Von: bba
Dass das Patriarchat nicht nur Frauen schadet, davon sind immer mehr Männer überzeugt, so auch Jack Urwin, ein junger, britischer Autor. In seinem Buch “Boys don’t cry” spricht er von toxischer Männlichkeit, die der Menschheit als Ganzes schade.
Der 25-jährige britische Autor, Jack Urwin, hat es sich zum Ziel gesetzt, Männern – und vor allem Vätern – eine gehörige Portion Feminismus zu verabreichen. „Das Patriarchat schadet auch den Männern“, schreibt er in seinem Buch „Boys don’t cry“ (“Jungs weinen nicht”). Zu seinem Buch haben ihn der Tod seines Vaters, die hohen Selbstmordraten und die berühmte englische steife Unterlippe bewogen. Die gilt ihm als Synonym für die ungesunde männliche Lebensweise.
„Wir brauchen den Feminismus“, schreibt der 25-jährige britische Autor Jack Urwin. 2014 veröffentlichte er einen Artikel für das Online-Magazin VICE namens „A Stiff Upper Lip is Killing British Men“ („Das Zähnezusammenbeißen tötet die britischen Männer“). Nach einer krassen Bestandsaufnahme der hohen Selbstmordraten britischer Männer und ihrer konsequenten Verschlossenheit, wenn es um gesundheitliche oder andere Probleme geht, bat er seine Leser und Leserinnen, sich ein wenig Zeit zu nehmen: Jeder solle sich mit seiner eigenen Vorstellung von „Männlichkeit“ beschäftigen, schließlich wolle er, der junge Autor, kein Buch darüber schreiben. Viele Kommentare und Leserbriefe später hat er das Buch dann doch geschrieben: „Boys don’t cry“. Den letzten Schubser an den Schreibtisch bekam Jack Urwin von der bekannten britischen Publizistin Laurie Penny, an deren Feminismus derzeit kaum jemand vorbeikommt.
In Urwins Buch geht es zuallererst um die Beziehung zu seinem Vater. Dieser wird als sehr männlicher Scherzkeks beschrieben, der sein Gemächt in engen Latex-Radlerhosen zur Schau stellte – ein Vorzeigemodell der oben genannten „stiff upper lip“. Nachdem er ein paar Tage wegen „Grippe“ nicht zur Arbeit ging, stirbt der Vater des Autoren mit 51 an einem Herzinfarkt. „Kurz darauf fand meine Mutter in einer Jackentasche meines Vaters ein frei verkäufliches Herzmedikament, und damit war klar, dass er gewusst hatte, dass irgendetwas im Schwange war, doch Brustschmerzen, die schon einmal beinahe zum Tod geführt hatten, waren in seinen Augen anscheinend nicht so wichtig, dass man sich damit an einen Arzt wandte. Typisch Dad!“, schreibt Urwin. Der nun vaterlose Sohn wird kurz darauf zehn Jahre alt und dann Preisträger der Auszeichnung „witzigster Schüler“. Seine bislang ungekannte Witzigkeit erklärt er sich über umgelenkte Trauer: Lieber andere unterhalten als weinen – obwohl ihm das Weinen lieber gewesen wäre. Doch Jungs weinen nicht, fordert die Gesellschaft.
Auch Jungen möchten weinen
Das „Boys don’t cry“ aus dem Titel des Buches, ist fest in der Biografie des Autors verwachsen. Dass Humor ein guter Verteidigungsmechanismus ist, hat Urwin auf der Jungenschule gelernt, und offensichtlich auch von seinem Vater übernommen. Doch irgendwann hat das herkömmliche Inventar aus der Abteilung Männlichkeit nicht mehr ausgereicht: Die Starre der zur Verfügung stehenden Bilder geht ihm auf die Nerven, ebenso die Stereotypen, in denen er sich selbst nicht wiederfindet. Er diskutiert, wird unbequem und sucht nach neuen Wegen, ein Mann zu sein.
Urwin fühlt sich nicht zugehörig zu den „echten Kerlen“, die herumpöbeln und sich dafür nicht schämen. Diese Kultur lehnt Urwin kategorisch ab: Sie stellt für ihn ein Ideal von Männlichkeit dar, dessen ursprüngliche Werte aus der Zeit gerissen sind.
Urwin arbeitet sich ab an toxischen Bestandteilen von Männlichkeit, vom Film „Fight Club“ über die Männerrechtsbewegung, die er als erbärmlich frauenfeindlich bezeichnet, bis hin zur Pornografie, die für ihn kein Auslöser von sexuellem Begehren ist, sondern ein Symptom davon. Und natürlich hat er Wünsche für eine neue Welt, in der etwa guter Sexualkundeunterricht Heranwachsenden hilft, sich auch in der Realität jenseits der auf Smartphones gezeigten “Fick-Bilder” zurechtzufinden. Dabei wird er sehr politisch: „Indem wir die überholte Vorstellung aufrechterhalten, die Biologie eines Mannes wäre direkt mit seiner Persönlichkeit verknüpft, ignorieren wir die Tatsache, dass der männliche Penis im Laufe unserer Entwicklungsgeschichte nur dann machtvoll war, wenn er als Waffe gegen Frauen eingesetzt wurde.“
Jack Urwin ruft dazu auf, dass „wir“ – gemeint ist wohl die ganze Welt – uns neu orientieren in Sachen Männlichkeit. Der erste Schritt dafür ist die Akzeptanz dieses Satzes: „Das Patriarchat schadet auch den Männern.“ Ist der verstanden, sind andere Dinge plötzlich möglich. Neben besseren Beziehungen steht vor allem ein neues Verständnis von Vaterschaft auf der Liste: Fortschritte, gar ein Überwinden von Ungerechtigkeiten etwa bei Scheidungsurteilen und dem Ringen um das Sorgerecht werden nicht erreicht werden, „wenn wir uns nicht vorher mit anderen Gender-Ungleichheiten befassen.“
Dass man die Älteren noch ändern könnte, bezweifelte Urwin in einem Interview: „It is like racism and homophobia – we sort of have to wait for some people to die out.“ („Das ist wie bei Rassismus und Homophobie – wir müssen wohl darauf warten, dass manche Menschen aussterben.“)