Clarke verlässt großteils den Synthiepop-Pfad

Nach Erasure und Yazoo: Vince Clarke mit erstem Soloalbum

Dienstag, 14. November 2023 | 11:26 Uhr

Von: APA/dpa

Als kreativer Kopf von Erasure, The Assembly und Yazoo schrieb Vince Clarke zahlreiche Popklassiker, darunter Hits wie “Sometimes”, “Don’t Go” oder auch “Just Can’t Get Enough” für die von ihm gegründete Band Depeche Mode. Nach deren Debütalbum, das Clarke nahezu im Alleingang komponiert hatte, verließ er die Gruppe. Bis heute ist der 63-jährige Brite eine der prägendsten Figuren des Synthiepop-Genres. Auf seinem ersten Soloalbum betritt Clarke nun musikalisch neues Terrain.

Ganz verzichtet der dabei allerdings nicht auf Synthesizer-Klänge. “Ich hatte eigentlich gar nicht vor, ein Soloalbum oder überhaupt irgendeine Art von Album zu machen”, sagt Clarke im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur. Doch die Coronapandemie führte letztlich dazu. “Ich habe während des Lockdowns angefangen, einige Tracks zu erstellen, Sounds zu kombinieren und Klanglandschaften zu komponieren. Aber es ging nicht darum, ein Album zu produzieren. Um ehrlich zu sein, war es mehr für meine eigene geistige Gesundheit.”

Auf Anraten seiner Plattenfirma wurde schließlich eine Platte mit zehn Tracks daraus. “Songs Of Silence” ist überwiegend ein Instrumentalalbum. Die atmosphärische Musik im Ambientstil erinnert an die frühen Tangerine Dream und ihr stilprägendes Album “Zeit” oder Brian Enos “Ambient 1: Music for Airports”, das diesem Genre dem Vernehmen nach seinen Namen gab.

“Mich hat schon immer interessiert, wie Menschen solche Musik machen – ohne die üblichen Refrains und Verse”, sagt Clarke, der via Zoom aus seinem Haus in New York spricht. “Die Herausforderung war für mich, Musik zu machen, die nicht von diesen traditionellen Mechanismen abhängig ist und trotzdem interessant klingt. Und in diesem Prozess habe ich mich im Studio wirklich total verloren.” Die Arbeit an “Songs Of Silence” sei “therapeutisch” gewesen.

Zwei Regeln legte sich der Musikguru selbst auf. Erstens sollten alle Sounds von einem Eurorack kommen, dem modularen Synthesizer-Format, das in den 90er-Jahren aufkam, mit dem sich Elemente verschiedener Hersteller kombinieren lassen. Das Equipment hatte er schon länger. “Ich hatte nie wirklich viel Zeit darauf verwendet, es zu lernen oder das Potenzial davon zu erkennen. Während des ganzen Aufnahmeprozesses habe ich also viel Zeit mit Anleitungsvideos auf Youtube verbracht”, erzählt Clarke und lacht. “Ich bin schon irgendwie ein Nerd.”

Zweitens sollte jeder Track auf nur einem einzigen Ton basieren. Auf die üblichen Tonartwechsel verzichtete Clarke ganz bewusst. “Solche Tricks wollte ich nicht nutzen, um diese Tracks interessant zu gestalten”, sagt er. “Ich wollte mich mehr darauf verlassen, wie sich der Sound entwickelt. Und wenn ich das Gefühl hatte, dass der Song vielleicht etwas langweilig wurde oder nicht wirklich was passierte, habe ich etwas aufgenommen, ein Sample oder einen Ausschnitt aus dem Radio oder sowas, um das Interesse der Hörer aufrechtzuerhalten.”

Brian Eno hat das Ambientgenre einst als Musik beschrieben, “die beruhigt und Raum zum Nachdenken gibt” und dabei “ebenso ignorierbar wie interessant” ist. Diese Umschreibung passt auch zu Vince Clarkes Solodebüt, wobei es wegen der klanglichen Extras nicht so leicht zu ignorieren ist. Im Titel “Passages” ist der opernhafte und wortlose Gesang von Caroline Joy zu hören, bei “The Lamentations Of Jeremiah” dramatische Celloklänge von Reed Hays. Im Zentrum von “Blackleg” steht eine Aufnahme des alten Volksliedes “Blackleg Miner”.

Nicht zufällig klingt einiges auf “Songs Of Silence” – insbesondere “Red Planet” und “Last Transmission” – wie der Soundtrack zu einem dystopischen Science-Fiction-Film. “Ich hatte gerade ‘Blade Runner 2049’ gesehen”, verrät Clarke, der sich selbst als großen Science-Fiction-Fan bezeichnet. Die Filmmusik von Hans Zimmer und Benjamin Wallfisch habe ihn inspiriert. “Ich habe mir den Soundtrack sehr aufmerksam angehört und gedacht, ich versuche mal, sowas zu machen.”

Viele Lieder wurden hingegen nicht von Themen oder Dingen beeinflusst, nach denen sie benannt sind, sondern umgekehrt. “Als die Plattenfirma gesagt hat, dass sie das als Album rausbringen will, musste ich mir die Titel überlegen. Die Songtitel wurden davon inspiriert, wie ich fand, dass ein Song oder Track klang.”

Dass die Grundstimmung etwas düster und traurig ist, hat noch einen Grund. “Es war und ist immer noch eine traurige Zeit, sicher nicht nur für mich, sondern für alle”, sagt Vince Clarke. “Es sind ein paar traurige Dinge in meinem Leben passiert und ich denke, sowas spiegelt sich dann in der Musik, die man schreibt, wider. Das ist nichts, was man bewusst macht. Ich bin mir sicher: Hätte ich das Album beim Cocktail-Trinken an einem Strand in der Karibik gemacht, hätte es ganz anders geklungen.” Er grinst. “Leider stecke ich in New York fest.”

(Das Gespräch führte Philip Dethlefs/dpa)