf ausgelegt, auf diese Weise gehört zu werden”, sagt Neil Young. Diese Musikpräsentation trotze jedem Shuffling, jeder Trennung. “Nur zum Zuhören.” Und das lohnt.
(Von Wolfgang Hauptmann/APA)