Von: apa
Über Sex lässt sich wunderbar witzeln. Vorbei ist es mit dem Schmäh aber, wenn das Sexleben nicht nach Wunsch funktioniert – etwa wenn man nach einer Scheidung alleine dasteht. In diesem Fall sind oft Freunde und Eltern mit gut gemeinten, aber wenig hilfreichen Tipps zur Stelle. Dazu kommen gesellschaftliche Konventionen, die gerade Frauen oft beim Ausleben ihrer Sexualität hemmen. Darum geht es in Victoria Brands Roman “Nimm mich (wie ich bin), sonst mach ich’s selbst”.
Das Cover des Buchs – man sieht die Rückansicht männlicher und weiblicher Waden, Wasserstrahlen und einen Duschvorhang, der den Rest der offensichtlich nackten Körper verdeckt – kann bei der Lektüre in öffentlichen Verkehrsmitteln durchaus neugierige Blicke anderer Passagiere hervorrufen. So wie einst “Fifty Shades of Grey” – von dem sich das jüngst im Ullstein-Verlag erschienene Werk der auch als Sexologin und Paarberaterin tätigen Autorin aber inhaltlich deutlich abgrenzt.
Durchaus humorvoll, aber auch immer wieder zum ernsthaften Nachdenken anregend, geht es in flottem Schreibstil über rund 300 Seiten um die Geschichte der Hauptfigur Alex, deren Ehemann zwischen zweitem und drittem Corona-Lockdown mit einer anderen Frau durchgebrannt ist.
Für die Endvierzigerin Alex, die nur von ihrer Mutter – welche sie nun gerne mit einem ihrer alleinstehenden Kollegen aus ihrem Golfclub verkuppeln will – mit ihrem ganzen Namen Alexandra angesprochen wird, stehen nun einsame Tage am Sofa auf dem Programm. Im Jogginganzug sieht sie nun Chips-essend eine TV-Serie nach der anderen an, ihre Einsamkeit wird nur von der hin und wieder vorbeischauenden Tochter, die anderswo in einer WG lebt, unterbrochen. Die große persönliche Freiheit, nach der sich Alex während ihrer Ehe oft gesehnt hatte, schmeckt also bitter.
Zwar hat Alex auch einen gelegentlichen Sexpartner, empfindet bei den Treffen mit diesem aber keine Lust. Erst Christian, ein Arzt, mit dem sie schon lange befreundet ist, macht sie mit “eindeutig zweideutigen” Andeutungen und Einladungen neugierig und nimmt sie auch auf sogenannte sexpositive Partys mit. Gemeinsam mit ihm erschließt sich Alex einen neuen Freundeskreis – sexuell aufgeschlossene Pärchen, die schon einmal zum Partnertausch oder anderen ausgefallenen Aktivitäten bereit sind. Alex traut sich ihren Lebensstil zwar nicht recht zu, ist aber neugierig und fasziniert.
Schließlich kommt was kommen muss – der Beginn einer sexuellen Beziehung mit Christian. Diese verheimlicht sie jedoch ihren besten Freundinnen und ihrer Mutter. Denn was bitte sollen die von ihr denken? Immerhin eilt Christian der Ruf voraus, eine Frau nach der anderen zu erobern – und diese Eroberungen schnell auch wieder fallen lassen. Gerüchte, die Alex verunsichern und manche Signale Christians falsch deuten lassen – bis sie bei einer Silvesterparty über sein Verhalten so in Rage gerät, dass sie nichts mehr von ihm wissen will. Wie sie mit dem Verlust umgeht und ob es ein Happy End gibt, sei an dieser Stelle dahingestellt.
Das Buch der Österreicherin Victoria Brand versteht sich als “Befriedigungsroman” und sieht sich nicht als Beraterbuch. Zweifellos ist es aber auch ein “Unterhaltungsroman”, jedoch mit Tiefgang (was im Zusammenhang mit dem Hauptthema auch, aber nicht nur in körperlicher Hinsicht gilt). Denn bei aller humoresker Darstellung schwingt hier ein sehr ernstes Thema mit: Die Unzufriedenheit vieler Frauen mit ihrem Körper, mangelndes Selbstbewusstsein und schließlich auch auf gesellschaftlichen Konventionen beruhende Hemmungen.
Zwar sind sowohl die Figur Alex als auch ihre Geschichte fiktiv, jedoch von der Autorin bekannten wahren Begebenheiten inspiriert. Die Erzählung wirft viele Fragen auf, liefert jedoch zumindest vordergründig keine konkreten Antworten. Was wahrscheinlich auch nicht die Aufgabe eines solchen Buches ist. Denn dem wesentlichen Zweck kann sich bei der Lektüre niemand entziehen: dem Nachdenken über hier geschilderte Fragen, Probleme und sonstige Phänomene des Sexlebens, das zwangsläufig dazu führt, sich selbst in einer Skala von prüde, gehemmt, konservativ bis hin zu sehr aufgeschlossen einzuordnen. Denn Alex können sehr viele von uns sein – vielleicht ist das ja ein bewusster Nebeneffekt des für beide Geschlechter anwendbaren Spitznamens der Hauptfigur.
(S E R V I C E – Victoria Brand: “Nimm mich (wie ich bin), sonst mach ich’s selbst”. Ein Befriedigungsroman, Ullstein, 298 Seiten, 13,40 Euro, E-Book: 10,99 Euro)