Von: apa
Für die Regisseurin Kurdwin Ayub waren die letzten Tage des alten Jahres aufregend. Beim glamourösen “Red Sea”-Filmfestival im saudi-arabischen Jeddah erlebte sie, wie seltsam es sich anfühlt, Teil einer schillernden Kulturblase zu sein. Kurz darauf startete sie an der Volksbühne Berlin die Proben zu ihrem ersten Theaterstück “Weiße Witwe”. Uraufführung ist am 14. Februar. Die Early Bird Ticketaktion für die drei Wiener Festwochen-Vorstellungen im Juni läuft noch bis Freitag.
Beim Telefoninterview mit der APA, das sie aus ihrem Hotel in Jeddah führte, war die Vertreibung des Assad-Regimes in Syrien erst wenige Tage alt. “Ich verfolge das auf eine sehr emotionale Weise. Meine Eltern und ich kommen aus dem kurdischen Teil des Irak. Meine Mutter ist in Bagdad aufgewachsen, mein Vater im Norden des Irak, sie haben sich beide in Mossul kennengelernt. Die Geschichte von Regimen und Kriegen ist noch immer in uns”, erzählt die 1990 im nordirakischen Dohuk Geborene, die als Kleinkind mit ihren Eltern nach Österreich kam. “Ich erinnere mich, wie meine Eltern die Nachrichten verfolgten, als Saddam Hussein gestürzt wurde. Die Freude, dass endlich der Diktator gestürzt wurde, war dieselbe. Der Irak ist allerdings heute ein Failed State, eine einzige Katastrophe, und es ist nun die Befürchtung, dass es in Syrien ähnlich wird.”
“Ich bin vor dem Fernseher aufgewachsen”
Wie im Irak scheinen auch heute in Syrien die Kurden besonders stark unter Druck zu geraten. “Ich weiß auch nicht, was die Welt so gegen Kurden hat”, rätselt Kurdwin Ayub, die sich in ihrem ersten Langfilm “Paradies! Paradies!” 2016 mit ihrem Herkunftsland beschäftigte und ihren Vater bei einer Rückkehr in die einstige Heimat begleitete. Ihr Fremdheitsgefühl war unter ihren kurdischen Verwandten noch größer als anfänglich in Wien. “Weil ich Wienerisch rede, glauben die Leute, ich bin eine von ihnen. Das ist immer eine weirde Situation, wenn ich erklären muss: Ich bin vor dem Fernseher aufgewachsen, deswegen rede ich so. Ich durfte trotzdem nicht raus.”
Die überbehütete Ärztetochter hat es trotzdem geschafft. “Man hat mir immer gesagt, ich muss das brave Mädchen sein. Dagegen musste ich rebellieren. Ich wollte nie brav sein.” Ihren Startnachteil zu kompensieren, sei nicht leicht gewesen. Der “Fetzen” bei der Deutsch-Matura brachte sie aber nicht auf das Abstellgleis, sondern auf die Überholspur. “Vielleicht ist es wegen der ganzen Kriege, vielleicht wegen der Gene meiner Eltern, aber ich kann sofort in einen anderen Modus umschalten: Wir müssen halt was anderes probieren!”
“Sonne”, “Mond” und “Sterne”
Kurdwin Ayub studierte Malerei, experimentellen Animationsfilm und performative Kunst. Ihre originäre künstlerische Ausdrucksform fand sie aber im Film. Ihre Spielfilme “Sonne” (2022) und “Mond” (2024) waren internationale Festivalerfolge, ihr nächster Film “Sterne” soll 2026 gedreht werden. “Wir haben das Green Light für Projektentwicklung und Casting. Nach dem Theaterstück hau’ ich mich aufs Casting und versuche einen amerikanischen Star und arabische Stars dafür zu finden.”
Im neuen Film geht es um eine junge US-Reporterin im Irak, die beim Angriff des IS zwischen die Fronten gerät. In “Sonne” erzählte sie von drei Wiener Freundinnen, die mit ihren Handys ein Burka-Musikvideo drehen und damit heftige Integrations- und Identitätsdebatten auslösen. In “Mond” wird eine Kampfsportlerin als Trainerin der Töchter einer schwerreichen jordanischen Familie engagiert und findet sich in einer gefährlichen Situation wieder, als die Mädchen mit ihrer Hilfe aus dem familiären Käfig ausbrechen wollen.
Filme zum Nachdenken
“Ich bin keine Politexpertin, aber automatisch bin ich durch das, woher ich komme und was ich bin, eine politische Person. Ich beschäftige mich sehr viel damit, auch mit Geschichte, und indirekt versuche ich das schon durch meine Filme zu zeigen”, erklärt Ayub ihren Ansatz, möglichst viel Reibefläche zu bieten, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben: “Ich versuche, niemandem zu sagen, wie er sein Leben zu leben hat. Ich zeige, was ich sehe, was ich gefühlt habe, und versuche, das provokant darzustellen.” Ihr Ziel sei nicht, dem Publikum Befriedigung zu verschaffen, sondern es zum Nachdenken anzuregen.
