Von: APA/dpa
Wenn man es nicht wüsste, würde man die Pet Shop Boys in Zivil nicht automatisch als Popduo erkennen. Zum Gespräch über das neue Album kommt Sänger Neil Tennant (69) adrett gekleidet, während sein Kollege und Keyboarder Chris Lowe (64) im ausgewaschenen Kapuzenpulli in den Räumen der Londoner Plattenfirma erscheint. “Er hat sich nicht extra rausgeputzt”, sagt Tennant schmunzelnd über seinen Kollegen, der – anders als auf Fotos und bei Konzerten – keine Sonnenbrille trägt.
Die Pet Shop Boys sind bestens aufgelegt. Kein Wunder. Nach rund 40 Jahren im Geschäft ist das britische Duo so populär wie eh und je. Mit ihrer “Dreamworld”-Tour füllen sie die großen Hallen. Zum Abschluss spielen sie im Juni fünf ausverkaufte Konzerte im ehrwürdigen Royal Opera House in London. Jetzt erscheint ihr 15. Studioalbum “Nonetheless”.
Die im Voraus veröffentlichte Single “Loneliness” eröffnet die Platte mit graziösen Orchesterklängen, bevor der treibende Beat einsetzt und die vertraute sanfte Stimme von Neil Tennant erklingt. Die leicht melancholische Nummer ist ein absoluter Ohrwurm. In Verbindung mit dem Musikvideo könnte man vermuten, dass es um die Einsamkeit schwuler Männer geht. Doch die Pet Shop Boys, deren Songs in Andrew Haighs kürzlich veröffentlichtem queeren Drama “All Of Us Strangers” eine wichtige Rolle spielen, winken ab.
“Es geht um Einsamkeit im Allgemeinen, aber vielleicht hat es auch mit dem Alter zu tun”, erklärt Tennant, dem man seine 69 Jahre wahrlich nicht ansieht, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. “Wenn man älter wird, dann kann das soziale Leben etwas schrumpfen, fast absichtlich. Man zieht sich ein wenig zurück, weil man nicht mehr so viel Energie hat. Das hat nichts mit Schwulsein zu tun.”
Die Themen des Albums sind vielfältig. In “New London Boy” erinnert sich der Sänger an seine Anfänge in der britischen Hauptstadt. Damals arbeitete er als Reporter für ein Musikmagazin. “Dancing Star”, ein Disco-Song im 80er-Jahre-Retrosound, ist dem legendären russischen Ballettstar Rudolf Nurejew gewidmet. Hingegen dreht sich “Bullet For Narcissus” um einen Leibwächter, der Donald Trump beschützen muss, obwohl er den ehemaligen US-Präsidenten verachtet.
“The Schlager Hit Parade” ist eine herrlich ironische Beobachtung der Musiksendungen im Nachkriegsdeutschland, die ein Bild von einer heilen Welt vermitteln sollten. Tennant singt beschwingt von “Glühwein, Wurst and Sauerkraut”, vom Harmoniebedürfnis und dem unterschwelligen Wunsch, die düstere Vergangenheit hinter sich zu lassen: “What happened never happened in the Schlager hit parade.”
“Irgendwer hat zu mir gesagt, dass es in Schlagersongs entweder um Weihnachten oder um die Sommerferien geht. Entweder man fährt Ski und trinkt Glühwein oder es geht an die Küste von Mallorca”, berichtet der Sänger und grinst. Das Genre fasziniert beide. “Es ist die Art von Musik, die man nur hört, wenn man in Deutschland ist”, sagt Lowe. “Und normalerweise in einer kleinen, gemütlichen Bar. Da passt es sehr gut dazu, bei einem richtig guten Bier vom Fass.”
Mit einer Handy-App versucht Tennant seit einigen Jahren, die deutsche Sprache zu lernen. Mitunter verzweifelt der 69-Jährige dabei allerdings. “Wenn du nachmittags neben mir im Zug sitzt, dann wirst du mich seufzen und fluchen hören. Manchmal möchte ich mein Telefon durchs Abteil schmeißen. Es ist einfach unmöglich.”
Zu Deutschland haben die Pet Shop Boys eine enge Verbindung. Einige ihrer Alben haben sie in den Berliner Hansa Studios aufgenommen. “In der Nähe war eine altmodische Schwulenkneipe, die von ziemlich altmodischen schwulen Männern besucht wurde, in der sehr altmodische schwule Musik lief”, erinnert sich Tennant amüsiert. “Die hatten dort eine riesige Penis-Kerze. Das war irgendwie obszön, aber auch gemütlich. Solche Orte gibt es in Großbritannien nicht mehr. Wir sind dort immer mit unserem Programmierer hingegangen, weil wir die Musik mochten.”
Ihr neues Album nahmen die Pet Shop Boys allerdings nicht in Berlin, sondern in London auf, überwiegend im Studio ihres Produzenten James Ford, der zuletzt erfolgreich mit den Arctic Monkeys, Depeche Mode und Blur zusammenarbeitete. “Er ist wirklich begabt”, schwärmt Chris Lowe. “Alles ging so schnell.” Und es kann sich hören lassen.
Musikalisch bewegen sich die Pet Shop Boys auf “Nonetheless” einmal mehr in ihrem eigenen Kosmos. Sie lassen Retro-Sounds, 80er-Pop, Orchester-Arrangements und moderne EDM-Beats mit Leichtigkeit zu ihrem eigenen Stil verschmelzen. In “The Secret Of Happiness” emulieren sie Lounge-Klänge à la Henry Mancini oder Burt Bacharach zu minimalistischen Synthie-Rhythmen.
Ohrwürmer gibt es reichlich. “Melodisch finde ich es unglaublich stark”, sagt auch Neil Tennant selbstbewusst über das Album. “Ich glaube, wir sind auf dem Höhepunkt unserer Songwritingfähigkeiten, was zu diesem Zeitpunkt wirklich erstaunlich ist.” So viel Selbstlob darf man sich nur erlauben, wenn es angebracht ist – wie in diesem Fall. “Nonetheless” ist ein intelligentes und raffiniertes Spätwerk der Pet Shop Boys, kurzum ein hochklassiges Popalbum.
(Das Gespräch führte Philip Dethlefs/dpa)
(S E R V I C E – www.petshopboys.co.uk)