Die Geschwister Esra und Enes Özmen legen den Finger in die Wunde

Musikduo EsRap setzt auf Authentizität und Widerstand

Montag, 06. Januar 2025 | 07:05 Uhr

Von: apa

Am Abend der Nationalratswahl 2024 standen die Geschwister Esra und Enes Özmen auf der Bühne des Wiener Volkstheaters. Als Musikduo EsRap performten sie Lieder über migrantische Communities und Alltagsprobleme, während die FPÖ zur stimmenstärksten Partei wurde. “Schockierend war es nicht, aber ich dachte mir: Krass, die wurden echt gewählt”, erinnert sich Esra daran. Blicken beide auf die Gesellschaft, fordern sie Solidarität – aber auch Wut!

Vor fünf Jahren erschien EsRaps erstes Album “Tschuschistan”. Im 16. Wiener Bezirk aufgewachsen und lebend, verkörpern die Geschwister seitdem auf musikalische Weise ihr Lebensgefühl. Während Esra für die Raps verantwortlich zeichnet, liefert ihr Bruder Enes melodische Gesangslinien. Und inhaltlich besticht ihr Hip-Hop als gesellschaftspolitischer Ausdruck einer Realität, die oft mit Klischees überfrachtet wird. Entsprechend direkt und offen zeigen sich beide auch, als sie mit der APA über die politischen und sozialen Entwicklungen der vergangenen Monate sprechen. “Letztens habe ich den Satz gehört: Ein Mensch, der nicht wütend wird, ist ein halber Mensch”, so Enes. “Man sollte wütend sein!”

Alltägliche Probleme versus große Projekte

Gründe dafür gibt es ja reichlich: Die Welt wird beherrscht von Krisen, in Österreich wiederum scheint die Bevölkerung zunehmend mit dem Status quo unzufrieden und sucht nach Antworten auf steigende Lebenskosten. “Niemandem ging es im vergangenen Jahr gut”, nickt Esra. “Corona wirkt nach, es gibt Kriege, du siehst jeden Tag schlimme Nachrichten auf Instagram. Aber es ist ein bisschen egoistisch: Wenn man diese Probleme in unserem Land wegschiebt und verdrängt, wird es uns besser gehen.” Damit spricht sie die Taktik vieler rechtspopulistischer Parteien an, Migranten als primäre Zielscheibe zu adressieren. “Rechtssein ist ein generelles Thema”, urteilt sie.

Es sei kein Tabu mehr, bei rechten Parteien sein Kreuz zu machen. “Früher hat man nicht damit angegeben, die Blauen zu wählen. Das wollte man nicht laut sagen. Jetzt ist es selbstverständlich geworden und man sagt es ganz laut”, so Esra. Die Mehrheitsgesellschaft sorge sich in erster Linie um die Fragen “Wie lebe ich, was zahle ich, wo ist mein Arbeitsplatz?”, fasst es Enes zusammen. “Da hat man nicht viel Platz für zukünftige oder größere Projekte”, verweist er etwa auf die Klimakrise und mögliche Lösungsansätze. “Das Interesse dafür ist nicht da.”

“Veränderungen haben ihr eigenes Tempo”

Warum aber haften die unzähligen Warnungen von wissenschaftlicher Seite ebenso wenig, wie Politskandale scheinbar vergessen und doch wieder diese Parteien gewählt werden? “Veränderungen haben ihr eigenes Tempo”, versucht sich Esra an einem größeren Zusammenhang. “Schöne Veränderungen passieren langsam, gerade verändern sich die Dinge aber sehr schnell.” Mit Hass und Hetze werde versucht, diese raschen Veränderungen herbeizuführen. “Wem wollen wir was erzählen, dieses Land hat eine Geschichte! Mit schnellen Veränderungen ist es hier bereits ganz tief nach unten gegangen. Die guten Veränderungen kommen da gar nicht ran, das wird unsichtbar.”

Für EsRap ist die Musik jedenfalls eine Möglichkeit, die so angestaute Wut rauszulassen und in etwas Positives zu verwandeln. Dafür immer die richtigen Worte zu finden, sei aber gar nicht so einfach – trotz oder gerade wegen der Zweisprachigkeit in den Texten. “Es hat Vor-, aber auch Nachteile”, erzählt Enes über die türkischen und deutschen Lyrics. “Man denkt in der Muttersprache, aber macht auf Deutsch Musik. Und vor allem deutschsprachige Menschen hören uns zu.” Ein wesentlicher Faktor ist für beide Authentizität. “Wir wissen, wie wir im Privaten sind und verstehen uns zum Glück sehr gut”, so Esra. “Deswegen ist es immer ein Zurückgehen ins Authentische, ins Ehrliche. Wir versuchen uns da zu halten.”

Authentizität als wesentlicher Aspekt

Womit man auch wieder im Politischen angelangt wäre: Denn in Sachen Authentizität haben die rechten Parteien zurzeit augenscheinlich Oberwasser. “Den Rechten glaubt man offenbar mehr”, urteilt Esra, die Gründe dafür auch im immer noch tief verwurzelten Patriarchat ausmacht. “Oft sind es Männer, die uns da etwas erzählen. Wie ein Vater, der uns etwas sagt. Dieses konservative Bild ist für viele leichter zu verstehen.” Wobei ihr Enes zustimmt: “Das ist eine Formel, die sehr gut funktioniert. Eine Schablone.”

Keinesfalls dürfe man deshalb aber in die Falle tappen und die Wählerschaft rechter Parteien in einen Topf werfen. “Die Menschen sind ja dieselben geblieben, auch wenn sie nun FPÖ wählen”, sagt die Musikerin. “Ich bin in Österreich aufgewachsen und habe ein Gefühl dafür, wie viel Rassismus da ist.” Für die vielen Ängste der Menschen habe sie durchaus Verständnis. “Man sollte da klar unterscheiden, damit wir uns nicht so eingekesselt fühlen. Natürlich ist rechter Druck da, aber es sind vielleicht nicht so viele, wie es zurzeit den Anschein macht.”

Positiv denken und Widerstand leisten

Gerade in Zeiten von Social Media würden sich negative Nachrichten rasend schnell verbreiten. “Passiert irgendwo in Ottakring eine Schlägerei, war das früher vielleicht gar keine Schlagzeile wert”, erzählt Enes über seinen Heimatbezirk. “Jetzt ist das aber sofort online, es hat eine extrem große Wirkung.” Deshalb dürfe man sich aber nicht verunsichern lassen, sondern müsse das Positive erkennen und nach vorne blicken. Das ist auch eine Botschaft, die EsRap im jüngsten Song “Die Berge würden zittern” verbreitet: “Das Leben geht weiter, wir schaffen das.” Vielfach hätten die Menschen heute “eine graue Wolke vor Augen”, meint Esra. “Aber wir leben nur einmal. Sind wir positiv, dann gibt uns das auch Kraft. Wenn du an das Gute nicht mehr glaubst, kannst du auch keinen Widerstand leisten.”

(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)

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