Morde, Vergewaltigungen und ein unvorstellbarer Blutrausch

Ungeahnte Rachegelüste: Bernhard Aichners Thriller “YOKO”

Dienstag, 13. August 2024 | 05:01 Uhr

Von: apa

“SCHMERZ”, “ZORN”, “RACHE” – in Großbuchstaben stehen die Leitmotive der Handlung in Bernhard Aichners am heutigen Dienstag erscheinendem Thriller “YOKO” auf der Buchrückseite. Zu welchen Handlungen ein Mensch fähig ist, wenn diese Gefühle und Gelüste sehr tief sitzen und an die Oberfläche gebracht werden, lässt sich auf mehr als 330 im üblichen flotten Aichner-Stil geschriebenen Seiten nachlesen. Todesopfer gibt es jedenfalls einige, Brutalität ebenfalls – ein Thriller eben.

Eines gleich vorweg: Hat der Titel etwas mit Yoko Ono zu tun? Ja, denn der – verstorbene – Vater der Hauptprotagonistin war großer John-Lennon-Fan. Wäre Yoko ein Bub geworden – oder ein Junge, wie es trotz Aichners Osttiroler Herkunft in durchgehend eher bundesdeutsch gehaltener Schreibweise heißen würde – so hätte er John geheißen. Und der Autor verrät auch, dass im kommenden Sommer ein Nachfolgeband unter dem Titel “JOHN” erscheinen soll. Was dieser John wiederum mit der jetzt im Mittelpunkt stehenden Yoko zu tun hat, erschließt sich erst mit fortlaufender Lektüre des nun vorliegenden Werks.

Der Ausgangspunkt des mitreißenden Plots: Yoko hat eifrig in der Fleischhauerei (bzw. Metzgerei) ihres Vaters mitgearbeitet, wollte nach dessen Tod aber etwas Neues beginnen. Somit gestaltete sie die Räumlichkeiten der Metzgerei in eine Glückskeks-Manufaktur um – um von da an Asien-Restaurants und andere Lokalitäten mit hochwertigen Glückskeksen zu beliefern – hochwertig im geschmacklichen Sinne, aber auch von den sorgsam erdachten Sinnsprüchen her.

Yokos Geschäft läuft gut, bis sie eines Tages bei der Belieferung eines China-Restaurants in dessen Hinterhof einem Hund zu Hilfe kommen will, der von zwei asiatischen Männern brutalst gequält wird. Ihre Hilfe ist unerwünscht und die beiden – wie sich herausstellen sollte handelt es sich um Mitglieder der chinesischen Mafia – entführen Yoko in den Wald, wo sie sie vergewaltigen und dann mit ihrem Lieferwagen davonfahren.

Eine Erfahrung, die bei Yoko massive Rachegelüste weckt und einen brutalen Vergeltungsfeldzug auslöst. Denn die unfassbare Tat der beiden Asiaten weckt bei ihr auch die tief sitzende Erinnerung an früheres Leid – in ihrer Pubertät hatte ihr Vater seine Liebe zu seiner Tochter zu körperlich ausgelebt, vor allem weil sie ihn von ihrer gesamten Erscheinung her sehr an seine bei Yokos Geburt gestorbene Frau erinnerte.

Yoko sinnt auf Blutrache, forscht auf Eigeninitiative die beiden Übeltäter aus und verfängt sich dadurch in den Stricken der Triade. Ihre Lebensgefährtin wird von einem Mitglied der chinesischen Mafia auf äußerst brutale Weise ermordet, wie sich herausstellt aufgrund einer missverständlichen Deutung des Todes eines der Asiaten. Die Schlinge um Yokos Hals wird jedenfalls immer enger, auch weil ihr die Polizei – hauptsächlich in Form eines Kripo-Mannes, der eng mit ihrem Vater befreundet war, auf den Fersen ist. Dieser will ihr zwar eigentlich helfen, doch Yoko leugnet ihm gegenüber hartnäckig, etwas mit den sich mehrenden Todesfällen zu tun zu haben.

Doch je mehr sie in Gefahr gerät, desto brutaler wird ihr eigenes Vorgehen – und zwar gegen die berüchtigtsten und höchsten Mitglieder der gefürchteten Triade. Anzumerken ist dabei, dass die Protagonistin aufgrund ihrer früheren Arbeit als Metzgerin und Schlächterin im Umgang mit scharfen Messern und auch Schusswaffen geübt ist.

Es ist also eine dunkelrote Blutspur, die sich durch das neueste Werk des mehrfach preisgekrönten Erfolgsautors (“Totenfrau”, “Totenhaus”, “Bösland”, “Dunkelkammer”), dessen Bücher zum Teil auch verfilmt wurden, zieht. Das macht aber nicht den besonderen Reiz dieses Thrillers aus. Der liegt vielmehr darin, mitzuverfolgen, was eine tief in einem Menschen sitzende Verletzung und Erniedrigung in diesem Menschen auslösen kann, wenn eine ähnliche Erfahrung die alten Wunden aufreißt.

Denn so unrealistisch es erscheinen mag, dass ein Mensch wie du und ich von heute auf morgen zum Serienkiller wird, so nachvollziehbar erscheint Yokos “Blutrausch”, wenn man sie Seite für Seite auf ebendiesem begleitet. Auch dieser Aspekt hebt “YOKO” von den meisten anderen Krimis und Thrillern ab: Man rätselt beim Lesen nicht mit, wer der Täter oder die Täterin sein könnte, sondern man begleitet die Hauptperson des Plots von einer Tat zur nächsten – und weiß dabei nicht, ob und wie sie nicht selbst zum Opfer einer Tat wird. Fazit: Spannend bis zum Schluss mit tiefen Einblicken in die menschliche Seele – somit könnte vor dem Wort “Thriller” sogar noch der Zusatz “Psycho-” stehen.

(S E R V I C E – Bernhard Aichner: “YOKO”, Thriller, Rohwolt/Wunderlich, 336 Seiten, 23,70 Euro, ISBN 978-3-8052-0109-4, E-Book: 14,99 Euro)

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