Thomas Maurer ist auch auf der Bühne online

“Trotzdem”: Thomas Maurer auf Digital-Entzug im Waldviertel

Mittwoch, 09. Oktober 2024 | 10:43 Uhr

Von: apa

Hier der TikTok-Feed, dort die X-Timeline, dazwischen ein paar Insta-Storys – und schon sind wieder Stunden mit Wischen und Scrollen vergangen. Wer kennt das so oder so ähnlich nicht? Kabarettist Thomas Maurer hat sich entschlossen, die Reißleine zu ziehen, und schickt in seinem neuen Programm “Trotzdem” sein Bühnen-Ich ins Digital-Detox-Hotel. Ein alles andere als analoges Experiment, wie sich bei der Premiere am Dienstagabend im Wiener Stadtsaal herausstellte.

Eigentlich ist Maurer ja alles andere als ein Internetjunkie. Sagt er zumindest. Denn eigentlich ist er rein aus Interesse da – und ein bisschen, um seiner Familie einen Gefallen zu tun. Kein Problem also, dass er im Retreat-Ressort im tiefsten Waldviertel drei Wochen offline verbringen soll. “Der Mann ohne Eigenschaften” will schließlich endlich einmal gelesen werden. Wann und wo, wenn nicht hier? Als ihm dann aber sein Zimmernachbar steckt, dass es im Haus sehr wohl WLAN gibt und er ihm für 100 Euro das Passwort verraten kann, zögert der Möchtegern-Abstinenzler nur kurz – denn: “100 Euro sind weniger viel als drei Wochen lang.”

Im Raucherkammerl des Hotels – zwei Sessel, ein Tischchen, ein Stehaschenbecher und ein riesiger Screen bilden das im 70er-Retrostil gehaltene Bühnenbild – stürzt sich der Kurgast dank eingeschleustem iPad heimlich umso leidenschaftlicher in die Verlockungen des World Wide Web. Anders als im vorangegangenen, stand-up-lastigen Solo “Zeitgenosse aus Leidenschaft” (2022) setzt Maurer diesmal wieder mehr auf die Theaterform, wobei er gleich zu Beginn die Vierte Wand einreißt und immer wieder zwischen den Erzählebenen hin- und herspringt.

Mit dem Setting baut sich der Satiriker, der die Tagespolitik in seinen Solos gewohnt ausspart bzw. sie sich lieber für die “Staatskünstler” aufhebt, jedenfalls ein gutes Vehikel, um sich gut zwei Stunden lang am omnipräsenten Online-Wahnsinn abzuarbeiten. Vor allem Social Media und Artificial Intelligence – “AI ist wie Palmöl oder Zucker: Es ist in mehr Sachen drin, als man glaubt” – sind das thematische Fundament dieses Kabarettabends mit Bildungsauftrag. Maurer erklärt, wie Facebook, X und Co. das menschliche Suchtzentrum stimulieren, warum TikTok ist “wie ein Stabmixer, der dir ins Hirn fährt” und er Instagram “nicht verstoffwechseln” kann. Es geht um Aufmerksamkeitsökonomie, Propaganda, Zerstörung von Vertrauen, Verschwimmen von Wirklichkeit und Fälschung und was das alles mit Demokratie und Gesellschaft zu tun hat. Und dann wird es plötzlich doch sehr politisch, wenn es um das Zusammenspiel von algorithmus- oder chatbotgetriebenen Hassexzessen in sozialen Netzwerken und den Triumphen der Rechtsaußen-Parteien mit ihren Schwarz-Weiß-Weltbildern geht.

Trotz aller Pointendichte kommt der schwarzmalerisch-mahnende Impetus, der das Programm des 57-Jährigen als leises Hintergrundrauschen grundiert, manchmal ein bisschen Boomer-mäßig und vielleicht eine Spur zu pädagogisch daher. Andererseits schafft es Maurer mit viel Spielfreude und treffsicheren Formulierungen, das gefährliche Potenzial der digitalen Wunderwelt mit ihren Echokammern und Manipulationsmöglichkeiten herauszuarbeiten – und zwar auf tatsächlich anschauliche Weise. Denn Maurer redet nicht nur über die Tücken der KI, er bezieht sie auch formal mit ein und zeigt etwa ein Deep-Fake-Video, in dem er selbst das Testimonial für eine Kryptowährung zu geben scheint.

Zum Schluss präsentiert der Kabarettist dann seine Vision, wie sich AI und Social Media quasi selbst kannibalisieren könnten. Denn wenn irgendwann nur noch maschinengesteuerte Fake-Profile ihre Kleinkriege dort austragen, werde die Werbewirtschaft aufhören, den Spaß zu finanzieren: “Ein Chatbot braucht keinen neuen Toyota und kein Potenzmittel.” Dann könnten wir endlich “Der Mann ohne Eigenschaften” um die Wette lesen. Nur fraglich, ob das eher in die Kategorie Utopie oder Dystopie fällt.

(Von Thomas Rieder/APA)

(S E R V I C E – “Trotzdem” von und mit Thomas Maurer. Weitere Termine im Wiener Stadtsaal: 11., 12. und 17. Oktober, 4., 14. und 15. November. www.thomasmaurer.at)