Verglühte Passion - Südtiroler Pokerprofi zieht Schlussstrich

„Pokern war für mich nur noch wie ein langweiliger Bürojob“

Montag, 25. März 2024 | 07:54 Uhr

Von: mk

Brixen – Er ist ein offener Typ, hat Wirtschaft studiert, interessiert sich für philosophische Fragen und engagiert sich bei der Freiwilligen Feuerwehr. Trotzdem weicht die Biographie von Alexander Gebhard in einem entscheidenden Punkt von der anderer junger Südtiroler ab: Der 32-Jährige aus Garn im Eisacktal, der derzeit in Brixen lebt, gehörte lange Zeit zur Spitze der italienischen Pokerszene. Zehn Jahre hat er in erster Linie online seine Karten ausgeworfen. Warum er nun all das hinter sich lassen will, erklärt er im Gespräch mit Südtirol News.

Südtirol News: Wie bist du mit Pokern in Berührung gekommen?

Alexander Gebhard: Das war im Jahr 2010. Es gab diesen Fernsehsender PokerItalia24, wo rund um die Uhr Poker gespielt wurde. Da hat es mich gepackt. Ich habe mich nur noch für das Kartenspiel interessiert und sechs bis acht Stunden lang am Tag Strategiebücher gelesen und Videos geschaut. Mich hat die Natur vom Spiel extrem fasziniert. Soziale Elemente, wie etwa Freundschaften habe ich dafür völlig vernachlässigt. Ich war ein totaler Nerd. In diesem Moment hat sich das aber gut angefühlt.

Warst du ein Naturtalent?

Nein, überhaupt nicht. Ich hatte lediglich ein Talent für Mathematik, in Kopfrechnen war ich immer gut. Doch ich hatte noch nie so viel Motivation für irgendetwas sonst wie fürs Pokern verspürt. Letztendlich habe ich einfach viel Zeit investiert. Es gibt diese 10.000-Stunden-Regel, die besagt, dass Menschen eine Fähigkeit rund 10.000 Stunden üben und intensiv wiederholen müssen, bis sie diese perfekt beherrschen. Wenn ich so viel Zeit etwa in Klavierspielen investiert hätte, würde ich heute wahrscheinlich in einem berühmten Orchester spielen. Ich habe in zwei Jahren einfach diese 5.000 bis 6.000 Stunden konzentrierte Arbeit ins Pokern hineingesteckt. Einige meiner Kollegen, die gesehen haben, dass ich damit Geld verdiene, dachten sich, das wollen sie auch. Doch niemand hat am Ende so lange durchgehalten. Sie haben es auch nicht durch jene Phasen geschafft, in denen man Geld verliert. Poker-Legende Doyle Brunson sagte einmal: „Poker is a hard way to make an easy living.“ Das heißt letztendlich: Man kann davon gut leben, doch es wird dir nichts geschenkt.

“Selbstkontrolle ist extrem wichtig”

Was ist der Unterschied zwischen dir und einem Spielsüchtigen?

Ich hatte nie Probleme mit irgendeiner Sucht, auch nicht mit Alkohol oder Zigaretten. Ich hatte stets das Gefühl, dass ich die Kontrolle darüber habe, ob ich spielen will, oder nicht. Für mich ging es am Anfang vor allem um die Faszination fürs Spiel, nicht ums Geldverdienen, das kam erst irgendwann später dazu. Trotzdem ist der Grat schmal: Der Spaßfaktor steckt drin und es ist Geld involviert. Man muss sich selbst gut einschätzen können. Ich für meinen Teil hatte nie Entzugserscheinungen, sondern war zwischendurch auch immer wieder froh, im Urlaub mal zwei Wochen lang eine Pause zu machen.

Worauf kommt es beim Pokern an?

