Von: luk
Innsbruck – Kommenden Sonntag beginnt in den USA die Ausstrahlung der achten und letzten Staffel von „Game of Thrones“, einer der meistdiskutierten Fernsehserien der vergangenen Jahre. Was uns der Erfolg der Serie über unsere kollektive Psyche verrät, hat sich der Bildungswissenschaftler und Psychologe Gerald Poscheschnik näher angesehen.
Mittelalter-Setting, Drachen, Magie, Ränkespiele und epische Schlachten: „Game of Thrones“ startet bald in die achte und letzte Staffel. Vom Partygespräch über Blogs und Podcasts bis hin zu Artikeln in der „Zeit“ und im „Standard“ ist die Serie Thema, das Internet ist voll mit Spekulationen darüber, welcher der Charaktere die letzte Folge überleben wird und wer am Ende auf dem titelgebenden Thron sitzen wird. Für Dr. Gerald Poscheschnik, Leiter des Instituts für Psychosoziale Intervention und Kommunikationsforschung, ist der Erfolg der Serie schnell erklärt: „‚Game of Thrones‘ bietet einige sehr moderne Anknüpfungspunkte und Möglichkeiten zur Identifikation. Die Charaktere sind außerdem nicht plump gut oder böse gezeichnet, durchleben einen Entwicklungsbogen, man will wissen, wie es weitergeht – alles Merkmale erfolgreicher Serien oder Filme, die auch ‚Game of Thrones‘ erfüllt.“
Psychoanalytische Landkarte
Poscheschnik hat sich die Serie aus einem psychoanalytischen Blickwinkel näher angesehen, insbesondere die Großgruppendynamik, die sich in der Topographie der fiktiven Welt widerspiegelt. „Grundsätzlich ist die Interpretation von Büchern oder Filmen in der psychoanalytischen Forschung nicht ungewöhnlich. Zu Hitchcocks Filmen, zum Beispiel zu Vertigo, gibt es eine Vielzahl an Interpretationen. Das liegt auch daran, dass solche Werke, vor allem auch Fernsehserien, eine Unmenge an Analysematerial bieten“, erklärt er. „Psychoanalyse interessiert sich dabei immer auch für den Subtext, das heißt, für Themen, die nicht explizit angesprochen werden. ‚Game of Thrones‘ bietet hier ein wunderbar breites Feld.“
Drei Gebiete lassen sich in „Game of Thrones“ und der zugrundeliegenden Roman-Serie unterscheiden: Westeros ist der Name des Hauptkontinents, auf dem sich die Handlung wesentlich abspielt. Im nördlichsten Teil von Westeros lauert eine anfangs nicht näher bestimmte und von den Charakteren der Serie als Märchen abgetane Gefahr – die sogenannten „Weißen Wanderer“, zombie-ähnliche Figuren. Eine vermeintlich unüberwindbare Mauer aus Eis grenzt den Süden des Kontinents außerdem von diesem Norden ab und schützt vor den „Weißen Wanderern“. Im Osten trennt ein Meer Westeros von seinem Nachbarkontinent Essos – im Gegensatz zum „europäisch“-mittelalterlich geprägten Westeros ein exotischer Ort voller Wunder und Magie. Hierhin wurde die ehemalige Herrscherfamilie aus Westeros – zumindest das, was zu Beginn der Handlung davon übrig ist – vertrieben und dort bereitet die letzte Thronerbin dieser Dynastie ihre Rückkehr vor.
Niedergang, Hoffnung und Verdrängtes
Für Gerald Poscheschnik verkörpern diese drei Gebiete und die Handlungsstränge, die sich auf diesen Schauplätzen abspielen, Unbewusstes, das auch unsere heutige Gesellschaft prägt: „Westeros ist die Welt im Konflikt, im Niedergang, symbolisiert durch den Tod des Königs als Auslöser. Hier herrscht Krieg, hier wird intrigiert, gemordet, auch vermeintlich ‚edle‘ Charaktere können hier nicht viel ausrichten und sterben in der Serie“, sagt er. Das kann als Chiffre für die heutige Kultur gelesen werden, in der – zumindest subjektiv gesehen – ebenfalls Unsicherheit zunimmt und Gesellschaften immer mehr auseinanderklaffen. „Vordergründig hat Westeros nichts mit uns zu tun, wir sind nicht bedroht von Eis-Zombies und Drachen gibt es auch nicht. Aber die Großgruppendynamik und die Stimmung ist bekannt.“
Der Norden verkörpert Verdrängtes – die Gefahr, die man bewusst ignoriert oder weglächelt: „In der Serie werden Warner verlacht, niemand nimmt die Bedrohung ernst, bis sie buchstäblich vor der Tür steht. Das ist ein kollektiver Prozess, das Individuum ist ohnmächtig, etwas zu unternehmen und ignoriert die Gefahr.“ Vergleiche mit realen Bedrohungen wie dem Klimawandel liegen hier nahe, auch dessen Gefahr wurde lange ignoriert und ausgeklammert. Und zu guter Letzt verkörpert Essos die Hoffnung: Die Königin, die vermeintlich Ordnung in Westeros schaffen kann, kommt von dort. „Essos ist Projektionsfläche für die Hoffnung auf eine gute Wendung, auf eine Lösung der Konflikte und eine Abwehr der Gefahr. In Zeiten der Angst und der Krise taucht immer Hoffnung auf und dient auch dazu, um uns über Schlimmes hinwegzutragen und zu trösten – auch eine Form des Selbstbetrugs, ähnlich der Verdrängung.“
Popkultur als Spiegel
Nicht zuletzt ist „Game of Thrones“ spannendes Fernsehen. Anders wären die Erfolge, die die Serie feiert, nicht möglich. „Die Macher weben da einen sehr dichten Teppich an Erzählsträngen, die Charaktere mit ihrer Ambivalenz sind glaubwürdig. Wenn man sich nicht von der äußeren Form blenden lässt, kommt man drauf, dass diese Serie ein sehr guter Spiegel unserer Gesellschaft ist – das ist nicht so fern, wie die Fantasy-Elemente zuerst vermuten lassen. Zugleich ist Popkultur auch immer Ausdruck eines Zeitgeists, manchmal sogar Katalysator – und gerade ‚Game of Thrones‘ zeigt das gut.“ Am Ende ist die Serie auch einfach unterhaltsam – und sie lenkt von realen Gefahren ab.