Von: luk
Bozen – Unerträgliche Bauchschmerzen im Zeitraum der Regelblutung, Übelkeit, Angst vor dem Gang auf die Toilette wegen der schmerzhaften Entleerung, das Gefühl, nicht mehr stehen oder gehen zu können, unerfüllter Kinderwunsch – all das sind klare Anzeichen für die Frauenkrankheit Endometriose.
Starke Schmerzen schon bei der ersten Regelblutung. Während die gleichaltrigen Mädchen ganz entspannt mit diesem neuen Phänomen ihres Körpers umgingen, war Miriam Leopizzi einfach nur übel, sie musste sich übergeben, im Bett bleiben. Die Eltern, sonst wunderbare Menschen, sagten zu ihr: „Ist doch nur Bauchweh, geh zur Schule!“ Damals war das so. Es gab keinen Namen für diese unbändigen, weit über ein normales Maß hinausgehenden Zyklusschmerzen. Und Miriam ging zur Schule. Und später zur Arbeit. Auf dem Nachtkästchen stand immer ein Schmerzmittel bereit. Miriam nahm es und rappelte sich auf. Die Arbeit war für sie Ansporn, nicht an die Schmerzen zu denken. Sie fehlte nie.
Heute ist Miriam Leopizzi 44 Jahre alt und ihre Schmerzen haben endlich einen Namen: Endometriose. Bis diese Diagnose aber stand, musste sie, wie sie selber sagt, „noch einiges mitmachen“. In der Jugend linderte die Pille die Schmerzen ein wenig und verhütete eine ungewollte Schwangerschaft. Dann aber wünschten sich Miriam und ihr Partner Kinder. Es stellten sich auch Schwangerschaften ein, aber sie endeten alle vorzeitig wieder. Dreimal mussten die beiden diese schlimme Erfahrung machen. Und die Regelschmerzen schlugen wieder zu wie eh und je.
Immer wieder hörte sie: “psychisch bedingt”
Miriam wollte es nun endgültig wissen. In vielen italienischen Städten suchte sie Fachleute auf, ließ Untersuchungen über sich ergehen und wollte nicht eher ruhen, bis Klarheit darüber herrschte, was mit ihr los war. Doch den Gynäkologinnen und Gynäkologen fiel nichts anderes ein, als hinter den Schmerzen psychische Ursachen zu vermuten wegen der erlittenen Fehlgeburten. „Das fand ich unerhört“, so Miriam heute, „natürlich waren die Fehlgeburten eine niederschmetternde Erfahrung für mich, aber das, was ich spürte, waren eindeutig körperliche Schmerzen.“ Dr. Giorgio Comploj, privater Frauenarzt in Meran, war schließlich der erste, der hinter ihren Symptomen Endometriose vermutete. Daraufhin wurde eine Laparoskopie durchgeführt und wenig überraschend zeigte sich der Bauchraum voller Endometrioseherde, die daraufhin entfernt wurden. Danach klappte es auch mit dem Kinderwunsch: Heute sind Miriam und ihr Partner stolze Eltern zweier Töchter von acht und zwei Jahren.
Dank an Primar Martin Steinkasserer
Leider ist dies aber nicht das Happy End der Geschichte. Obwohl Schwangerschaft und Stillzeit oft zu einer Milderung der Endometriose-Symptome führen, trat bei Miriam genau das Gegenteil ein: „Nach der zweiten Geburt ist die Endometriose förmlich ‚explodiert‘. Ich konnte nicht mehr gehen, nicht mal mehr aufstehen. Glücklicherweise habe ich in dieser Zeit Dr. Martin Steinkasserer, den Primar der Gynäkologie und Geburtshilfe am Krankenhaus Bozen, kennen gelernt. Er ist ein sehr einfühlsamer Gesprächspartner, der menschlichen Anteil an der individuellen Geschichte seiner Patientinnen nimmt.“ Da neuerliche Untersuchungen ergaben, dass sich wieder ausgedehnte Endometrioseherde im Bauchraum gebildet hatten, empfahl Dr. Steinkasserer Miriam schließlich, Gebärmutter und Eileiter zu entfernen. Miriam beriet sich mit ihrem Partner und willigte in den Eingriff ein.
Gründung des Vereins “Noi con Voi”
Ein ungetrübtes Happy End gibt es aber leider auch jetzt keines. Die Schmerzen sind nicht, wie erhofft, vollständig verschwunden. Aber Miriam wäre nicht Miriam, würde sie nicht versuchen, immer das Beste aus einer Situation zu machen. Kaum war die Pandemie vorüber, hat sie zusammen mit anderen Patientinnen einen Verein gegründet, von Betroffenen für Betroffene sozusagen: „Noi con Voi“ bietet für die Mitglieder und deren Familien emotionale, psychologische, soziale und fachliche Unterstützung im Umgang mit der Krankheit. Schon ein Jahr nach der Gründung hat der Verein ein beachtliches Netzwerk von Fachleuten im Bereich Medizin, Psychologie, Sozialassistenz, Physiotherapie, Ernährungs-, Persönlichkeits- und Rechtsberatung aufgebaut und ist im Bereich Aufklärung und Sensibilisierung unterwegs. Zu seinen Zielen zählt unter anderem der Einsatz dafür, dass auch die leichteren Endometriose-Stadien in Italien als invalidisierende Krankheit anerkannt werden, mit entsprechender Ticketbefreiung und finanzieller Unterstützung für Hormontherapien und Hygieneartikel. Auch haben alle Endometriose-Vereine Italiens gemeinsam einen Gesetzesentwurf in der Abgeordnetenkammer eingereicht, mit dem nach spanischem Vorbild der „Menstruationsurlaub“ eingeführt werden soll, also die Möglichkeit, bei starken Regelschmerzen zu Hause zu bleiben. Die Sozialgenossenschaft, der Miriam als Direktorin vorsteht, hat bereits im Rahmen des „Audits Familie und Beruf“ den eintägigen „permesso mestruale“ eingeführt, ein erster Schritt und ein Signal für andere Arbeitgeber im Umgang mit Arbeitnehmerinnen, die von Endometriose oder anderen Krankheiten der Fortpflanzungsorgane betroffen sind.
“Sensibilisierung ist wichtig”
Zum oben genannten Experten-Netzwerk gehört auch Dr. Martin Steinkasserer. Er begrüßt jede Initiative, die darauf abzielt, die Krankheit Endometriose bekannter zu machen: „Es ist höchst an der Zeit, dass Aus- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten sowie Aufklärungskampagnen vor allem für junge Frauen zur Selbstverständlichkeit werden.“ Spontan und begeistert hat er deshalb auch zugesagt, für die Vortragsreihe „Forum Gesundheit Südtirol“ des Südtiroler Sanitätsbetriebes einen Abend zum Thema „Frauenkrankheit Endometriose – Reden wir endlich darüber!“ mitzugestalten. Gemeinsam mit unserer unermüdlichen Miriam, ihrerseits Präsidentin von „Noi con Voi“, und der Vizepräsidentin Ilaria Bona, die ebenfalls eine lange und berührende Leidensgeschichte zu erzählen hat, saß er am Podium. Der Abend fand am 3. Mai 2023 im Bozner Pastoralzentrum statt.
Bei all den Schwierigkeiten und Rückschlägen ist Miriam immer positiv geblieben: „Aufgeben war für mich nie eine Option. Es lohnt sich zu kämpfen. Das empfehle ich auch allen anderen von Endometriose Betroffenen.“