Von: apa
Sie mag ihre Karriere im Black-Metal-Fach begonnen haben, aber Amalie Bruun hat sich von genretechnischen Abgrenzungen längst freigespielt: Als Myrkur lieferte die dänische Musikerin mit ihrer Begleitband Dienstagabend eine ungemein zwingende Darbietung in der Wiener Arena ab, bei der sie wunderbare Hymnen in der Dunkelheit servierte. Hier trafen mythologische Referenzen auf bezaubernde Stimmen und ein Händchen für das gewisse Etwas.
Zehn Jahre sind vergangen, seit Myrkur als anfangs noch sehr mysteriöse Erscheinung die musikalische Bildfläche betreten hat. Wo zunächst nur einige schemenhafte Fotos und der infernalische Sound die Aufmerksamkeit weckten, gab es alsbald eine neue Stimme im Metalzirkus zu vernehmen, die es sich nicht nur in extremen Winkeln gemütlich gemacht hat. Es waren keine einfachen Anfangsjahre in der durchaus skeptischen Szene, doch Bruun setzte sich mit ihrer Vorstellung von dunkel gefärbter Musik durch, selbst wenn sie sich in Sachen Härte über die Jahre etwas zurücknahm.
Ihr bisheriges Schaffen kulminierte im aktuellen Album “Spine”, das vergangenen Herbst erschienen ist und neben der Pandemie auch ihre Mutterschaft zu einem zentralen Thema machte. “Es war ein überwältigender Prozess”, rekapitulierte sie vor dem Wien-Auftritt im APA-Interview die Entstehungsphase. “Weniger das Schreiben der Songs selbst, sondern die Zeit davor. Als ich Mutter wurde, war ich mir zunächst nicht mehr sicher, wer ich war. Letztlich habe ich erkannt, dass mir einfach die Musik gefehlt hat. Das Schreiben der Songs wurde zu einem Ort, an dem ich wirklich atmen konnte. Es war ein therapeutischer Prozess.”
Daran ließ sie nun auch ihre Fans teilhaben. Zu einem Großteil von der neuen Platte bestückt, lieferte Bruun mit ihrem Set eine dramaturgisch durchdachte Reise, die sich von manch heftigem Ausbruch über elegische Momente bis zu lang gezogenen Folklore-Harmonien zog. Allen voran Bassistin und Sängerin Maja Schønning muss in diesem Zusammenhang genannt werden, oblag es doch ihr, die stimmliche Extravaganz von Bruun zu doppeln und damit für etliche Gänsehautmomente zu sorgen.
Was aber keineswegs bedeutete, dass diese eineinhalb Stunden ganz ohne massive Soundwände auskamen: Interessanterweise waren es besonders die aktuellen Stücke wie “Like Humans” oder der Titeltrack “Spine” sowie “Valkyriernes sang”, die die Mauern erzittern ließen. Mittlerweile hat eben alles Platz bei Myrkur, der feenhafte Gesang ebenso wie kurz aufblitzende Blastbeats. “Es gab keine Limitierungen”, sprach sie den Sound des neuen Albums an. “Es ging mir einfach darum, meine Gefühle in Songs zu übersetzen. Alles war im Fluss, weil es einfach um meine Heilung in diesem Moment gegangen ist. Der Rest war sekundär.”
Ein besonderer Moment war zudem das Zusammenspiel mit Gitarrist Jonathan Hultén, der mit seinen eigenen, mitunter an einen finsteren Nick Drake gemahnenden Songs den Opener geben durfte. Gemeinsam spielten sie “House Carpenter” vom treffend betitelten “Folkesange”, mit dem Myrkur vor vier Jahren ganz ihre melodische Seite an den Tag legte. Während der ehemalige Tribulation-Musiker mit exaltiertem Kopfschmuck dank dezentem Picking das Feld bereitete, ließen Bruun und Schønning darauf ein ums andere Mal ihre Melodien blühen.
Letztlich dürfte es nicht nur für das Publikum ein spezieller Abend gewesen sein, immerhin hatte Amalie Bruun auch ihre junge Familie in Wien mit dabei. Ihr kleiner Sohn war schon beim Soundcheck am Nachmittag mit Feuereifer mit dabei und hat das Drumset beackert. Das Mutterdasein hat die Musikerin in jedem Fall verändert, wie sie unterstrich. “Ich habe gelernt, öfter Nein zu sagen. Es gibt einfach Dinge, die ich nicht machen kann. Nicht, weil ich etwa zu einer gewissen Zeit zuhause sein muss, sondern weil ich physisch nicht mehr in der Lage dazu bin. Und ganz ehrlich: Das ist eine sehr gesunde Position!” Myrkur hat ihre Mitte gefunden, auf- wie abseits der Bühne.
(Von Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E – www.myrkurmusic.com)