Mit Frei.Wild füllt er Konzerthallen

Vom Neonazi zum Rockstar: Philipp Burger gewährt Einblick in abgründige Jugend

Mittwoch, 11. Oktober 2023 | 08:05 Uhr

Von: mk

Natz-Schabs – Philipp Burger, Sänger der Südtiroler Rockband Frei.Wild, hat seine Vergangenheit nie verleugnet. In seinem neuen Buch „Freiheit mit Narben“ gewährt der 42-Jährige Einblick in seine Jugendzeit als rechter Skinhead. Dabei beschreibt er, wie er auf die schiefe Bahn geriet und was schließlich zu einer Wende in ihm geführt hat.

Dass sich Burger mit dem Buch reinwaschen will, bestreitet er gegenüber der Online-Ausgabe der Bild-Zeitung. Stattdessen woll er Verantwortung übernehmen und zu seinen Fehlern stehen. „Ich wundere mich noch heute, wie ich so einen Dreck gut finden konnte. Ich will Jugendlichen, die wie ich damals dem rechtsradikalen Gedankengut anhängen, zeigen: Es gibt immer eine Chance auszusteigen, alles richtigzustellen und eine Zukunft zu haben“, erklärt der Bandleader.

Sein Einstieg in die Szene hat laut Burger im Jahr 1996 stattgefunden. Damals war er 15 Jahre alt, als ihm ein Freund während seiner Internatszeit erstmals Songs der Rechtsrock-Band Störkraft vorgespielt hat. „Der erste Tentakel der Sucht nach maximaler Abgrenzung und Rebellion hat ihre Saugnäpfe an mir platziert“, erklärt Burger.

Ganz besonders angetan hätten es ihm die Zeilen über das Unbeugsam-Bleiben, über Zusammenhalt, Freiheit und Auflehnung gegen sämtliche Obrigkeit. Aus einem unschuldigen Jugendlichen wurde damit ein Neonazi. Nachdem er aus dem Internat rausgeworfen wurde, umgab sich Burger nur noch mit Jugendlichen, die seine Einstellungen teilten. „Heute würde man sowas als ‚Filterblase‘ bezeichnen. Leute, die das Gleiche denken und sagen, die gleiche Musik hören und den gleichen Mist bauen“, so der Musiker laut Bild.

Er zog sich immer aggressivere Musik rein – bis hin zu „Landser“, die später in Deutschland als erste Musikgruppe zur kriminellen Vereinigung erklärt werden. „In deren Texten ging es um eine gezielt zynisch vorgetragene Verherrlichung des Dritten Reichs. Um Hass gegen Juden, gegen Schwarze, gegen Polen, gegen Kommunisten. Gegen alle eben, die nicht in ihr krankes Herrenrasse-Großdeutschland-Weltbild passen“, so Burger.

Doch bis zu dieser Erkenntnis mussten für den Frei.Wild-Sänger noch mehrere Jahre vergehen. Über die Musik geriet Burger in Kontakt zu Skinheads, seine Einstellungen radikalisierten sich. Auseinandersetzungen mit Italienern und der Polizei gossen weiter Öl ins Feuer. Er rasierte sich die Haare und feierte mit anderen Skinheads Bunker-Feste, bei denen an den Wänden Hakenkreuz- und Reichskriegsflaggen hingen.

Der Hitlergruß

Dabei zeigte Burger den Hitlergruß und brüllte „Sieg Heil“, wie er schreibt. „Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich all das komplett löschen“, erklärt der heutige Rockstar. Doch damals sei er ein „Arschloch in einer Arschloch-Szene“ gewesen. „Das war alles ein Verschwörungstheorie-Mist aus einer Horde aus ‚Deutschland, Deutschland, über alles‘-Brüdern.“

Nur bei einem Thema legte sich Burger in seiner Jugend mit seinen damaligen Nazi-Freunden an: Er hat nicht den Holocaust geleugnet. Die Erzählungen seiner Großtante Rita, die sich als Nonne oft in Israel aufgehalten und ihm von der Judenverfolgung während der Nazi-Zeit erzählt hatte, waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Doch kehrte er seinem damaligen Freundeskreis noch lange nicht den Rücken zu.

Da die Musik ein verbindendes Element der Skinhead-Szene ist, ging Burger ans Komponieren, Schreiben und Spielen und gründete mit zwei Freunden die Gruppe Kaiserjäger, die als rechtsradikal eingestuft wurde – unter anderem wegen des Songs „Selber Schuld“. „Dieser Mist entfloss meinem Geist. Ein schlimmer Fehler. Dazu stehe ich. Weil ich es für wichtig halte, die Verantwortung für sein eigenes Tun zu übernehmen“, räumt Burger ein.

Der Zivildienst als Augenöffner

Sein Ausstieg aus der Szene begann Mitte 2000, als Burger als Zivildiener im Brixner Krankenhaus tätig war. „Das war der ausschlaggebende Baustein für die Kehrtwende in meinem Leben. Nichts hat mir mehr die Augen für das wirklich Wichtige im Leben geöffnet. Ich begriff zum ersten Mal, dass es im Leben um mehr geht als um Arbeit, Saufen, Party und Rangeleien. Hier hatten die Dinge, die ich tat, einen tieferen Wert“, so Burger.

Zudem begriff er: „In jeder Schicht, in jeder Sprache, aus jeder Religion gab es nette, hilfsbereite, zuhörende Menschen. Mein bisher schön einfach gemaltes schwarz-weißes Weltbild wurde komplett auf den Kopf gestellt. Ich schwor mir: Dieses Alle-über-einen-Kamm-Scheren wird fortan nie wieder passieren.“

Außerdem wurde ihm klar, dass er Gutes um sich haben und Gutes bewirken wollte. „Ich hatte so viele Stunden meines Lebens in den vergangenen Jahren gegen falsche Dinge und Einstellungen getauscht.“

Burger brach mit der Neonazi-Szene, ließ sich die Haare wachsen und versenkte seine Springerstiefel mit den Rechtsrock-CDs im Eisack. „Der letzte Rest von dem schweren Stein, den ich auf dem Herzen hatte, fällt von mir ab.“ Nur wenige Monate später gründete er mit drei Freunden die Gruppe Frei.Wild. Die Band eroberte bis heute siebenmal Platz eins der deutschen Album-Charts und füllt die größten Konzerthallen.

Trotzdem gelten er und Frei.Wild oft als umstritten. Vor allem im Deutschland wird der Frei.Wild-Song „Südtirol“ einer nationalistischen Hymne gleichgsetzt. Eine Zeile im Text lautet: „Südtirol, deinen Brüdern entrissen. Schreit es hinaus, dass es alle wissen. Südtirol, du bist noch nicht verloren. In der Hölle sollen deine Feinde schmoren.“

Doch Burger weist die Vorwürfe von sich. „Aufgrund von Südtirols komplexer Historie ist der in Deutschland so verrufene Patriotismus bei sehr vielen Südtirolern besonders ausgeprägt. Aber komplett anders gelagert als ‚Deutschnationalismus‘“, erklärt er laut Bild. Mit rechtem oder gar rechtsradikalem Gedankengut habe er seit Jahrzehnten nichts mehr zu tun.

Bezirk: Eisacktal