Von: axa
Innsbruck – Zwei von einem österreichischen und ungarischen Forschungsteam neu entdeckte Schmetterlingsarten des Hochgebirges gelten als Sensation: Die Weibchen von Mayrs Erdeule (Agrotis mayrorum) und Mazels Erdeule (Agrotis mazeli) weisen so kurze Flügel auf, dass sie nicht mehr fliegen können.
Ein Phänomen, das bei Schmetterlingen sehr selten ist. In der renommierten Fachzeitschrift Nota Lepidopterologica werden die Hochgebirgsfalter für das Fachpublikum beschrieben.
Schmetterlinge gelten allgemein als Flugkünstler, doch es gibt Ausnahmen. Völlig reduzierte Flügel sind nur in der Familie der Sackträger die Regel. Ansonsten findet sich Flügelreduktion und damit verbundene Flugunfähigkeit als Anpassung an raue klimatische Bedingungen und daher fast nur bei wenigen Arten, die im Vorfrühling bzw. Spätherbst aktiv sind, sowie bei manchen Hochgebirgs- und Inselfaltern.
Die Weibchen solcher Arten – in Ausnahmefällen auch Männchen – sind manchmal kurzflügelig. Daher können sie maximal heuschreckenartig hüpfen oder gerade noch krabbeln. Dies wird beispielsweise als Schutzmechanismus gegen Windverdriftung gedeutet. Insgesamt ist weltweit etwa ein Prozent der Schmetterlingsarten flugunfähig.
Mayrs Erdeule und Mazels Erdeule, die aktuellsten Neuentdeckungen, gehören zur Familie der Eulenfalter, die in Europa etwa 1.000 Arten umfasst.
Flugunfähigkeit ist in dieser Familie extrem selten, und aus den Alpen lediglich von einer einzigen Art bekannt, die bereits vor fast 200 Jahren beschrieben wurde. „Die Weibchen der neuen Arten haben zwar Flügel, diese sind jedoch im Vergleich zu jenen der Männchen deutlich kürzer und ermöglichen es dem Weibchen daher nicht mehr, damit zu fliegen“, erklärt Mag. Dr. Peter Huemer, Kustos der Naturwissenschaftlichen Sammlungen der Tiroler Landesmuseen.
Gebirgsregionen als Hotspot für die Forschung
Die neuen Arten reihen sich in eine ganze Palette von erst in den letzten Jahren durch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Tiroler Landesmuseen entdeckten Alpenschmetterlingen ein.
Ihre Entdeckung beweist, dass selbst heute noch, mitten in Europa, bei weitem nicht alle Falter erfasst und beschrieben sind. Vor allem schwer erreichbare Gebirgsregionen gelten daher auch zukünftig als Hotspot für die Forschung und als Ziel für Expeditionen zur Erfassung unbekannter Biodiversität.
„Diese Entdeckung zeigt einmal mehr, wie wichtig und international bedeutend die Forschung der Tiroler Landesmuseen gerade im Hinblick auf die Biodiversität ist“, ergänzt PD Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmsuseen.
Forschungsstand zur Mayrs Erdeule und zur Mazels Erdeule
Das Forschungsteam der Tiroler Landesmuseen und seine Projektpartner in Ungarn arbeiten seit der Entdeckung der Alpenschmetterlinge an deren Erforschung. Bisher konnten die Forscher und Forscherinnen einige Erkenntnisse zur Beschreibung der Mayrs Erdeule und der Mazels Erdeule gewinnen.
Die bis über 4 cm spannenden männlichen Falter wurden vor allem in der Nacht mit Kunstlichtquellen beobachtet. Sie fliegen im Grasheidenbereich sowie in schuttreichen Lebensräumen oberhalb der Waldgrenze bis nahe 3.000 m. Die Flugzeit ist eher spät im Jahr, oft erst im August.
Die Tiere sind selbst bei großer Kälte aktiv und dem Hochgebirgsleben perfekt angepasst. Die etwas kleineren und ca. drei Zentimeter großen Weibchen wurden bisher nur selten tagsüber gefunden. Die Entwicklungsstadien der Falter sind noch völlig unbekannt. Von anderen Erdeulen ist allerdings bekannt, dass sie als Raupe an Graswurzeln leben. Der zunehmende Temperaturanstieg im Hochgebirge könnte die aktuell intakten Lebensräume – und somit auch Argrotis mayrorum und Agrotis mazeli – bedrohen.
Vorkommen und Abgrenzung von Artverwandten
Die neuen Arten kommen lediglich in den Südwestalpen bzw. den östlichen Pyrenäen vor. Lange Zeit wurden sie mit der nahe verwandten Art Agrotis fatidica verwechselt, die in isolierten Vorkommen in den östlichen Teilen der Alpen in der Schweiz, Österreich und Italien, den Hochgebirgen des Balkans sowie in Skandinavien und Sibirien vorkommt.
Umfassende genetische Studien sowie eine eingehende Analyse unterschiedlicher Körpermerkmale bestätigen nun jedoch, dass ein Komplex von drei Hochgebirgsarten vorliegt, eine vierte Art fliegt am Gran Sasso in Zentralitalien. Die ermittelten genetischen Distanzen zwischen den einzelnen Arten deuten darauf hin, dass die Artabspaltung bereits vor mehreren Eiszeiten stattgefunden haben könnte.
Die Forscher Peter Huemer von den Tiroler Landesmuseen und Laci Ronkay vom Hungarian Natural History Museum gehen von Artbildungsprozessen als Folge eiszeitlicher Isolation der unterschiedlichen Gebirgsgruppen aus. Gefördert wurde diese Aufspaltung in mehrere Arten durch die stark reduzierte Mobilität der Falter als Folge der Flügelreduktion.