Regisseurin schickt in "Wald" eine Frau auf Sinnsuche

Scharang legt mit “Wald” einen “Transformationsfilm” vor

Freitag, 22. September 2023 | 09:46 Uhr

Von: apa

Filmemacherin Elisabeth Scharang schickt in ihrem neuen Werk “Wald” (ab Freitag im Kino) eine Frau auf die Reise zu sich selbst. Marian (Brigitte Hobmeier) wird von einem einschneidenden Erlebnis aus der Bahn geworfen und kehrt an den Ort ihrer Kindheit zurück. Der abgeschiedene Bauernhof wird Rückzugs- und Konfrontationsort gleichermaßen. Mit der APA sprach die Regisseurin und Drehbuchautorin über die Romanvorlage, Freundschaften und ihr persönliches Glück.

APA: “Wald” feierte kürzlich beim TIFF in Toronto Weltpremiere. Wie haben Sie das Festival und die Reaktion des Publikums auf Ihren Film wahrgenommen?

Elisabeth Scharang: Sehr intensiv – für mich und für das Publikum. Es hätte wahrscheinlich kein Festival gegeben, wo der Film besser hinpasst. Die kanadischen Wälder im Norden und jene im Waldviertel, wo wir gedreht haben, sind nicht so unterschiedlich, weshalb sich die Leute ganz gut in diese Stimmung eingrooven konnten. Ich hatte mir vorher auch gar nicht überlegt, dass der Film gerade am Anfang nicht sehr dialoglastig ist, was für ein internationales Publikum von großem Vorteil ist. Man hängt nicht ständig in den Untertiteln und kriegt von der Stimmung oben nichts mit, sondern kann sich einlassen auf die Geschichte.

APA: Als Vorlage diente der gleichnamige Roman von Doris Knecht, von dem Sie sich aber in vielen Dingen weit entfernen. Wie hat sich Ihr “Wald” entwickelt?

Scharang: Ich habe ein Buch gelesen, bei dem mich der Grundzustand der Hauptfigur sehr interessiert hat: dieses Ausgesetztsein, einer Situation geschuldet, die du selber nicht verursacht hast. Andererseits war immer klar, dass es keine Filmvorlage ist, weil es ein innerer Monolog und nicht szenisch geschrieben ist. Logischerweise sucht man sich einen Grundstoff aus, an dem man hängt. Wäre das nicht so, würde man sich vielleicht leichter entfernen. Aber so hat man einen großen Respekt und eine Emotion dazu. Es braucht dann Zeit, sich zu entfernen. Für mich funktioniert das sehr gut über Figuren, die man neu entwickelt und die ursprünglich gar nicht vorkommen. Auch die Männer-Frauen-Geschichten haben sich massiv verändert, was unter anderem mit der sehr starken MeToo-Debatte zu tun hatte. Für mich war es wichtig, dass es kein Mann ist, der eine Frau rettet, sondern eine Frau aus ihren eigenen Ressourcen heraus einen Weg beschreitet und dann in den Dialog geht mit anderen. Das passiert auf Augenhöhe.

APA: War vor diesem Hintergrund Marian für Sie sofort greifbar?

Scharang: Als das Buch fertig war, musste ich mir eingestehen, dass ich nicht wirklich den Schlüssel zu ihr gefunden hatte. Also musste ich das Buch mal zur Seite legen. Ich kenne diesen Prozess schon, man kann den leider nicht beschleunigen. Und dann kam der 2. November 2020: Ich war am Terroranschlag in Wien sehr nah dran, plötzlich hat sich für mich die Welt verschoben. Am nächsten Tag habe ich dann einen Text geschrieben, um mir selber Worte dafür zu geben und das nicht einfach unter den Tisch zu kehren. Ich habe gemerkt: Es ist mir was passiert, auch wenn ich äußerlich keine Verletzung habe. In den Wochen danach hat sich mein Erlebnis mit der Geschichte von Marian verwoben. Für die Zuschauer ist der Grund, warum sie weggehen muss, wohl gar nicht so wesentlich. Aber für mich als Person, die den Film inszeniert, war es wesentlich: zu spüren und zu wissen, was ist mit der Figur los, ohne das auserzählen zu müssen.

