Von: luk
Brixen – Welches „Fleisch“ werden wir in Zukunft essen? Um diese hochaktuelle bis brisante Frage ging es am 12. Juni bei der Veranstaltung „Fleischersatzprodukte: vom Wurm bis zum Laborfleisch“, die von der Freien Universität Bozen, der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen und der Verbraucherzentrale Südtirol gemeinsam organisiert wurde. Vom Mehlwurm und anderen Speiseinsekten bis zum Laborfleisch reichte auch tatsächlich der inhaltliche Bogen, den die beiden Vortragenden Luciano Conti und Silke Raffeiner aufspannten.
Luciano Conti, Professor an der Abteilung CIBIO der Universität Trient, forscht im Bereich der Stammzellen und zu kultiviertem Fleisch. In seinem Vortrag führte er aus, welche negativen Auswirkungen die herkömmliche Art der Fleischproduktion in der Massentierhaltung hat und zeigte auf, welches Potenzial diesbezüglich die Herstellung von kultiviertem Fleisch bietet. Demnach könnte Fleisch aus dem Labor u.a. dazu beitragen, Tierleid und die massenhafte Tötung von Tieren zu verringern. Außerdem würden der Flächen- und der Wasserbrauch im Vergleich zur Fleischerzeugung nur einen Bruchteil betragen.
Ausgangsstoff für das kultivierte Fleisch sind Stammzellen. Diese werden mittels Biopsie in kleinen Mengen aus dem Muskelgewebe von lebenden Rindern, Hühnern oder anderen Tieren entnommen und in Bioreaktoren in einer Nährlösung mit spezieller Zusammensetzung vermehrt. Auf diese Weise ist es laut Professor Conti bereits heute möglich, aus einer kleinen Menge an Stammzellen – vergleichbar mit einem Reiskorn – 5.000 Kilo an kultiviertem Fleisch herzustellen. Neben Muskelzellen werden auch Fettzellen und ein molekulares Trägergerüst benötigt, damit das In-vitro-Fleisch am Ende tatsächlich so schmeckt und geformt ist wie ein Stück Schlachtfleisch. In der EU ist kultiviertes Fleisch noch nicht auf dem Markt, denn zuvor müsste es als neuartiges Lebensmittel zugelassen werden. Das ist bis jetzt noch nicht erfolgt. Dennoch wird in den einzelnen Mitgliedstaaten dazu geforscht.
Die zweite Vortragende war Silke Raffeiner, Ernährungswissenschafterin bei der Verbraucherzentrale Südtirol. Sie gab in ihrem Vortrag einen Überblick über pflanzliche Eiweißquellen, Fleischersatzprodukte und deren Nährwert. Die Reise ging von naturbelassenen proteinreichen Lebensmitteln wie Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen über traditionelle verarbeitete Produkte – Tofu, Tempeh und Seitan – bis hin zu den pflanzlichen Fertigprodukten, die den Anspruch haben, Fleischerzeugnisse in Aussehen, Geschmack und Konsistenz möglichst gut zu imitieren. Studien zeigen, dass pflanzliche Fleischersatzprodukte im Durchschnitt sogar etwas mehr Protein (Eiweiß) als Fleischwaren enthalten, bei geringeren Gehalten an Fett, gesättigten Fettsäuren und Cholesterin. In punkto Nährwert können sie demnach gut mit Fleisch mithalten. Weniger positiv zu beurteilen sind die zum Teil sehr langen Zutatenlisten solcher Produkte sowie Zutaten wie künstliche Aromen und Lebensmittelzusatzstoffe.
Auch essbare Insekten bilden potenziell eine Alternative zu Fleisch. Käferlarven, Raupen, Heuschrecken und Co. werden in Asien, Afrika, Lateinamerika und Australien schon seit Jahrtausenden vom Menschen verspeist und stehen aktuell bei rund 2,5 Milliarden Menschen auf dem Speiseplan. In getrockneter Form haben Speiseinsekten einen sehr hohen Proteinanteil und sind zudem reich an Mineral- und Ballaststoffen. In der Europäischen Union sind bislang vier Insektenarten als neuartige Lebensmittel zugelassen: die Larve des Mehlkäfers (Gelber Mehlwurm), die Wanderheuschrecke, die Hausgrille sowie die Larve des Getreideschimmelkäfers (Buffalo-Wurm). Sie dürfen als ganze Tiere, gefroren oder getrocknet, sowie zu Mehl oder Paste verarbeitet angeboten und als Lebensmittelzutat in bestimmten Lebensmitteln und in definierten Mengen eingesetzt werden. Selbstverständlich muss dies im Zutatenverzeichnis entsprechend angegeben werden. Im Vergleich zur Schlachttierhaltung verbraucht die Insektenzucht deutlich weniger Fläche sowie weniger Wasser und verursacht, bezogen auf die erzeugte Proteinmenge, weniger Treibhausgasemissionen. Wegen des großen Ekels, den viele Menschen gegenüber Insekten empfinden, ist es aber noch sehr fraglich, ob sie auf unseren Tellern tatsächlich eine Rolle spielen werden.
An der anschließenden Podiumsdiskussion nahmen neben Silke Raffeiner Brigitte Foppa, Landtagsabgeordnete der Grünen, und Raffael Peer, Obmann der Südtiroler Bauernjugend, teil. Aus dem Publikum kamen zahlreiche Wortmeldungen und Fragen rund um die Tierhaltung und die Fleischproduktion in Südtirol sowie gesundheitliche Aspekte rund um den Fleischverzehr.
Moderiert wurde die Veranstaltung von den Initiatoren der Vorlesungsreihe „Mensch–Tier: ein ambivalentes Verhältnis“, Matthias Gauly, Professor für Nutztierwissenschaften an der Freien Universität Bozen, und Martin M. Lintner, Professor für theologische Ethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen.
Gauly freute sich über die grundsätzliche Offenheit der Bauernjugend gegenüber dem Laborfleisch: „Wichtig ist, dass sich der landwirtschaftliche Sektor auf die Erzeugung qualitativ hochwertiger Produkte fokussiert. Wenn vom Tierwohl bis zur Nachhaltigkeit alle Aspekte optimiert sind, hat auch Fleisch langfristig seine Existenzberechtigung und seinen Markt.“
Lintner sprach zum Abschluss das Problem der massenhaften Tötung von Tieren an. „Um den derzeitigen globalen Bedarf an Fleisch und tierlichen Produkten zu decken, müssen jährlich 80 Milliarden Wirbeltiere getötet werden, Fische nicht mitgezählt. Um das zu bewerkstelligen, hat die Menschheit eine regelrechte Tötungsindustrie entwickelt. In den großen Schlachthäusern, auch in Italien, arbeiten Tausende von Menschen, die täglich stundenlang nichts anderes tun als Tiere zu töten.“ Versicherungsgesellschaften weisen darauf hin, dass diese Menschen wegen der permanenten Ausübung von Gewalt gegen Tiere einem erhöhten Risiko von posttraumatischen Belastungsstörungen ausgesetzt sind. „Es handelt sich also nicht nur um ein ökologisches und tierethisches, sondern auch um eine soziales Problem, das es zu bedenken gilt, wenn wir Fleisch auf dem Teller haben“, so Lintner.