Von: apa
Sie haben den “Überraschungsfaktor” auf ihrer Seite: Das deutsche Rockduo Park+Riot entfacht mit nur zwei Stimmen, Gitarre und Schlagzeug ein höllisches Gewitter, wie ihr jüngst erschienenes Debütalbum “Wise Words From Well-Fed Mouths” beweist. Damit aber nicht genug, legen Michael Geib und Samuel Clemens auch eine betont gesellschaftspolitische Ader an den Tag, was sich zuletzt etwa auf Tourneen durch die Ukraine und Israel ausdrückte. Harte Sounds mit Botschaft eben.
“Mir ist in den vergangenen Monaten bewusst geworden, dass man sich an Utopien abarbeitet, wenn man sich aktivistisch engagiert”, sagte Clemens im APA-Gespräch. “Gewisse Ziele, die man verfolgt, können nie vollständig erreicht werden. Mit Musik und bei Konzerten kann man, je nach Kontext, in kurzer Zeit aber so eine Utopie aufbauen und wie eine alternative Gesellschaftsform für einen Abend in einem Freiraum etablieren. Das ist eine sehr inspirierende und relevante Sache, wie wir gerade auf den Touren in der Ukraine und in Israel bemerkt haben.” In beiden Ländern gebe es kleine, aber stabile Hardcore- und Punkszenen.
Wobei man aber nicht unbedingt in die Ferne blicken müsse: “Auch bei uns hier im sächsischen Hinterland gibt es Veranstalter, die regelmäßig umziehen mussten, weil Nazis deren Adressen geleakt haben”, erzählte der Schlagzeuger. “Oder Leute haben nach Konzerten Angst, dass sie von Faschos überfallen werden.” Hier sei die Subkultur weit mehr als bloße Identifikation und Coolness. “Da ist sie ein Pfeiler, auf den man sich stützen kann und der überlebenswichtig ist, weil man da eine Community hat, die gegenseitig auf sich aufpasst.” Gerade deshalb seien Konzerte ein ganz zentrales Element für Austausch und Vernetzung.
Live kommt bei Park+Riot dann der eingangs angesprochene Überraschungsfaktor zu tragen. “Den haben wir auf jeden Fall auf unserer Seite”, schmunzelte Clemens. “Die Leute denken ja: Was, nur zu zweit? Das kann ja nicht sein. Dann haut Michi in die Gitarre und es dröhnt, als wären fünf Leute auf der Bühne.” Ohnehin merke er, was ein Bruch mit klassischen Liveinszenierungen bewirken könne. “Oft ist das ja wie beim Fernsehen: Die Bühne ist der Bildschirm und alle sitzen davor auf der Couch. Aber wenn du aus dem Fernseher rausgehst, wird das Publikum nervös. Ich merke das, wenn ich etwa vom Schlagzeug aufstehe und stagedive oder irgendwo hochklettere. Das ist eine Sache, die so sehr mit den festen Vorstellungen, wie ein Konzert zu sein hat, bricht, dass das schon ein Riesenvorteil ist im Duo.”
Zusammengefunden haben Geib und Clemens vor knapp fünf Jahren. War man zuvor in anderen Projekten und Bands involviert, stand man irgendwann nur zu zweit im Proberaum. “Es war dann die Idee von Sammy, der zu mir gesagt hat: Du hast doch total viele Verstärker. Was passiert denn, wenn man da mehrere anschließt?”, erinnerte sich Geib lachend. “Also haben wir das ausprobiert, und es hat direkt gezündet. Uns war klar, dass da was drinsteckt.” Nach einer Findungsphase, aus der auch eine erste EP resultierte, habe man sich nun für das Album “mehr pushen können. Es ging noch schneller, noch vertrackter.” Das Ergebnis waren wütende Schnellschüsse wie “Lungs Out” oder das extrem groovige “Boltcutters”, aber auch ebenso melodische wie atmosphärisch-dichte Zwischenspurts wie “Cure”.