APA: Der Zufluchtsort ist für Marian zunächst ja versperrt…

Scharang: Ja, aber sie bekommt sofort den Hinweis in sich selber, auf das zurückzugreifen, was sie hat. Ressourcen, die sie vergessen hat. Ich habe mich ja gefragt: Wie schreibe ich über eine Figur, die keinen Plan hat? Sie geht dort ja nur hin, weil es im Moment der einzige Ort ist, der ihr einfällt. Wie schreibst du das, ohne dass du die Figur in eine Erzählung oder einen Plot zwängst, wo du ihr die Entscheidungsfreiheit nimmst – so absurd das jetzt klingt. Also habe ich begonnen, wie sie Schritt für Schritt zu setzen. In so einem Setting bekommt plötzlich alles eine Bedeutung: Du überlegst dir, was du isst, wo du das Essen herkriegst, wie das Wetter draußen ist. Sie hat manchmal Dinge gemacht, die mich sehr überrascht haben. In dieser Umgebung, wo die Distanz zur Zivilisation so groß ist, sind so viele Dinge nicht mehr wichtig.

APA: Wesentliche Rollen spielen die Landschaft, der Wald und diese Einsamkeit. Wie fängt man die optische und emotionale Wucht dieser Umgebung ein?

Scharang: In dem man versucht, sie nicht kontrollieren zu wollen. Für mich war das eine der schönsten Herausforderungen, die ich gerne angenommen habe. Jeden Tag habe ich mich auf das eingestellt, was die Natur zu bieten hatte. Manchmal war es in der Früh so nebelig, dass man die Hand vor Augen nicht gesehen hat. Alles, was gekommen ist, haben wir genommen. Es war alles gut. Das war für das Team nicht immer easy, aber für mich war es das reine Glück.

APA: Womit sich Marian auch auseinandersetzen muss, sind die traditionellen Strukturen, denen sie an diesem Ort wieder begegnet. Was bewirkt das?

Scharang: Egal, ob das ein Betrieb, ein Dorf oder sonst etwas ist: Sobald in ein bestehendes System ein Mensch oder sonst ein Umstand hineinkommt, bewegt sich dieses System. Diese Irritation, Störung oder Bewegung findet bei allen statt – ob sie wollen oder nicht. Das löst natürlich am Anfang Widerstand aus. Durch diese Bewegung führt es aber irgendwann zur Entscheidung: Bewegt man sich auseinander oder bewegt man sich aufeinander zu? Das braucht Zeit.

APA: Eine zentrale Beziehung ist jene zwischen Marian und ihrer Jugendfreundin Gerti, dargestellt von Gerti Drassl. Ihre Wege haben sich getrennt, doch mit viel Arbeit finden sie wieder zusammen…

Scharang: Genau, sie entscheiden sich für ihre Freundschaft. Ich kenne nicht so viele Filme, wo über Freundschaft erzählt wird von Menschen in dem Alter und es dabei nicht um Familie und Kinder geht. Klar, manchmal verliert man sich, aber wenn man sich wieder trifft, kann man dort andocken. Dieses Band hält einen zusammen wie nichts anderes in der Welt.

APA: Wie ordnen Sie “Wald” in Ihrem bisherigen Schaffen ein?

Scharang: Filme begleiten einen immer, auch wenn man das erst im Nachhinein sehen kann. Sie bilden ganz gut ab, was man gerade selber ist. “Wald” ist definitiv ein Transformationsfilm, aber nicht auf laute Art, wie man das noch mit 22 macht. Aber wahrscheinlich radikaler, als man es mit 22 macht, weil man mehr Tools hat. Man hört nicht mehr so viel auf das, was andere sagen. Man trifft große Entscheidungen, macht aber nicht so viel Getöse drum. Sich selber was vorzumachen, ist eine der größten Zeitverschwendungen. Ich habe die sehr komfortable Situation, dass ich meiner Hauptfigur all das zumuten kann, was ich mich selber vielleicht noch nicht traue, aber sie mal ins Feld hinaus schicke.

APA: Und was bedeutet für Sie persönlich Glück?

Scharang: Mein persönliches Glück ist, mit Menschen zu leben und arbeiten zu dürfen, die keine Arschlöcher sind. Das ist ein unglaubliches Privileg. Wenn man es hat, vergisst man es oft. Das gibt aber auch die Kraft, dass man sich in gesellschaftspolitischen Diskursen durchaus inhaltlich matchen und fighten kann. Das sehe ich auch als Verantwortung. Somit verweben sich die Sachen, die ich arbeitsmäßig mache und die mich persönlich beschäftigen, und ich kann etwas gestalten, was im besten Fall nicht nur für mich, sondern auch für andere Leute einen Sinn macht. Das ist für mich Glück. Und Freundschaft.