Denn eigenes Denken und Handeln sei derzeit notwendiger denn je, glaubt die 34-Jährige. “Irgendetwas passiert seit ein paar Jahren mit der Welt, das ist der Ruck nach rechts und der Drang nach Autorität, egal, wo man lebt. Es gibt diesen Rechtsruck auch in den arabischen Ländern, von Israel bis zu den Golfstaaten, von den Evangelikalen in den USA bis zu den extremen Muslimen – das ist alles sehr rechts und konservativ.” Gleichzeitig vermeide man auch auf der Linken, “bestimmte extremistische Entwicklungen aus meinem Kulturkreis anzusprechen, weil man Angst hat, damit die Rechten zu füttern. Das finde ich vollkommen falsch – denn damit überlässt man den Rechten das Thema.” Zum Ausgrenzen komme das Wegschauen. “Dadurch wird alles immer schlimmer und schlimmer. Das macht mich so wütend!”
Über die “Weiße Witwe” “werden sich alle aufregen”
Diese Wut versucht sie nun, in ihrer ersten Theaterarbeit produktiv zu nutzen. “‘Weiße Witwe’ ist ein Stück, das aus Wut entstanden ist, weil ich wütend auf alle bin, nicht nur auf eine Richtung. Ich bin enttäuscht von allen.” Wie bei ihren Filmen hat sie auch hier das Buch selbst geschrieben. Im Mittelpunkt steht Königin Aliah, die im Jahr 2666 über den islamischen Staat Europa regiert, jede Nacht mit einem anderen weißen Mann verbringt und ihn anschließend tötet. Als sich eines Tages ein alter weißer Mann freiwillig meldet, dreht sich die Geschichte der 1001 Nächte, in denen Scheherazade um ihr Leben redet, aus feministischer Perspektive um. Über ihre Inszenierung mit Rapperin addeN und Georg Friedrich in den Hauptrollen “werden sich alle aufregen”, ist Ayub schon jetzt überzeugt.
Aufregen kann sich die Regisseurin dagegen etwa über Bedenken mancher Linker, ob sie ihre Geschichten überhaupt auf die von ihr gewählte Art und Weise erzählen dürfe oder damit nicht erneut Stereotype bestätige. “Nach deren Ansicht darf ich meine Geschichten nur in einem Kontext erzählen, der sich dem weißen Blick unterordnet. Das ist absurd! Ich dachte, Diversity ist, dass jede Community und jeder Mensch seine eigenen Probleme zeigen darf und nicht so sein muss, wie die es von einem wollen. Es wird zu wenig über die Konsequenz nachgedacht, was das dann bedeutet.”
Zwischen ihrer ersten Theaterarbeit und dem Casting für “Sterne” wird Kurdwin Ayub im Frühling möglicherweise die Teile 4 bis 6 einer Mini-Serie für den ORF drehen. Viel darf sie darüber noch nicht verraten. “Es geht um einen Fahrlehrer, gespielt von Christoph Fritz. Der wird von seinen Fahrschülerinnen gequält. Die ersten drei Teile haben wir schon gedreht und sind damit in der Postproduktion. Ich weiß aber nicht, wann das released wird.”
“Ich bin realistisch, mit einem Schwung von Depression”
Klingt also nach einem starken Jahr für die junge Regisseurin? “Ich bin nie optimistisch. Ich bin realistisch, mit einem Schwung von Depression. Selbstzweifel ist auch immer dabei. Ich finde es urcool, dass ich machen kann, was ich mache, und dass ich meine Gefühle so zum Ausdruck bringen kann. Deswegen ist es auch voll die Verantwortung. Ich halte viel Rücksprache mit Mädels, die so sind wie ich, ob es auch gut ist, was ich mache. Ob das auch eine gute Botschaft ist. Wut ist manchmal auch eine gute Botschaft. Denn im Grunde geht’s mir um die Mädels mit Migrationshintergrund aus den Randbezirken. Zu denen sag ich, sie sollen Hoffnung haben, obwohl sie entweder diskriminiert werden von den Rechten oder vergessen werden von den Linken.”
Nur Hoffnung ermögliche es, sich seine Chancen zu erarbeiten. “Ich empfehle niemandem, Kunst zu machen, denn Kunst und Kultur sind unglaublich elitär! Was ich migrantischen Jugendlichen aber unbedingt empfehlen würde, ist, dass sie gut deutsch lernen, weil sie hier in Österreich sonst ausgrenzt werden und keine Aufstiegschancen haben.”
“Es entwickelt sich eine Zweiklassengesellschaft”
Doch der Bildungsnotstand werde immer größer, warnt Ayub, die auch Integrationsbotschafterin ist. “Mich kümmert das sehr, dass diese Kids vernachlässigt werden. Die Rechten sagen: Das sind alles Terroristen! Die Linken sagen: Es ist rassistisch zu fordern, dass sie Deutschkurse brauchen. Und dann sitzen sie da, und es hilft ihnen beides nichts. Aber man darf diese Kinder nicht vergessen! Es entwickelt sich eine Zweiklassengesellschaft wie in den anderen großen Ländern. Und genau diese Entwicklung macht, dass die Rechten irgendwann gewinnen. Wieso checkt das niemand? Man sollte endlich anfangen, auf diese Kinder zu schauen und ihnen helfen, dass sie die Bildung bekommen, die sie sich verdienen – so wie die Kinder im ersten und im siebenten Bezirk.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E – “Weiße Witwe” von Kurdwin Ayub, am 6., 7. und 8. Juni im Volkstheater Wien, Early Bird Tickets mit 20 Prozent Ermäßigung: bis 9. Jänner im Webshop der Wiener Festwochen über https://www.festwochen.at/)
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