Gunkl denkt auch auf der Bühne gerne nach

Gunkl findet Humor “im Spalt zwischen Ist und Soll”

Samstag, 16. September 2023 | 07:20 Uhr

Von: apa

Günther Paal alias Gunkl gilt als Gehirnakrobat unter den heimischen Kabarettisten. Am Dienstag hat sein neues Programm “Nicht nur, sondern nur auch – ein ziemlich ungeordneter Versuch, über Ordnung zu reden” im Wiener Stadtsaal Premiere. Im Vorfeld sprach die APA mit dem bekennenden “Aspergerianer” über die Radikalität der Klimabewegung, die Humorbegabung von Künstlicher Intelligenz und was Maisstärke mit der Welt nach Corona zu tun hat.

APA: Darf man Sie einen Sozialasketen nennen?

Günther “Gunkl” Paal: Ja.

APA: Sind Sie als Sozialasket traurig, dass Social Distancing nicht mehr gilt?

Paal: Social Distancing war für mich angenehm, weil es ein Sozialleben war, wie ich es gerne habe, ohne es anders machen zu sollen. Jetzt habe ich es immer noch gern, weiß aber, dass ich es anders machen sollte. Ich komme mit Menschen aus, aber wenn gerade keine da sind, ist’s auch in Ordnung.

APA: Hat die Pandemie Ihren Blick auf die Welt verändert?

Paal: Kurz hatte ich die fromme Hoffnung, dass die Menschen, die bestimmte Behauptungen über die Welt formulieren, dann, wenn die Welt wirklich zuschlagt, sagen: ‘Aso, na dann hab ich mich geirrt.’ Aber siehe da, es hat sich verhärtet. Ich dachte mir, wenn du eine Pandemie in der Welt stehen hast, werden die Verschwörungstheoretiker sehen, dass sie sich geirrt haben. Aber offenbar hat Glauben eine rheopektische Fluiddynamik – im Sinne von: Je härter man drauf haut, um so dichter macht’s zu. Es gibt Thixotropie und Rheopexie. Thixotropie ist eine Umwandlung unter mechanischem Druck. Wandfarben z.B. sind ein Gatsch, wenn du sie auf den Pinsel holst. Das ist praktisch, weil sie nicht tropft. Sobald du Druck ausübst, wird sie flüssig, bis der Druck weg ist, dann haftet sie wieder an der Wand. Rheopexie ist das Gegenteil. Wenn du Maisstärke in einem bestimmten Verhältnis mit Wasser vermischst, ist es zähflüssig. Wenn du einen Hammer drauflegst, geht er unter. Wenn du mit einem Hammer draufhaust, macht das zu und der Hammer kann das nicht penetrieren. So ist es mit Geglaubtem: Je härter du draufhaust, umso dichter macht es zu.

APA: Das sind dann aber keine rosige Erkenntnis angesichts der vielen Krisen, die uns gerade heimsuchen.

Paal: Ja, aber man sollte wissen, das es so ist. Das heißt: Je kantiger die Maßnahme, der Vortrag ist, umso weniger wirst du erreichen. Wenn man das weiß, kann man sich die eigenen Maßnahmen überlegen.

APA: Das neue Programm heißt “Nicht nur, sondern nur auch”. Worum geht’s?

Paal: Es geht darum, dass Ausschließlichkeiten selten funktionieren, weil die Welt nicht in Ausschließlichkeiten existiert. Jeder Versuch, die Welt mit einem strammen Konzept zu fassen, scheitert, weil es vorne, hinten, oben, unten, links, rechts immer Ausreißer gibt, die, wenn man sie nicht beachtet, das Konzept korrumpieren.

APA: Im Untertitel heißt es “Ein ziemlich ungeordneter Versuch, über Ordnung zu reden”. Was interessiert Sie an der Ordnung?

