Von: mk
Bozen/Prags – Zwischen Schneedichte und Atmungsfähigkeit von Lawinenverschütteten besteht ein direkter Zusammenhang: Je geringer die Schneedichte, desto höher ist der Sauerstoffanteil in der Atemhöhle und somit die Überlebenschancen der Verschütteten. Das haben Forscher von Eurac Research, der Universität Innsbruck und des WLS-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF Davos in einer experimentellen Studie herausgefunden, die sie 2014 in Prags durchgeführt haben. Dabei schufen die Forscher eine künstliche Lawine, aus der sie für jeden der zwölf freiwilligen Testpersonen eine standarisierte Atemhöhle herausstanzten. Um zu untersuchen, wie sich die verschiedenen Schneedichten auswirken, fand die Studie in drei Durchläufen jeweils im Jänner, Februar und März statt. Die Studienergebnisse wurden kürzlich in der Online-Ausgabe Scientific Reports der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht, mit teilweise unerwarteten Ergebnissen. Sie zeigen, dass der Schnee überlebenswichtigen Sauerstoff liefert und in einigen Fällen ausgeatmetes Kohlendioxid absorbiert – was die Erstickungsgefahr verzögert. Geringe Schneedichten weisen jedoch einen überraschend hohen Anstieg des Kohlendioxids auf.
Die Schneebeschaffenheit ist saisonbedingt: Während der Schnee im Jänner tendenziell locker und trocken ist, wird er im Februar und März zunehmend dichter und nasser – und senkt die Überlebenschancen von Lawinenverschütteten. Im Jänner hatten die Testpersonen in den Tests mit geringer Schneedichte weniger Atembeschwerden, auch die Sauerstoffsättigung im Blut war während der gesamten Testdauer ausreichend. Der dichte, nasse Schnee im Februar und März verhielt sich hingegen ähnlich wie eine luftdichte Plastiktüte: Er hemmte den Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid in der Atemhöhle. Schon nach kurzer Zeit waren die Probanden nicht mehr in der Lage zu atmen und mussten den Test unterbrechen.
„In einer Lawine mit mittlerer Schneedichte können die Schneemassen einen Luftgehalt von bis zu 70 Prozent erreichen. Dabei setzt der Schnee einerseits Sauerstoff frei, andererseits absorbiert er das beim Ausatmen ausgestoßene Kohlendioxid. Neben der Größe der Atemhöhle ist die Schneedichte daher ein ausschlaggebender Faktor dafür, ob ein Lawinenverschütteter überlebt“, erklärt Giacomo Strapazzon, Experte für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research und Leiter der Studie.
Überrascht waren die Forscher über einen weiteren Aspekt, der aus der Studie hervorging: Nicht nur bei hoher, sondern auch bei geringer Schneedichte mussten die Probanden in einigen Fällen den 30-minütigen Tests vorzeitig abbrechen. Während dichter Schnee zu Sauerstoffmangel führte, klagten die Probanden bei weniger dichtem Schnee über Übelkeit und andere für eine CO2-Vergiftung typischen Symptome: Grund dafür waren die stark erhöhter Kohlendioxidwerte in der Atemhöhle. Die Forscher mutmaßen, dass diese Tatsache mit der besonderen chemischen und physikalischen Beschaffenheit von Schnee zusammenhängt. Es scheint so zu sein, dass bei geringer Dichte das Kohlendioxid weniger stark vom umgebenden Schnee absorbiert wird als erwartet. „Dieser Aspekt hat uns überrascht und beweist, dass Schnee ein sehr komplexes Element ist, das weiterer Untersuchungen bedarf“, ergänzt Strapazzon. Die Ergebnisse zeigen auch, dass die Forschung oft unerwartet Ergebnisse bringt, die mit den bisher vorliegenden Erkenntnissen nicht übereinstimmen und neue Fragen aufwerfen.
Ablauf der Studie
Die Forscher haben in Prags eine Lawine simuliert und standarisierte Atemhöhlen geschaffen. Um die Sicherheit der Testpersonen zu gewährleisten, wurden sie nicht etwa in die Lawine eingegraben, sondern saßen außerhalb der Lawine, direkt an der Schneewand. Für die Tests atmeten die Probenaden 30 Minuten lang in die vorbereitete Atemhöhle und zwar in drei Durchläufen, die jeweils in Jänner, Februar und März stattfanden. Während der Testdauer überwachten die Forscher von Eurac Research, der Medizinischen Universität Innsbruck und des Instituts für Sportmedizin der Universität Innsbruck zahlreiche Parameter, die für das Überleben relevant sind – darunter den Sauerstoffgehalt und Kohlendioxidwert im Blut und in der Atemhöhle, den Sauerstoffgehalt im Gehirn, sowie weitere wichtige Körperfunktionen, wie zum Beispiel Puls und Blutdruck. Um einen Vergleich mit einem System zu haben, bei dem kein Sauerstoff von außen in die Atemhöhle strömt, atmeten die Probanden in luftdichte Plastiktüten mit demselben Volumen der herausgestanzten Atemhöhlen.
Jeweils vor und nach jedem Test entnahmen Forscher des WLS-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF Davos Schneeproben aus den Atemhöhlen, transportierten sie tiefgekühlt nach Davos und analysierten dort die Schneestruktur im Labor mit Hilfe einer Computertomographie (CT).