Von: apa
Franz Suess hat ein Auge für Menschen, die oft übersehen werden. Der in Wien lebende Comickünstler erzählt Geschichten, die vertraut und neuartig zugleich wirken. So auch in seinem kürzlich erschienenen Buch “Drei oder vier Bagatellen”, das über mehrere Jahre entstanden ist. “Ich wollte etwas über die Funktion von Toiletten machen”, so Suess. “Im Buch sind sie Fluchtorte, Orte von Begegnungen sexueller Art oder aber Versuch, sich zu ernüchtern und wieder zu Sinnen zu kommen.”
Wir begegnen dem unsicheren Michael, der sich mittels Onlinedating sexuelle Erfüllung erhofft, dann aber aus dem Klo des als Treffpunkt auserkorenen Cafés flüchten muss. Brigitte und ihrer neuen Bekanntschaft ist wiederum ein unterschwelliges Unwohlsein gemein, das zwar immer wieder an die Oberfläche tritt, der körperlichen Annäherung aber nur unmerklich im Weg steht. Der Bub Tobias wird schließlich von seiner Mutter zum Opa abgeschoben, wo es für ihn zwischen abgestandenen Gerüchen und fehlendem Handyladegerät nur wenig Erbauliches gibt. All das erzählt und zeichnet Suess in Schwarz-weiß und einfach gestalteten Panels, bei denen vor allem die nah herangezogenen Gesichter für emotionale Tiefe sorgen.
“Ich arbeite themenbezogen”, erzählte der gebürtige Linzer im APA-Gespräch. “Ausgangspunkt ist manchmal die Natur, etwa die körperlichen Veränderungen beim Menschen. Oder aber bestimmte Personen, die mich interessieren wenn ich sie sehe und mir dann imaginiere, wie sie vielleicht leben oder was ihr Leben ausmacht. All das ist natürlich auch Übertragung und Fantasie.” Verortet werden diese Figuren an Plätzen, die jeder kennt, die Suess aber mit feinen Kniffen aus ihrer banalen Allgemeingültigkeit herausholt und sie zu zentralen Elementen seiner Handlung macht. “Ich versuche, die Umgebung so fremd wie möglich zu schaffen, um mein Personal damit zu konfrontieren, dass es nicht in einer vertrauten Umgebung ist.”
Auf unterschiedliche Weise spielt digitale Kommunikation bei den “Bagatellen” eine Rolle. Wie aber geht es Suess selbst mit diesen Tools? “Als Künstler sind soziale Medien extrem wichtig, gerade was den Kontakt zu anderen Zeichnerinnen und Zeichnern betrifft. Mich selbst interessiert es zwar nicht so, aber ich versuche, es mehr und mehr zu verwenden. Ich gehe also gezwungenermaßen damit um”, lachte Suess. “Es ist ein Teil vom Geschäft – genauso, wie ich jetzt da sitze.” Wobei er etwa via Instagram eher selten einzelne Zeichnungen teile. “Das kommt mir so läppisch vor. Ein Buch besteht ja aus 500 Zeichnungen. Jeder Künstler möchte Applaus für sein Tun. Aber so bin ich nicht, dass ich das für jeden Strich brauche.”
Rückmeldungen anderer Art sind ihm hingegen sehr wichtig. So hat Suess seit Jahren einen Erstleser für seine Geschichten, der sich eigentlich gar nicht so sehr für Comics interessiert. “Es ist wichtig, nicht nur in der eigenen Suppe zu schwimmen. Mein erster Leser hat einen scharfen Verstand und genug Einfühlungsvermögen, um mir diese Rückmeldungen zu geben. Zu Beginn war ich oft extrem beleidigt”, schmunzelte der Zeichner. “Aber jetzt nehme ich alles auf, was da kommt, und verarbeite es zu einem späteren Zeitpunkt.” Erst wenn dann Entwürfe, Handlung und Richtung zusammenpassen, geht es an die finalen Zeichnungen.
Wobei er selbst diesen gesamten Prozess nicht unbedingt als aufregend bezeichnen würde. “Als Zeichner erlebt man ja so wenig. Man sitzt da einfach am Schreibtisch. Da gibt es am Abend nicht viel zu erzählen”, lachte er. “Das ist so langweilig.” Dabei kommt er auch auf seine Studienzeit an der Kunstuniversität Linz zu sprechen. “Ich habe nicht gelernt, wie man da tut nachher, etwa was die Einsamkeit betrifft. Die Natur der Arbeit ist ja, dass man viel Zeit allein verbringt. Während des Studiums hast du viele Leute um dich. Plötzlich sind die alle weg. Natürlich gibt es noch Kontakte, aber nicht in dem Ausmaß.”
Und der Erfolg? Suess hat in jedem Fall Durchhaltevermögen bewiesen und wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet, etwa jüngst mit dem mit 25.000 Euro dotierten Comicbuchpreis der deutschen Berthold-Leibinger-Stiftung für sein nächstes Projekt “Jakob Neyder”. “Mich wundert es ja ehrlich gesagt, dass noch Bücher gekauft und gelesen werden”, überlegt der Comiczeichner. “Der Content an konsumierbaren Filmen und Serien ist ja riesig, das ist irre. Lesen ist da viel anstrengender”, schiebt er schmunzelnd nach. Als Künstler habe man es jedenfalls generell schwer. “Es gibt viele, die das Gefühl haben: Ich habe viel mehr verdient, als ich zurückbekomme. 99,9 Prozent der Leute haben einen Fremdberuf.” Auch er habe jahrelang unterrichtet und war im Illustrationsbereich tätigt.
Eine Strategie, um präsent zu sein, sei auch, Preise zu gewinnen. “Man muss sich bewerben, bewerben, bewerben und darf nicht frustriert sein, wenn es nichts wird.” Jede Jury urteile schließlich subjektiv, das liege in der Natur der Sache. “Aber wenn man Glück hat, kommt man zum Zug.” Die Förderlandschaft Comics betreffend sei schwierig, in Österreich falle man da unter die Literaturabteilung. Aber alles spiele letztlich hinein. “Stipendien sind wichtig, Preise sind wichtig – und die Medien”, lachte Suess.
(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E – Franz Suess: “Drei oder vier Bagatellen”, Avant-Verlag, 208 Seiten, 25,70 Euro; www.avant-verlag.de/artist/franz-suess/; www.franzsuess.com)