Paal: Es ist ein interessantes Phänomen – etwas, das notwendig ist. Denn wenn es keine Ordnung gibt, zerrinnt alles. Der Mensch hat doch so viel Bedarf und Bedürfnis nach Orientierung, dass, wenn keine Ordnung ist, eine etabliert wird. Und je mutwilliger Ordnung aufgehoben wird, umso kantiger wird sich die neue Ordnung etablieren. Anarchie führt ins Faustrecht. Es bräuchte eine Ordnung, die alle herstellen und akzeptieren, damit wir nicht den einen brauchen, der sie herstellt. Aber um das zu lernen, brauchen wir noch ein paar Jahrzehnte oder Jahrhunderte.

APA: Ihre Programme sind nichts für Denkfaule. Gleichzeitig wird regelmäßig konstatiert, dass Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeitsspanne nachlassen. Fürchten Sie um Ihr Publikum?

Paal: Wenn es wirklich so ist, ist es natürlich falsch, dem stattzugeben. Man ist vielmehr auf den Plan gerufen, dagegen anzuarbeiten, indem man zeigt – und ich hoffe, das zu können -, dass eine längere Aufmerksamkeitsspanne was bringt. Da muss man halt Zuckerl hinlegen.

APA: Wie schauen die bei Ihnen aus?

Paal: Menschen hassen Belehrungen und lieben Erklärungen. Ich habe es gern bei mir, wer was erklärt. Und ich habe es auch gern, wenn ich auf etwas draufkomme. Es gibt ein ‘Juhu-Zentrum’ im Gehirn. Es geht uns gut, wenn wir etwas Neues erkannt haben. Erkenntnis ist ein lustvoller Prozess. Wenn ich etwas erkläre, versuche ich den Weg der Erkenntnis mitzugehen und herzuleiten, warum etwas so ist. Das ist meine Freude, die ich gerne teilen möchte.

APA: Warum ist für Sie die Tagespolitik eigentlich so uninteressant als Quelle für Pointen?

Paal: Weil ich mein Programm nicht alle 14 Tage umschreibe (lacht). Ich beschäftige mich nicht mit den Erscheinungen, sondern mit den Grundlagen, weil die Erscheinungen wechseln, die Grundlagen bleiben. Ich will Programme schreiben, die ich erstens drei Jahre lang spielen kann und mir zweitens 20 Jahre später denken können: ‘Ja, das hält’.

APA: Politisch wird es schnell, wenn es um die Klimaproteste geht. Sie haben im Mai gemeinsam mit anderen Kabarettisten an einer Verkehrsblockade der “Letzten Generation” in Wien teilgenommen. Die sogenannten Klimakleber polarisieren. Wie radikal darf oder muss dieser Protest sein?

Paal: Wenn ich das wüsste… Man kann alles pragmatisch oder ideologisch betrachten. Selbst wenn man ideologisch recht hat, kann es passieren, dass man sich pragmatisch ein Eigentor schießt, indem man Maßnahmen trifft, um auf ein Thema aufmerksam zu machen. Das, was aber dann Aufmerksamkeit bekommt, sind die Maßnahmen und nicht das Thema. Es wäre schön, wenn es mehr bewirken würde, als dass man sagt: ‘Die Trotteln picken sich an, scheibt’s es zam.’ Wenn man jemand an Bord holen will, ist es nicht schlau, wenn man dabei über die Reling brunzt.

APA: Bei der Klimakatastrophe liegen die Fakten seit langem auf dem Tisch, auch die Handlungserfordernisse. Warum gelingt es uns als Gesellschaft trotzdem nicht, das Richtige, das Notwendige zu tun?

Paal: Ein Grund ist: Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen ‘alle’ und ‘jeder’, obwohl es gleich viele sind. Wenn sich jeder nicht an das hält, was für alle gut wäre, haben wir Pech. Jeder ist sich selbst näher als alle. Und jeder ist allen auch näher als alle. In einem Programm habe ich einmal gesagt: ‘Alle kriegen wir nur umfasst, wenn wir jeden davon kennen.’ Alle ist für uns zu abstrakt.