Selbstkontrolle ist extrem wichtig und es gibt eine klare mathematische Grundstrategie mit gewissen Regeln: Zum Beispiel die „Bankroll“, also das Geld, mit dem man spielt, ist wie Kapital, das auf dem eigenen Konto liegt und das man sich leisten kann. Die Bankroll verwende ich nicht, um einzukaufen oder um meine Miete zu bezahlen, sondern das muss immer separates Geld sein. Wenn meine Bankroll nun 50 Euro ausmacht, darf ich als strategischer Spieler nicht das ganze Kapital sofort setzen. Stattdessen spiele ich innerhalb bestimmter Limits – etwa um 50 Cent –, damit ich den Glücksfaktor ausgleichen kann.

Wie kann man sich das vorstellen?

Wenn ich als Anfänger gegen Jannik Sinner Tennis oder gegen Christiano Ronaldo Fußball spiele, werde ich bei 100 Spielen hundertmal verlieren. Wenn ich hingegen als sehr guter Pokerspieler gegen einen Anfänger antrete, gewinne ich von 100 Mal vielleicht 60 oder 70 Mal. In einem Drittel der Fälle wird der schlechte Spieler trotzdem gewinnen, weil er den Zufall auf seiner Seite hat. Auf lange Sicht gleicht sich das aber aus. Vielleicht verliere ich zunächst, doch irgendwann werde ich öfters gewinnen. Ziel ist es, das Kapital, das zur Verfügung steht, mit der Zeit zu vermehren. Wenn man allerdings über ein Jahr lang Geld verliert, dann stimmt die Strategie nicht und man ist nicht gut genug.

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Immer wieder hört man auch, dass das Mindset beim Pokern wichtig ist. Was ist damit gemeint?

Das ist eine Riesen-Lebensschule. Unabhängig von den Resultaten muss man trotzdem immer perfekt spielen. Das kann ein harter Faktor sein. Viele spielen gut, wenn sie Glück haben. Doch wenn es nicht so toll läuft, werden sie emotional und verzetteln sich. Ein Downswing, also eine verlustreiche Phase kann so extrem nach unten gehen. Es ist so wie im Leben. Man macht alles richtig und trotzdem können die Dinge schiefgehen (lacht) – zumindest eine bestimmte Zeit lang.

Ist das eine positive Lektion, die du aus deiner Zeit als professioneller Pokerspieler mitnimmst?

Zum Teil. Ich habe aber auch gemerkt, dass Pokern emotional abstumpfen kann. Um mich in Phasen von Verlusten zu schützen, habe ich meine Emotionen unterdrückt. Die Gefahr besteht allerdings darin, dass man diese Haltung auf das Leben überträgt. Wer die Tiefen nicht zulässt, ist irgendwann vielleicht auch nicht mehr dazu fähig, positive Gefühle stark zu erleben.

“Früher habe ich 3.000 bis 5.000 Euro im Monat verdient”

Wie viel hast du zu Spitzenzeiten verdient?

Früher, als ich noch deutlich mehr gespielt habe, waren es im Durchschnitt 3.000 bis 5.000 Euro im Monat. Das ist aber jetzt schon länger her. Am Ende sind es vielleicht 1.000 bis 2.000 Euro gewesen – etwa ein durchschnittlicher Monatslohn. Als italienischer Staatsbürger darf man beim Online-Poker nur auf in Italien registrierten Seiten spielen. Dort liegt das Limit bei den Einsätzen maximal bei 1.000 Euro. Auch steuerlich ist alles sehr klar definiert. Während dem Spiel werden bereits Steuern entnommen. Spieler, die weltweit aktiv sind, können auf höheren Limits spielen und die besten Pokerspieler weltweit verdienen eventuell 100.000 Euro oder mehr im Monat. Das sind dann aber schon noch einige Ligen höher als nur in Italien.

Was ist der Unterschied zwischen Poker und anderen Casino-Spielen wie etwa Blackjack oder Roulette?

Alle Spiele, bei denen ich gegen die Bank spiele, sind unschlagbar. Bei Blackjack, Roulette oder Slots kann ich keinen langfristigen Gewinn machen. Das ist mathematisch so ausgelegt. Ansonsten würde das Casino irgendwann bankrottgehen. Beim Pokern funktioniert es nur, weil ich gegen andere Personen spiele und die Bank einen Anteil als Gebühr fürs Spielen abzieht.

Wenn alles so super lief, warum hörst du jetzt mit dem Pokern auf?

