Von: bba
Wir sind süchtig: Jeden Morgen greifen wir zum Handy, checken das Wetter, rufen Mails ab. Immerhin fünf neue Nachrichten auf Whatsapp, seit uns das Ding am Abend zuvor im Wegdämmern aus der Hand geglitten ist. Noch schnell “Schatzi” begrüßen, der neben uns auch schon am Tippen ist.
Für das Smartphone nehmen wir uns inzwischen mehr Zeit als zum Schlafen und für unsere Liebsten. Im Schnitt sechs Stunden täglich verbringen Italienerinnen und Italiener – ja wir Südtirolerinnen und Südtiroler sind damit auch gemeint – heute durchschnittlich mit Posts und Likes, Apps und Messages. Wir schalten das Handy nicht mehr aus, höchstens lautlos, legen es selten weiter als zehn Meter weg und greifen in der Regel alle zehn bis 20 Minuten danach, wenn es die Situation erlaubt.
Viele unter uns fühlen sich mittlerweile von ihrem Mobiltelefon terrorisiert. App-Entwickler Alexander Markowetz meint dazu: „Erstaunlich: Die Menschen kaufen sich alle zwei Jahre ein Gerät für 700 Euro, das sie unglücklich macht.“
Unglücklich? Nicht doch! Wir sind furchtbar gern erreichbar. Immer dabei, am Puls der Zeit, mit allen connected, rasant informiert. Ein Klick, schon sind die Dinge erledigt, schon weiß man mehr.
Handelt es sich bei unserer “Liebe zum Handy” nicht eher um ungesunde Zeitverschwendung? Immer mehr Menschen fühlen sich von ihrem Telefon gestresst. Daher wundert es nicht, dass sich zurzeit ein Trend zum Offline-Sein formiert. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, analoger leben zu wollen.
Bei nicht wenigen unter uns, stellen sich regelrechte Entzugserscheinungen ein, wenn das Gerät gerade nicht verfügbar ist. Man spürt eine innere Unruhe, wippt mit den Beinen, ist leichter reizbar.
Ärztinnen und Ärzte attestieren immer mehr Menschen orthopädische Schäden, weil sie krumm und mit ewig geneigtem Kopf durch die Gegend laufen. „We never look up“ heißt ein erfolgreicher Tumblr-Blog, der den Irrsinn in Bildern festhält. Verkehrsunfälle nehmen zu, die Konzentration ab. Nicht selten sind sogar Ernährungsweisen und Schlaf-Wach-Rhythmus gestört, weil sich die Leute vom Handy zunehmend gehetzt fühlen.
Im Silicon Valley liegen „Digital Detox“-Camps im Trend. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer – darunter etliche Angestellte von Google, Facebook oder Microsoft – checken scharenweise im Pfadfinderlager „Camp Navarro“ ein, um ihr analoges Ich wiederzuentdecken. Smartphones, Tablets und Digicams müssen abgegeben werden, dafür stehen Yoga, Tanzen, Verkleiden und Nacktbaden auf dem Programm. In einem hölzernen Postfach können die Camper handschriftlich verfasste Briefe einwerfen, eine Pinnwand mit Fragezetteln dient als analoge Suchmaschine. Ein rund um die Uhr geöffnetes Tee-Zelt wird zur Kommunikationsplattform. „Heutzutage ist doch jeder ein Techie“, begründet Camp-Betreiber Levi Felix die rege Nachfrage auch unter Studenten und Rentnern.
Den Offline-Trend haben nun „Offline Retreats“ erkannt: In abgeschiedenen Regionen hat man keinen Empfang und keine Reizüberflutung. Ruhe pur ist angesagt. Wo sonst an öffentlichen Orten nur Rauchverbote bestanden, werden immer öfter handyfreie Zonen eingerichtet. Noch ein Hinweis darauf, dass die Analog-Bewegung fruchtet: Reale Orte sind wieder im Kommen. Nicht umsonst setzt Apple seit Kurzem verstärkt auf teure Ladengeschäfte. Auch der Buchladen ums Eck verzeichnet neuerdings wieder ein Umsatzplus und trumpft mit individueller Beratung auf.
Was können wir tun?
“Bewusst analog statt digital leben” könnte das Lebensmotto lauten. Wir können ohne Handy – auf dem Weg zur Arbeit – bewusst unsere Umwelt wahrnehmen und analoge Wochenenden einführen. Wir können das Smartphone weglegen, wenn wir uns mit unserem Partner oder Freunden unterhalten. Wollen wir den Moment leben oder irgendwelchen Phantasmen hinterherrennen, die uns wertvolle Lebenszeit, Phantasie und Gedanken rauben?
Wir könnten unser nächstes Reiseziel so auswählen, dass wir kein drahtloses Internet verfügbar haben. Angst? Geht nicht? Detox lautet die Devise! Das Schlimmste sind doch Pärchen im Urlaub, die die ganze Zeit auf ihr Smartphone starren: Der wunderbare Urlaubsort und der Partner rücken in den Hintergrund. Bizarr, oder?
Eine gute Anschaffung wäre ein Wecker: Dann verleitet das Zirpen uns nicht mehr dazu, schläfrig am Smartphone kleben zu bleiben. Und wir haben endlich wieder die Muße, uns morgens noch mal ganz gemütlich auf die andere Seite des Bettes zu kuscheln. Dorthin, wo jemand zufrieden brummt, nicht tippt.
Leistet euch den Luxus, nicht immer erreichbar zu sein! Lasst das Handy auch Mal klingeln und geht nicht ran! Schaltet euer Telefon aus – lautlos reicht nicht! Antwortet nicht im Minutentakt auf die unzähligen Nachrichten auf Whatsapp, Facebook und Instagram. Ihr müsst nicht immer “up to date” sein. Schaut auf euer Seelenwohl! Geht ins Freie, in die Natur und lasst den digitalen Stress hinter euch! Ihr habt ein Recht auf Ruhe und reale, bedeutsame Begegnungen. Nehmt auf Reisen einen Fotoapparat mit und lasst das Handy im Rucksack! Selfies sind so etwas von abgedroschen. Fotografie ist etwas anderes!