APA: Haben Sie eigentlich noch Ihr Auto?

Paal: Ja, brauche ich beruflich. Ich bin 50.000 Kilometer im Jahr unterwegs. Ich spiele auch mit dem Georg Breinschmid, da habe ich meinen Bassverstärker mit. Den bringe ich nicht in den Zug und vom Zug nicht zum Aufführungsort und von dort nicht ins Hotel. Ich fahre aber wirklich sparsam, unter sechs Liter auf 100 Kilometer, und mit Tempomat 100 auf der Autobahn. Aber nicht nur wegen der Umwelt, sondern weil ich entspannt ankommen möchte und nicht nach einem Hörsturz Knochen zusammenkletzeln müssen.

APA: Auf der Bühne verzichten Sie auf Bühnenbild, Musik, Lichteffekte oder andere Showelemente. Sie in der Mitte, Scheinwerfer, schwarzer Vorhang – das wars. Da muss man schon sehr viel Vertrauen in das eigene Gesagte haben, oder?

Paal: Naja, ich denke mir, wenn das, was man sagt, nicht genügt, wird der Abend nicht besser, wenn daneben Sterndlspucker tanzen.

APA: Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Braucht es für Humor den Menschen oder schafft das auch die Maschine?

Paal: Für Humor braucht es den Menschen, weil Humor ja im Spalt zwischen Ist und Soll stattfindet. Dieser Spalt wird nur dann mit Humor füllbar, wenn alle, die zuhören, ein gemeinsames Wissen über das Ist haben und ein gemeinsames Wissen um das Soll. Künstliche Intelligenz hat, glaube ich, keine mehrheitsfähige Idee von Soll. Humor ist ja eine Einladung in eine Denklandschaft, dass man gemeinsam das, was an Soll verfehlt wird, erkennt. Ich glaube auch nicht, dass sich eine Künstliche Intelligenz im Kern in unsere Gemütslandschaft hineinmanövrieren kann. Aber ich sehe die Gefahr, dass wir unsere Gemütslandschaft auf die Krücke hinmodellieren, die die KI imstande ist zu formulieren. Das wäre dann ein bisschen traurig.

APA: Inwiefern?

Paal: Dass wir als Humor definieren, was die KI vorgibt. Das Abbild wird zum Vorbild. Frauen, die ausschauen wollen wie eine Barbie-Puppe. Nein! Eine Barbie-Puppe soll ausschauen wie eine Frau.

APA: Ein Gunkl-Programm aus der Feder von ChatGPT ist also nicht in Sicht?

Paal: Das kann ich mir schwer vorstellen.

(Das Interview führte Thomas Rieder/APA)

(ZUR PERSON: Günther Paal wurde am 23. März 1962 in Wien geboren und machte sich unter seinem Künstlernamen Gunkl als Kabarettist einen Namen. Seit 1994 steht er mit seinen geschliffen formulierten wie pointierten Soloprogrammen zwischen Philosophie und Naturwissenschaften auf der Bühne. Einem breiten Publikum wurde er in den 200er-Jahren in Alfred Dorfers Satiresendung “Dorfers Donnerstalk” als “Experte für eh alles” bekannt. Der frühere Kellner und gelernte Reprofotograf wurde u..a mit dem Salzburger Stier, dem Deutschen Kleinkunstpreis und dem Österreichischen Kabarettpreis ausgezeichnet und machte 2017 in seinem Programm “Zwischen Ist und Soll” öffentlich, dass er das Asperger-Syndrom hat. Als Musiker ist Paal seit vielen Jahren Teil der Bühnenband von Alfred Dorfer sowie neben Clara Luzia, Gerald Votava oder Manuel Rubey Mitglied der “Familie Lässig”.)