Inhaltlich behandeln Park+Riot die Wohlstandsgesellschaft ebenso wie abgesagte Revolutionen oder die Unfähigkeit zur Veränderung. “Ich begreife die Band als politische Arbeit im weitesten Sinne”, nickte Clemens, der in den vergangenen Jahren immer wieder in einer Geflüchtetenunterkunft auf Lesbos gearbeitet hat und viel von seinen Erfahrungen und Gefühlen einfließen ließ. “Hardcore und Punk waren schon immer politische Genres, besonders in den 90ern. Vielleicht ist das zuletzt weniger geworden. Für uns aber war wichtig zu sagen: Warum machen wir die Musik? Was wollen wir damit ausdrücken? Ich will nicht nur die Arbeit auf Lesbos in den Mittelpunkt stellen, aber wird das dazu erzählt, dann vermittelt es schon, wie es zu den Songs gekommen ist. Und woher diese Wut über Ungerechtigkeit kommt.”
In Israel hat das Duo vor knapp eineinhalb Jahren erstmals gespielt, nun zwei weitere Male in diesem Jahr. Der Angriff der Hamas am 7. Oktober sei auch für viele ihrer Freunde aus der israelischen Hardcoreszene ein unglaublicher Schock gewesen. “Es ist dann aber auch schnell gekippt”, so Clemens. Viel sei in der Folge kaputt gegangen, was internationale Vernetzungen betrifft. “Diese ganze politische Lage ist sowieso schon absurd komplex. Aber diese kleine Punkszene steht noch mal zwischen all diesen Reihen. Auch sie haben Freunde verloren, demonstrieren aber gleichzeitig gegen die Regierung.” Nun würden sie aber im Krieg mit drin hängen bzw. so wahrgenommen werden “und bekommen keinen Support mehr von der europäischen Linken. Einfach weil sie Juden sind und mit Netanyahu gleichgesetzt werden.”
Über die eigenen Auftritte vor Ort gab es jedenfalls keine Diskussion. “Wir spielen ja nicht in einem Militärcamp oder für die Regierung. Wir spielen für dieselbe Community, die nur an einem anderen Ort ist und für dieselben Ideale einsteht”, betonte Clemens. “Diese ganze Debatte wird häufig so verschärft und hochemotional geführt, da ist Austausch einfach ein wichtiger Faktor, um einen Kontrapunkt zu setzen.”
Die Auswirkungen des Krieges sehr direkt mitbekommen haben Park+Riot auch in der Ukraine. In Kiew sei man nach der Show in einen Raketenalarm gekommen, auf der Reise durchs Land begegnete man den vielen Checkpoints mit Bunkern und Soldaten. “Nach zwei Jahren Krieg gibt es dort natürlich einen Alltag, einfach weil der Krieg jetzt Alltag ist”, rekapitulierte Geib. “Auf Tour bist du natürlich oft im Funktionsmodus. Vor unseren Ukraineshows haben wir noch in Warschau gespielt. Dort haben sich dann einige von uns so verabschiedet, als würden wir uns das letzte Mal sehen.” Wieder zuhause in Deutschland sei dem Gitarristen dann bewusst geworden: “Diese Stille, dieser Friede – stimmt, das ist der Normalzustand.”
Und der sich quer durch Europa abzeichnende Rechtsruck bei den EU-Wahlen am Sonntag? “Es ist alles sehr gruselig”, meinte Geib, der auch auf die Landtagswahlen in Sachsen dieses Jahr verwies, wo der AfD große Zugewinne prognostiziert werden. “Man ist ein bisschen ratlos.” Clemens wiederum stellte erneut den Gemeinschaftsaspekt in den Vordergrund. “Es ist unglaublich wichtig, sich in kleinen Communitys zu politisieren, vielleicht sogar zu radikalisieren und alternative Konzepte zu schaffen, wie man Solidarität im lokalen Kontext leben kann.” Das habe er nicht zuletzt durch seine Arbeit auf Lesbos gelernt. “Es gibt ganz viele Netzwerke, wo Musik oft auch eine Rolle spielt. Auf die muss man sich nach und nach mehr verlassen, wenn klar ist, dass die Regierungen in den Arsch gehen.”
(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)
(S E R V I C E – https://parkandriot.com)