Vom Pokern zu leben, ist jetzt sicher schwieriger als damals zu meiner Anfangszeit. Das Ökosystem ist geschrumpft. Früher gab es viel mehr Werbung und Sponsoring, es herrschte ein regelrechter Pokerboom. Am Live-Pokertisch im Casino, wo man echten Personen gegenüber sitzt, ist es vielleicht noch anders, aber das Online-Poker hat in meinen Augen keine Zukunft. Beim Schach hat der Computer den Menschen bereits vor 20, 30 Jahren geschlagen. Im Poker tauchten vor einigen Jahren ebenfalls Programme auf, die anstelle von Menschen die beste Strategie ausrechnen und das Spiel somit unschlagbar machen. Solche Bots sind zwar verboten, doch man kann sich nie sicher sein, ob man wirklich gegen echte Menschen spielt. Durch das Aufkommen von KI wird das Phänomen wahrscheinlich die nächsten Jahre nochmals eine neue Dimension gewinnen.

Welche Gründe gibt es sonst noch?

Es gibt null Sicherheit. Ein Staat könnte von heute auf morgen das Pokern verbieten, wobei ein explizites Verbot nicht einmal nötig wäre: Staaten könnten einfach die Steuern so erhöhen, dass das Spiel nicht mehr schlagbar ist. Außerdem: Ein normaler Job ist auch deshalb angenehm, weil man ein fixes Gehalt bekommt und sich am Ende keine Gedanken machen muss, ob es ein guter Monat war, oder nicht.

“Ich war im Tunnel”

Du hast gesagt, du hast das Sozialleben vernachlässigt. Inwiefern spielte das eine Rolle bei deinem Sinneswandel?

Ich war im Tunnel. Pokern alleine vorm PC isoliert extrem. Erst in den Jahren 2016, 2017 habe ich gemerkt, es gibt auch andere Sachen im Leben. Man muss einen Freundeskreis pflegen. Ich habe viel Neues ausprobiert und war etwa zwei Jahre lang beim Weißen Kreuz. In letzter Zeit ist Pokern immer unwichtiger geworden und macht mittlerweile nur mehr einen sehr kleinen Teil meines Lebens aus.

In deinem Abschiedsvideo auf Youtube (siehe oben) hast du auch erklärt, dass die Motivation bei dir zurückgegangen ist.

Das klingt für viele vielleicht komisch, weil sie Pokern für eine Art Traumberuf halten. Irgendwann war Pokern für mich nur noch wie ein langweiliger Bürojob. Ich habe gemerkt, dass die Lust extrem gesunken ist, weil ich das Spiel ausgereizt habe. Oft musste ich mich fast dazu zwingen. Ich habe nichts Neues mehr gelernt und ich merkte auch, dass Geld allein nicht entscheidend ist. Früher spielte ich an zwölf Tischen gleichzeitig und traf alle zwei Sekunden eine Entscheidung. Eine Stunde kann sich so sehr lang anfühlen. Ohne Leidenschaft hält man das nicht durch.

Welche Schattenseiten gibt es sonst noch?

Poker ist einfach ein „Zero-Sum-Game“, ein Nullsummenspiel. Das heißt: Das Geld, das ich gewinne, muss ein anderer verlieren. Irgendwann fragt man sich, wie sinnvoll das ist. Bringe ich irgendeinen Mehrwert in die Welt?

Wie stellst du dir nun deine Zukunft vor?

Zuletzt habe ich Pokervideos auf Youtube produziert oder auf Twitch gestreamt. Das hat mir insofern Spaß gemacht, weil es einen Austausch mit der Community gab. Vielleicht setze ich das in einem anderen Zusammenhang fort. Im Laufe der Jahre habe ich einige Ausbildungen gemacht und vieles ausprobiert. Langfristig könnte ich mir gut vorstellen in der Schule zu arbeiten, was ich schon teilweise nebenher gemacht habe. Ich glaube, es gibt viele normale Jobs, die erfüllend sein können, es muss nicht immer etwas Außergewöhnliches sein. Man muss nur das Richtige finden.

Bezirk: Bozen