Von: apa
Die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg machte 2017 in einem Interview sexuelle Übergriffe im Rahmen ihrer Karriere öffentlich, was eine intensive öffentliche Diskussion nach sich zog. Angelehnt an ihre Geschichte, bringt nun Regisseur Antonin Svoboda das Drama “Persona Non Grata” ins Kino. In der Hauptrolle ist die Südtiroler Schauspielerin Gerti Drassl zu erleben, die mit der APA über Machtmissbrauch, Generationenkonflikte und den teils herausfordernden Dreh sprach. Drassl ist in Eppan geboren. Von 2015 bis 2018 übernahm sie als Hausfrau Maria Schneider eine der Serienhauptrollen in der österreichischen Fernsehserie Vorstadtweiber. Für ihre dortige schauspielerische Leistung erhielt sie 2017 den Deutschen Schauspielpreis als „beste Schauspielerin in einer komödiantischen Rolle“.
APA: Können Sie sich daran erinnern, als Sie die Geschichte von Nicola Werdenigg erstmals gehört haben?
Gerti Drassl: Ich habe damals den Artikel im “Standard” gelesen und war beeindruckt. Es hat mich tagelang beschäftigt. Das Interview war so offen, persönlich, authentisch – ich habe es super gefunden.
APA: Auf gesellschaftlicher Ebene ist seitdem viel passiert, die MeToo-Diskussion wurde nicht nur im Sport, sondern auch im Kulturbereich intensiv geführt und mit *vera auch eine Vertrauensstelle eingerichtet. Wenn Sie zurückblicken: Was hat sich seit damals tatsächlich verändert in unserer Gesellschaft? Sind Themen wie Machtmissbrauch, sexueller Missbrauch mittlerweile enttabuisiert?
Drassl: Ich glaube schon. Ich habe das Gefühl, dass wir einen historischen Film gemacht haben. Die Schritte sind da, die spürt man auch. Es geht um das eigene Bewusstsein im Umgang miteinander. Da hat sich sehr viel verändert. Aber auch was Stellen wie zum Beispiel *vera betrifft: Menschen können ihre Geschichten in einem geschützten Rahmen teilen. Das ist sehr, sehr wichtig. Aber wie bei jedem Lernprozess habe ich nicht das Gefühl, dass wir schon da sind, wo wir hin könnten.
APA: Der Film erzählt eine Geschichte von sexuellem Übergriff und Machtmissbrauch, ist gleichzeitig aber ein Generationendrama in der Beziehung zwischen Ihrer Figur Andrea mit ihrer Tochter und ihren Eltern. Was bewirken diese verschiedenen Perspektiven?
Drassl: Es ist ein ganz wesentlicher Punkt, der mich am Drehbuch am meisten begeistert und mitgenommen hat. Diese Geschichte ist über Generationen immer wieder Teil der Familie, was sehr behutsam und sensibel erzählt wird. Für meine Figur ist das das Wesentliche. Das ist ihr Weg, den sie gehen muss, wobei es für sie schwierig ist loszulassen. Auch ihre Gefühle kann sie mitunter nicht mehr kontrollieren, selbst wenn sie es sich wünschen würde. Die Schutzmechanismen, die sie sich aufgebaut hat, bröckeln alle. Das ist der Kern dieser Figur und dieser Erzählung.
APA: Bei einer Geschichte, die so stark von realen Ereignissen beeinflusst ist: Wie sehr will man sich als Schauspielerin von dieser Realität emanzipieren?
Drassl: Es war von Anfang an klar, dass wir nicht die Geschichte von Nicola erzählen. Sie muss das Anrecht auf ihre Intimität und ihren privaten Raum behalten. Sie hat schon so viel getan, ist so eine mutige Frau. Insofern haben wir eine eigenständige Figur entwickelt. Gleichzeitig sind viele Geschichten wirklich so passiert. Es basiert alles auf Fakten, aber wir haben das von mehreren Seiten zusammengetragen. Wichtig ist nur diese Trennung: Nicola ist Nicola, und Andrea ist Andrea.
APA: Wie stark haben Sie sich mit Nicola Werdenigg ausgetauscht?
Drassl: Wir hatten wirklich intensive Gespräche. Sie hat mich vom ersten Moment abgeholt, als sie mir auch ihre Beweggründe erklärt hat. Sie ist ein sehr offener, starker Mensch und will niemandem was Böses. Deshalb sagt sie auch, dass es nicht um Einzelne oder die Täter geht, sondern um Systeme. Vor allem auch, wie wir als Gesellschaft diese Systeme hinterfragen können. Das erzählt der Film. Es ist wichtig zu zeigen, dass das sehr wohl etwas mit uns allen zu tun hat. Man kann es nicht in eine Schublade geben.
APA: Sehr markant sind jene Szenen, in denen Sie mit bloßen Füßen im Eiswasser oder am Berg im Schnee stehen. Wie findet man solche Bilder?
Drassl: Die Eisidee kam vom Antonin, ich fand die großartig. (lacht) Solche Momente waren im Drehbuch. Andere entstehen aufgrund der Situationen am Set. Als wir den Übergriff des Nachbarn gedreht haben, war das wirklich schwer für mich – auch für meinen Szenenpartner Andreas Patton. Wir sind nicht easy in diese Szene gegangen, und es hat sich auch danach nicht so angefühlt. Ich habe dann angefangen zu tanzen, um das los zu werden. Und diesen Tanz sieht man nun im Film an einer anderen Stelle.
APA: Der Film zeigt auch, was es bedeutet, wenn man den Schritt an die Öffentlichkeit wagt. Was macht das mit einer Person?
Drassl: Für mich ist es immer noch erstaunlich, wie Nicola Werdenigg damit umgeht. Es ist so ein diffuses Feld, in das man sich hineinbegibt. Umso klarer muss man mit sich selbst sein und mit dem, was man will. Das habe ich mir schon von ihr mitgenommen. Sie hat damit nicht so zu kämpfen gehabt, was ich wirklich erstaunlich fand! Dass sie sich nicht aus der Bahn hat werfen lassen. Da ist sie schon Rennläuferin. (lacht) Wir haben auch beim Dreh gesagt, dass das unsere Stütze ist: dieser Lauf, auf den man sich fokussiert. Man ist am Start, jetzt geht es los!
APA: Die Leistungsgesellschaft, in der wir leben, schwingt ebenso mit. Wie sehen Sie die gesellschaftlichen Ansprüche, für die oft viel in Kauf genommen wird?
Drassl: Ich habe sehr lange Ballett getanzt, und zwar wirklich intensiv. Ich kenne also den Leistungsgedanken aus meinem eigenen Heranwachsen. Mich hat immer gestärkt, wenn Leistung aus einer Lust entsteht und nicht aus einem Gefühl, dass man etwas erreichen muss. Was man gerne tut, muss an erster Stelle stehen. Da sind wir als Gesellschaft gefragt, das so zu bauen, dass die Lust und Lebensfreude zuerst kommen.
APA: Zuletzt haben Sie in Elisabeth Scharangs “Wald” ebenfalls eine sehr intensive Figur gespielt. Was macht für Sie den Reiz an so emotionalen, vielleicht sogar schweren Rollen aus?
Drassl: Ich finde sie gar nicht schwer. Schwer wäre es für mich, wenn ich keinen Zugang finden würde. Es fühlt sich vielleicht im Zusehen schmerzhaft an. Wenn wir empathisch mitfühlen, löst es etwas aus in uns. Das ist eigentlich schön. Insofern fühlt es sich nicht schwer an, weil ich diese Frauen ins Herz schließe, sie verstehe, sie bewundere. Ich entdecke etwas in ihnen und kann mich dem Stück für Stück nähern. Natürlich ist das nicht immer leicht – aber auch da steht die Lust im Vordergrund, nicht das Muss.